Süddeutsche Zeitung

Horst Seehofer:Krisenmanager ohne Kompass

Gentechnik, Gammelfleisch und Milch-Streik: Als Bundesverbraucherminister hat dem designierten CSU-Chef und Ministerpräsidenten Horst Seehofer oft ein klarer Kurs gefehlt.

D. Kuhr und M. Widmann

Die Bilanz fällt ernüchternd aus: Gerade mal acht Prozent der Bürger glauben, dass sich die Bundesregierung wirkungsvoll für die Verbraucher engagiert. Und fast jeder Zweite bezweifelt, dass die Politik Verbraucherinteressen auch gegen die Wirtschaft durchsetzt.

Die Umfrage stammt vom Juli, 3524 Bürger waren bundesweit befragt worden. Die Ergebnisse stellte der Bundesverband der Verbraucherzentralen diese Woche in Berlin vor. Einer der Anwesenden brachte es auf den Punkt: "An die Amtszeit von Herrn Seehofer wird man sich schon bald nicht mehr erinnern." Dabei hatte sie gar nicht mal so schlecht begonnen.

Ende 2005, erst wenige Tage im Amt, hatte der neue Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, die Gelegenheit, sich bei einem gewaltigen Gammelfleisch-Skandal zu bewähren. Der CSU-Politiker reagierte prompt mit einem umfassenden Katalog. Der sah bessere staatliche Lebensmittelkontrollen vor und höhere Strafen bei Verstößen gegen die Fleischhygiene.

Das waren klare Forderungen. Bei der Umsetzung haperte es dann allerdings. So sind zum Beispiel die neuen Informationsrechte der Verbraucher über die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen nach Ansicht von Kritikern nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Es gebe viel zu viele Ausnahmen, mit denen Unternehmen und Behörden die Auskunft verweigern könnten, sagt beispielsweise Greenpeace.

Die Vogelgrippe bot Seehofer Anfang 2006 die nächste Gelegenheit, sich als Krisenmanager zu profilieren. Mit seinem entschiedenen Vorgehen kletterte er schnell in den Ranglisten der beliebtesten Politiker. Der Minister eilte nach Rügen und versprach, er werde bei seinen Maßnahmen keine Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen für die Geflügelhalter nehmen. "Sicherheit geht im Moment vor Ökonomie", sagte er. Das kam auch bei den Medien an: "Zorro reitet wieder", titelte der Stern anerkennend.

Doch das Zorro-Bild hielt nicht lange. Vom Rächer der hilflosen Verbraucher wandelte sich Seehofers Image zunehmend zu dem eines Dampfplauderers und Freundes der Wirtschaft. "Seehofer fällt in die Kategorie Luftverpackung: große Schachtel, viel Luft, wenig Inhalt", sagt seine Amtsvorgängerin, die Grünen-Politikerin Renate Künast.

Viele werfen ihm vor, er rede heute so und morgen so - je nachdem, wer ihm gegenübersitze. So beklagte Seehofer einerseits, dass sich immer mehr Menschen falsch und schlecht ernährten. Andererseits aber weigerte er sich, die Lebensmittelkonzerne zu verpflichten, den Zucker-, Fett- und Kaloriengehalt ihrer Waren mit den Ampelfarben rot, gelb und grün auf der Verpackung zu kennzeichnen.

Stattdessen setzte der Minister lange Zeit auf eine freiwillige Lösung. "Erst als der Druck der Konsumenten zu stark wurde, hat er sich plötzlich für eine verpflichtende Ampelkennzeichnung eingesetzt und sich damit gegen die schäumende Lebensmittelindustrie gestellt", sagt Thilo Bode, Gründer der Verbraucherorganisation Foodwatch. "Das ist eine Kehrtwendung um 180 Grad!"

Dieses "Rumeiern" wurde zum Markenzeichen Seehofers. "Bundeseierminister" war einer der Spitznamen, die ihm zuteil wurden. Abgesehen von der Vogelgrippe gab es wohl kaum ein Thema, bei dem er einen klaren Kurs gefahren wäre. Ein Grund dafür ist sicher der Zuschnitt seines Ressorts. Er ist eben nicht nur Verbraucherminister, sondern muss auch die Interessen der Bauern im Blick behalten, dazu die der Ernährungsindustrie. Nicht selten gerät der Minister dabei zwischen die Stühle.

Ein anderer Grund für seinen Schlangenlinien-Kurs ist sein Bedürfnis, es allen recht zu machen. Es war ein Samstagmorgen im August, die Bundesregierung hatte zum Tag der offenen Tür geladen. Seehofer wurde feierlich mit Blaskapelle vor seinem Ministerium empfangen. 50 Meter entfernt hatten sich vier junge Demonstranten in einen Drahtkäfig gequetscht. Sie protestierten gegen die neue Kleingruppenhaltung von Hühnern.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Seehofer auf die Demonstranten reagierte.

Seehofer hätte sie ignorieren und einfach im Ministerium verschwinden können. Das aber ist nicht seine Art. Mit ausgestreckter Hand ging er auf die Demonstranten zu. "Einem Tierquäler geben wir nicht die Hand", war alles, was er zu hören bekam. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er es nicht versucht hätte. Seehofer meidet vielleicht Konflikte, nicht aber Diskussionen.

Auch mit denen, die ihn herablassend den "Genhofer" nennen, setzt er sich auseinander. Der Streit um die Gentechnik begleitete den Minister von Beginn an. Gleich nach Amtsantritt ließ er den Anbau von Genmais der Sorte "Mon 810" in Deutschland erlauben. Im bayerischen Wahlkampf verfolgten ihn daher Umweltaktivisten auf Schritt und Tritt.

Ende August kam es vor dem Münchner Hofbräukeller zur Konfrontation. Eine halbe Stunde stellte sich Seehofer den Kritikern, am Ende verabschiedeten sie ihn mit Applaus. Er hatte berichtet, wie er das strenge Haftungsrecht nicht lockerte, gegen den Wunsch der Kanzlerin und vieler Kollegen in der Fraktion. Er hatte seinen Plan erklärt, wonach künftig jeder Landkreis selbst entscheiden soll, ob er Gentechnik duldet oder untersagt.

Seine Idee wird Seehofer in Brüssel nicht mehr vorstellen können, ob sie jemals eine Chance hatte, ist zweifelhaft. Dennoch spricht Bioland-Chef Thomas Dosch ein positives Urteil über den Minister und die Gentechnik: Er habe "gut zugehört" und "die Politik seiner Vorgängerin nicht über den Haufen geworfen".

Zugehört hat Seehofer fast allen und damit Sympathie gewonnen. Auch die Milchbauern berichten fasziniert, wie aufmerksam der Minister ihren Sorgen lauschte. Anfang Juni hatten sie Millionen Liter Milch auf die Äcker gekippt - ein Aufstand ausgerechnet vor der Wahl in Bayern. Die Streikenden waren zornig auf alle: den Handel, die Politik und den Bauernverband, der ihre Interessen nicht vertrete.

Zum ersten Mal seit dem Krieg drohte eine Spaltung der Bauernschaft. Und Seehofer löschte den Brand, indem er einen medienwirksamen Milchgipfel einberief und dort ohne Debatte die Wunschlisten von Milchbauern und Bauernverband gleichermaßen abnickte. Die große Umarmungstaktik - sie hielt bis zu dieser Woche.

Am Donnerstag brach der Konflikt wieder auf, die Milchbauern drohen nun mit einem neuen Streik. Was Seehofer angekündigt hatte, wollten die Länder nicht einhalten. Im Bundesrat lehnten sie die wesentlichen Ergebnisse des Gipfels ab. Diesmal schweigt der Minister, er ist längst mit den Koalitionsverhandlungen in Bayern ausgelastet.

Seehofer hinterlässt eine Reihe von Baustellen. In Brüssel soll noch in diesem Jahr eine kleine Reform der Agrar-Subventionen beschlossen werden. Die EU will direkte Beihilfen kürzen und Geld verstärkt nur gegen Engagement im Umweltschutz auszahlen. Seehofer war bis zuletzt dagegen, er gab sich als Verteidiger der deutschen Besitzstände.

Nie hat er das so deutlich gesagt, wie auf dem diesjährigen Bauerntag in Berlin: "Es ist mein Auftrag, Ihre Interessen verlässlich einzubringen", rief er den 1000 Landwirten zu. So viel Beifall wie nach dieser Rede erhielt er selten.

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SZ vom 24.10.2008/aho
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