Türkei:Der Hotelbrand wird für Erdoğan zum Problem

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Der türkische Präsident auf der Beerdigung einiger Opfer der Brandkatastrophe in Bolu. (Foto: Ozan Kose/AFP)

Der Tod von 78 Menschen in einem brennenden Skihotel erinnert viele Türken an das Erdbeben vor zwei Jahren: Wieder wurden staatliche Bauvorgaben ignoriert. Die Opposition macht die Regierung in Ankara verantwortlich.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Was bleibt, ist das Gefühl, nicht sicher zu sein. Weil sich, so scheint es, jemand nicht an Gesetze und Vorgaben hielt. Was bleibt, ist deswegen auch Wut. Und ein politischer Streit darüber, wer schuld ist.

Es war nachts gegen vier Uhr am Dienstag vergangener Woche, als ein Feuer ausbrach im Grand Kartal Hotel, gelegen im Skigebiet Kartalkaya zwischen Istanbul und Ankara. Viele Gäste, im Schlaf überrascht, sprangen aus den Fenstern, manche starben dabei. Andere starben in den Flammen. Insgesamt überlebten 78 Menschen die Nacht in dem Hotel nicht, in das sie in den türkischen Winterferien gekommen waren.

Wem hätte auffallen müssen, dass etwas nicht in Ordnung war?

Baumängel ist das Stichwort, der Fall erinnert an die schweren Folgen des Erdbebens in der Türkei vor zwei Jahren, das so viele Menschen das Leben kostete. Jetzt, bei dem Brand im Skihotel in der vergangenen Woche, war es der Brandschutz, den der Besitzer des Hotels offenbar nicht für wichtig hielt. Und dann ist da noch ein Staat, der ihn damit durchkommen ließ.

Wem hätte auffallen müssen, dass etwas nicht in Ordnung war? Darum geht es jetzt in der Türkei. Der Bürgermeister von Bolu, der nächstgelegenen Stadt, gehört zur oppositionellen CHP. Er richtete den Zeigefinger schnell in Richtung Hauptstadt, nach Ankara. Auf die Zentralregierung. Und auf den einen Mann, der ihr vorsteht: Recep Tayyip Erdoğan.

„Der Vorfall hat uns alle verletzt“, sagte der am Dienstag. Erdoğan dürfte gleich verstanden haben, dass der Brand politische Folgen haben würde. Schon allein deshalb, weil das Skigebiet, wie der Ortsbürgermeister sagte, dem Tourismusministerium untersteht. Also der Regierung. Und der Präsident weiß auch, welchen Wert der Tourismus für die türkische Wirtschaft hat. Jeder zehnte Job hängt an der Branche. Bilder eines brennenden Hotels und viele Tote, die hätten verhindert werden können – das schadet dem Ruf als sicheres Reiseland.

Nicht mal die Feuerlöscher funktionierten, sagen Hotelgäste

Erdoğan also versprach, man werde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Mittlerweile hat die Justiz 18 Menschen festgenommen, darunter den Hotelbesitzer, der angeblich sein eigenes Personal für das Feuer verantwortlich machte, insbesondere den Küchenchef. Das Feuer war in der Küche ausgebrochen. Ebenfalls unter den Festgenommenen war der Leiter der Feuerwehr und der stellvertretende Bürgermeister von Bolu. Der Vorwurf an die Stadtverwaltung, den die Erdoğan-treuen Medien seither lancieren: Sie habe nicht gehandelt, als das Hotel im Dezember seine Feuerinspektion angefordert habe.

Das Hotel, so heißt es, habe den Antrag zurückgezogen, als klar wurde, dass es mit seinen Mängeln den Test nicht bestehen würde. Der Bürgermeister dagegen sagt, das Skigebiet gehöre nicht zur Stadt Bolu, er sei deswegen nicht verantwortlich. Das Tourismusministerium habe einen privaten Dienstleister mit den Inspektionen in dem Hotel beauftragt. Ein legales Vorgehen, das vielen in der Türkei nicht seriös vorkommt, vorsichtig gesagt.

Die Aussagen von Überlebenden stützen den Verdacht, dass die Behörden versagt haben, wie schon damals vor dem Erdbeben in der südlichen Türkei. Sie erzählten unter anderem, es habe in dem teuren Hotel nicht mal funktionierende Feuerlöscher gegeben. Dass daran allein das Rathaus von Bolu schuld sein soll, glaubt kaum noch jemand. Selbst jene Medien, die sonst nicht zur Kritik an der Regierung neigen, drängen inzwischen darauf, dass die Schuldigen vor Gericht kommen, seien es Offizielle aus dem Tourismusministerium – oder Mehmet Nuri Ersoy, der Minister, selbst.

Erdoğan will mögliche politische Folgen von sich fernhalten

Die meisten Türkinnen und Türken wünschen sich einen starken Staat, das war auch schon vor Erdoğan so. Einen Staat, der die Dinge regelt, womit auch ein Schutzversprechen verbunden ist. Darin liegt bei jedem Unglück, seien es Beben oder Brände, die Gefahr für den Präsidenten: Erdoğan hat den Staat über die Jahre immer mehr auf sich ausgerichtet. Einen Premierminister, der sich kümmern könnte, hat er aus der Verfassung streichen lassen. Es dreht sich alles um ihn.

Die Opposition andererseits weiß, was im März 2024 zu Erdoğans Niederlage bei den Kommunalwahlen geführt hat: die Korruption in dessen Partei, der AKP. Die ist deutlich unbeliebter als der Präsident selbst, weil sie verdächtigt wird, sich in einen Klub der Mächtigen und Reichen verwandelt zu haben. Gerade in den Städten und Gemeinden, wo viel staatliches Geld verteilt wird.

Erdoğan selbst hat das Thema vor Kurzem angesprochen und seine Parteifreunde vor Geldgier gewarnt. Aktuell lässt er die Justiz gegen angebliche Korruptionsfälle bei der Opposition ermitteln, worin viele ein Ablenkungsmanöver sehen. Im Fall des Hotelbrands wird es dem Präsidenten darum gehen, politische Folgen von sich fernzuhalten. Den Tourismusminister Ersoy hat er bisher nicht entlassen. Auch das erinnert an das Erdbeben, als niemand in Ankara für die enormen Baumängel Verantwortung übernahm.

Ersoy kam nun in den Skiort, gemeinsam mit dem Innenminister. Die beiden standen vor dem ausgebrannten Hotel, bereit zur Pressekonferenz, aber sie mussten warten. Noch übertrugen die TV-Sender einen Auftritt des Präsidenten in Ankara, da hatte das Unglück keine Priorität. Es war dann der oppositionelle Bürgermeister von Bolu, der darauf hinwies. Die Toten sind beerdigt, der politische Kampf geht weiter.

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