Wenn es nach dem Bundesinnenministerium (BMI) geht, dann müssten sich Nutzer bei jedem E-Mail-Anbieter und jedem Messenger künftig ausweisen, um den Dienst nutzen zu dürfen. Das ist eine von mehreren Forderungen, die sich in einer Formulierungshilfe des BMI für die geplante Neufassung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) findet. Eine derartige Identifizierungspflicht hätte weitreichende Folgen für Nutzer und Anbieter. Praktisch könnte das bedeuten, dass deutsche Nutzer Ident-Verfahren, die es bisher nur bei Telefonverträgen und Bankgeschäften gibt, auch bei der Einrichtung eines beliebigen E-Mail-Kontos oder vor der Nutzung von Diensten wie Whatsapp durchführen müssten.
Weitere kurzfristige Änderungsvorschläge betreffen Pflichten von unklar definierten "Mitwirkenden an Telekommunikationsdiensten". So könnten auch Internetcafés oder Anbieter von Hotspots verpflichtet werden, Daten von Nutzern zu sammeln und für Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden vorzuhalten.
Bundesinnenminister Horst Seehofer feixte bereits vor Kameras darüber, man müsse Gesetze nur so kompliziert machen, dass keiner ihre Folgen verstehe, dann könne man vieles durchbringen. Die meisten jetzt kursierenden Last-Minute-Änderungsvorschläge sind nicht sonderlich kompliziert. Doch hier sollen offenbar kontroverse Forderungen der Sicherheitsbehörden erst nach der Anhörung durch Sachverständige überhaupt in den Gesetzentwurf wandern. Die nahmen am Montag zu den bislang geplanten Neuerungen Stellung. Erst am Dienstagabend wurden die neuen Forderungen des BMI durch ein Datenleck öffentlich.
Wettbewerbsnachteil für deutsche Anbieter
Das Innenministerium will sich zu dem vom E-Mail-Anbieter Posteo geleakten Forderungskatalog nicht im Detail äußern, dementiert ihn aber auch nicht. Man sei ganz generell immer darauf bedacht, die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden zur effektiven Strafverfolgung zu optimieren.
Ob die Vorschläge dazu tatsächlich beitragen, ist fraglich. Falls eine Ausweispflicht für Messenger käme, könnten Kriminelle einfach auf andere nicht-regulierte Messenger von ausländischen Anbietern ausweichen. Die müssten dann in Deutschland konsequenterweise verboten werden. Deutsche Anbieter, die sich an die Regeln halten müssten, hätten im internationalen Geschäft einen Wettbewerbsnachteil - ganz zu schweigen von dem immensen Aufwand, den Identverfahren für jeden Kunden bedeuten. Experten sind deshalb der Ansicht, dass die Vorschläge aus dem BMI möglicherweise gar nicht ernst gemeint sind: "Ich halte das eher für einen Profilierungsversuch des Bundesinnenministers", sagt etwa der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, der mittlerweile der europäische Akademie für Datenschutz EAID vorsitzt.
Chinesische Standards in deutschem Gesetz
Schaar verweist auf andere Staaten in denen derartige Regeln existieren. Es seien vor allem autoritäre Regime. "Sich sicherheitspolitisch an China zu orientieren, während man gleichzeitig aus sicherheitspolitischen Gründen dem chinesischen Unternehmen Huawei verbieten will, Antennen in Deutschland zu bauen, hielte ich für ziemlich eigenartig."
Ob Nebelkerze oder nicht, der Chef des deutschen E-Mail-Anbieters Mailbox.org, Peer Heinlein, hält das Vorgehen des BMI für undemokratisch. Heinlein hatte seine Meinung zum neuen TKG am Montag als Sachverständiger auf Vorschlag der Linken dem Wirtschaftsausschuss mitgeteilt. Auch zur Identifizierungspflicht hatten er und sein Team ein paar kritische Sätze vorbereitet. Doch in der Begründung des Gesetzentwurfs versicherte die Bundesregierung explizit, dass diese Speicherpflicht für Bestandsdaten für nummernunabhängige Dienste - wie E-Mail-Provider - nicht geplant sei. Also strich Heinlein die Passage wieder aus seiner Stellungnahme. Dass sie zum Zeitpunkt der Anhörung seitens des BMI eben doch geplant war, findet Heinlein ein unredliches Vorgehen.
Sollte sich die Formulierungshilfe von Seehofers Ressort im finalen Gesetzentwurf wiederfinden, fordert Mailbox.org-Chef Heinlein den Entwurf erneut diskutieren zu lassen. Eine zweite Anhörung von Experten ist zwar unüblich, der zuständige Wirtschaftsausschuss könnte aber durchaus das Innenministerium um eine Stellungnahme bitten.
SPD-Wirtschaftsausschuss-Mitglied Falko Mohrs twitterte am Mittwoch, die "Wunschliste des Grauens" sei mit seiner Partei nicht durchsetzbar. Dabei findet sich im aktuellen "Zukunftsprogramm" der Partei eine Passage, die eine Zustimmung der SPD nicht komplett unwahrscheinlich erscheinen lässt. Dort heißt es: "Wir werden deshalb auch die Plattformbetreiber verpflichten, die Voraussetzungen für eine grundsätzliche Identifizierbarkeit zu schaffen." Doch auch in der Union ist man offenbar nicht komplett auf der Seite des Bundesinnenministers, CDU-Digitalpolitiker Thomas Jarzombek schrieb ebenfalls auf Twitter, "die meisten Punkte" seien in der Abstimmung der Fraktion durchgefallen. Welchen Punkten die Fraktion zustimmte, ließ Jarzombek dabei offen.