Integrationsdebatte:Endlich Heimatminister

Horst Seehofer auf dem Oktoberfest 2017

Horst Seehofer (CSU), derzeit Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, in heimatlichen Gefilden, nämlich bei der Eröffnung des Oktoberfests im vergangenen Jahr

(Foto: Getty Images)

Horst Seehofer diskutiert in Berlin über Heimat. Der Abend zeigt, welche Themen in Deutschland in den vergangenen Monaten zu kurz gekommen sind.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Heimat ist Familie. Heimat ist Geborgenheit. Heimat ist Linsensuppe. Heimat, das ist das Gefühl, das seit Frühjahr in Deutschland ein eigenes Ministerium hat. Heimat ist auch das Thema eines Diskussionsabends im Berliner Museum für Kommunikation: "Überkommenes Relikt oder Antwort auf das Bedürfnis nach Orientierung und Zusammenhalt in einer globalisierten Welt?" Den ganzen Abend über können die Zuschauer ihre Heimatbegriffe auf einer Webseite einspeisen, sie erscheinen auf einem Bildschirm über der Bühne: Familie, Geborgenheit, Linsensuppe, so steht es da.

Es ist die erste öffentliche Veranstaltung von Heimatminister Horst Seehofer zum Thema Heimat - und schon allein deswegen interessant, weil "Zusammenhalt" und "Orientierung" nicht die Werte sind, die die Öffentlichkeit mit ihm zuletzt verband. Im Koalitionsstreit um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen galt er ebenso als Spalter wie im einige Monate zurückliegenden Streit um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze.

"Heimat ist ein sehr vielfältiger Begriff"

Zweifel, dass ausgerechnet er ein zerstrittenes, orientierungsloses Land auf der Suche nach gemeinsamen Werten vereinen könnte, gab es schon seit seiner Ernennung. Über die Leute, die im Internet den "Heimathorst" verspotteten, ließe sich ebenso hinwegsehen wie über Lederhosen- und Kruzifix-Witze. Und Seehofer tut es. Es habe ja, sagt er auf der Veranstaltung seines Ministeriums, viele Befürchtungen gegeben "dass ich typisch bajuwarisch den Leuten meinen Heimatbegriff überstülpen will". Doch die seien unbegründet, versichert der Minister nun. Für ihn gelte: "Heimat ist ein sehr vielfältiger Begriff. Und ich finde, das ist gut so."

Allein, das glauben ihm nicht alle. Schwer lastet der Vorwurf auf ihm, dass sein Heimatbegriff darauf ausgelegt sei, Menschen auszugrenzen. Der kam nicht von ungefähr. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", sagte er kurz nach seiner Amtseinführung. Im Sommer lehnten mehrere Initiativen die Nominierung zum Deutschen Nachbarschaftspreis ab, als dessen Schirmherr Seehofer fungierte, weil dieser nicht für eine offene, tolerante Gesellschaft stehe. Kurz zuvor hatte sich Seehofer öffentlich über die Abschiebung von 69 Afghanen an seinem 69. Geburtstag gefreut.

Auf der Diskussionsveranstaltung klingt er anders. "Heimat ist dort, wo ich mich geborgen fühle", sagt er. Wer sich aber wo überhaupt geborgen fühlen darf und kann - das ist eine andere Frage. Am schärfsten konfrontiert Seehofer mit dieser Frage Petra Bendel, Professorin für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie sagt mit Blick auf die vielen Menschen mit Migrationshintergrund im Land: "Heimat ist nicht nur Herkunft. Heimat gibt es auch im Plural." Und fordert von Seehofer einen inklusiven Heimatbegriff, der auch die Menschen einschließe, die neu nach Deutschland kommen.

Auch ein Sohn türkischer Eltern kann Bayer sein

Wie das aussehen kann, davon berichtet Uğur Bağışlayıcı, besser bekannt unter seinem Künstlernamen: Django Asül. Der Kabarettist, dessen Eltern als türkische Gastarbeiter nach Deutschland kamen, wuchs in Niederbayern auf. In tiefstem Bairisch erzählt er, wie er schon als Kind mit dem Nachbarn zum Stammtisch ging. Und warum er heute noch in seiner Heimatgemeinde Hengersberg lebt, nirgends sonst leben möchte: "Wenn ich von mir daheim zum Marktplatz geh', ist das wie ich früher zur Schule gegangen bin. Nur andersrum."

Und wie war das für ihn, wie war das für seine Eltern mit der Integration im tiefsten Niederbayern? Seine Eltern hätten sich da keine großen theoretischen Konstrukte zurechtgelegt: "Jetzt simmer halt hier, der Bub ist hier auf die Welt gekommen, da müssen wir halt schauen, wie wir zurechtkommen." Bağışlayıcı hatte bis 2011 einen türkischen Pass, den hat er aber abgegeben. Hört man ihm zu, möchte man fast sagen: Der Sohn türkischer Eltern ist bayerischer als der ehemalige bayerische Ministerpräsident, der seine Heimat immer wieder für die große Politik verlassen muss.

Aber klar, nicht für alle ist Bağışlayıcıs Weg der Weg zur Integration. Ein inklusiver Heimatbegriff bedeutet ja gerade, dass nicht jeder Bairisch sprechen und zum Stammtisch gehen muss - und trotzdem ein Plätzchen findet, sich angenommen und geborgen fühlt. Da gebe es derzeit noch viele Hürden, beklagt Petra Bendel. Sie spricht die #metwo-Debatte an, die junge Menschen mit Migrationshintergrund auf Twitter angestoßen haben: "Wir haben in Deutschland ein Problem mit Diskriminierung."

Der Zusammenhang von Integration und Strukturwandel

Sie kommt aber auch auf konkrete politische Maßnahmen zu sprechen. Zum Beispiel die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus. "Wer sich sorgen muss um die Familie im Heimatland, kann sich nicht integrieren." Ebenso kritisiert sie, dass nur Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive Zugang zu vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) finanzierten Sprachkursen haben. Nicht alle sehen das so kritisch wie sie. Jasper von Altenbockum, Innenpolitik-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, etwa lobt die Integrationsleistungen, die Deutschland bisher vollbracht habe. Aber er warnt auch vor zu hohen Erwartungen: "Integration ist eine Frage von Generationen."

Und eine Frage der richtigen politischen Maßnahmen, da sind sich auch alle auf dem Podium einig. Minister Seehofer selbst hat Beispiele für gelungene Integrationspolitik parat. Er berichtet aus Augsburg: "40 Prozent Migrantenanteil, ich glaube es selbst immer kaum, wenn mir das meine Mitarbeiter sagen." Dort habe man zum Beispiel mehr Lehrer eingestellt, um auf die besonderen Bedürfnisse von nichtdeutschen Kindern einzugehen. "Auch, damit die deutschen Kinder nicht nach Hause gehen und sagen: Die Lehrerin hat keine Zeit mehr für mich." Er hebt außerdem die sogenannte 3+2-Regelung hervor, nach der auch Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, eine Ausbildung abschließen und zwei Jahre in Deutschland arbeiten dürfen.

"Ich will keine Abschottung", beteuert er, "wir sind ein weltoffenes Land." Das wären neue Töne - käme nicht gleich ein Aber hinterher: "Ich habe immer die Auffassung vertreten, dass man die Frage stellen muss: Wann endet die Integrationsfähigkeit eines Landes?" Hier berührt die Integrationsdebatte einen anderen Aspekt der Heimatdebatte: Denn auch wenn Deutschland insgesamt ein wirtschaftlich erfolgreiches Land sei, so gebe es doch Gegenden, in denen es den Leuten weniger gut gehe, sagt Seehofer. Das immerhin steht außer Frage.

Bayern als Erfolgsmodell

Der fünfte Teilnehmer der Diskussionsrunde, Volkswirtschafts-Professor Jens Südekum vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie, skizziert eine beunruhigende Entwicklung: Eine immer stärkere Konzentration der modernen Dienstleistungswirtschaft auf bestimmte Boomregionen - und ein Verlust von Arbeitsplätzen im Rest von Deutschland. "Wenn ich in so einer Boomregion beheimatet bin, habe ich kein Problem mit einem Arbeitsplatz, aber auf dem Wohnungsmarkt", sagt er. Und in den Abwanderungsproblemen sei es genau andersherum. Grund zur Unzufriedenheit gebe es also überall.

Und die äußert sich ja auch. In den Städten zum Beispiel durch wütende Proteste von Menschen auf Wohnungssuche, in ländlichen Regionen in Ostdeutschland in immer höheren Ergebnissen für die AfD.

Hier ist Seehofer voll in seinem Element - weniger in seiner Funktion als Heimat- und Bauminister, sondern als ehemaliger Ministerpräsident von Bayern. Dass die CSU das ehemalige Agrarland Bayern wirtschaftlich in den vergangenen Jahrzehnten auf einen ziemlich erfolgreichen Kurs gebracht hat, bestreiten nicht mal ihre ärgsten Gegner. Und wie? Mit Strukturpolitik, sagt Seehofer. Er berichtet zum Beispiel, wie er den Megakonzern Siemens überredet hat, eine Niederlassung im unterfränkischen Bad Neustadt zu errichten. Da seien Tausende neue Arbeitsplätze für eine strukturschwache Region entstanden. "Aber der Renner schlechthin sind Bildungseinrichtungen", schwärmt er. Er habe unlängst in Bayern noch zwei neue Universitäten gegründet, die bald eröffnet würden.

Die Region mit der größten Wirtschaftskraft in Bayern sei übrigens nicht Oberbayern, wie man vielleicht denken möge - sondern Niederbayern. Nach Zustimmung suchend blickt Seehofer zu Uğur Bağışlayıcı, der nickt: "Die Entwicklung hier war so rasant, da hab ich mich gleich nach meiner Ausbildung aus dem normalen Arbeitsmarkt verabschiedet. Das widersprach meinem Hang zur Gemütlichkeit." Alle lachen. Der Kabarettist erzählt, wie sein Dorf von 3000 Menschen auf 5000 Menschen anwuchs. Sicher, das sei nicht die reine Wirtschaftskraft der Region allein. Einige pendelten auch nach München. Aber die Heimat könne eben trotzdem Hengersberg bleiben.

Es fehlt die ostdeutsche Stimme

Zu diesen bayerischen Heimatgeschichten hätten nun andere Geschichten ganz gut gepasst. "In Ostdeutschland hat man es weniger mit einer Definition von Heimat zu tun, als mit einem Verlust von Heimat", stellt Journalist Altenbockum richtig fest. Leider fehlt da schmerzlich die sechste Teilnehmerin der Runde, die Journalistin und Autorin Jana Hensel, die die Veranstaltung kurz vorher absagte. Sie hat kürzlich gemeinsam mit dem Soziologen Wolfgang Engler einen Gesprächsband veröffentlich: "Wer wir sind. Über die Erfahrung, ostdeutsch zu sein." Sie wäre die einzige ostdeutsche Teilnehmerin der Runde gewesen.

Doch trotz dieses Makels bleibt die Erkenntnis: Ein bisschen mehr solcher Debatten und ein bisschen weniger Koalitionsstreit hätte Deutschland in den vergangenen Monaten gutgetan. Darüber zu reden, wie alte und neue Deutsche miteinander leben wollen, anstatt darüber, wen man wieder loswerden oder gar nicht erst reinlassen möchte. Über das, was sich im Land verändern muss, anstatt darüber, wer schuld ist an allem, was schlecht ist. Nach der Veranstaltung flimmern immer noch die Heimatbegriffe der Zuschauer über den Bildschirm: Familie, Geborgenheit, Linsensuppe. Was sie mit Integrations- und Strukturpolitik zu tun haben, das wird ein Heimatminister in den kommenden Monaten wieder und wieder erklären müssen - besser, es kommt kein neuer Koalitionsstreit dazwischen.

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