Horst Seehofer:„Genugtuung nach innen, die habe ich schon“

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Angela Merkel und Horst Seehofer waren zehn Jahre lang gleichzeitig Parteivorsitzende. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Die CDU feiert den 70. Geburtstag von Altkanzlerin Angela Merkel. Ein Gespräch mit dem früheren CSU-Chef Horst Seehofer über ihre Flüchtlingspolitik – und den neuen Kanzlerkandidaten der Union.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es hat etwas gedauert. Angela Merkel ist bereits Mitte Juli 70 Jahre alt geworden. Aber an diesem Mittwoch wollen die Altkanzlerin und die CDU den Geburtstag nun endlich gemeinsam feiern. In der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wird ein Kunsthistoriker den Festvortrag halten. Merkel hatte schon immer sehr spezielle Vorstellungen davon, wie man so einen Tag begeht. Aber natürlich wird es auch um das politische Wirken Merkels gehen. CDU-Chef Friedrich Merz und die Altkanzlerin wollen ja auch sprechen.

Fast 200 Gäste sind geladen. Horst Seehofer wird aber nicht dabei sein – und das ist durchaus bemerkenswert. Schließlich dürfte es keinen Unionspolitiker geben, dessen politischer Lebenslauf enger mit Merkel verwoben ist als der des ehemaligen CSU-Chefs.

„Ich bin nicht zur Geburtstagsfeier eingeladen worden“, sagt Seehofer im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Er hege darüber keinen Groll. „Wenn Sie in Rente gehen, ist es gut, wenn Sie sich rechtzeitig innerlich darauf einstellen – und dann nicht jeden Tag mit Wehmut bereuen, dass Sie nicht mehr im Spiel mit dabei sind.“ Auch er habe im Juli einen besonderen Geburtstag gehabt, 75 sei er geworden. Aber er habe „nicht groß gefeiert oder mich gar von der Partei feiern lassen – ich bin mit meiner Frau in den Wald gegangen und war dort den ganzen Tag spazieren“.

Seehofer droht Merkel mit einem Gegenbuch

Das politische Geschehen in Berlin verfolgt Seehofer aber natürlich trotzdem noch. Und damit auch die Debatte über die Flüchtlingspolitik. „Ich finde, dass Angela Merkel sich keinen Zacken aus der Krone brechen würde, wenn sie mal erklärt: In der Migrationsfrage habe ich nicht jeden Tag richtig gelegen“, sagt der ehemalige CSU-Chef. Auch er wartet auf das Buch, das die Altkanzlerin im November veröffentlichen will – vor allem wegen der möglichen Passagen zum Streit über die Migrationspolitik.

„Ich bin gespannt, wie sie diese Zeit in ihrem Buch darstellen wird“, sagt Seehofer. „Wenn sie die Dinge da falsch darstellt, müsste ich doch noch ein Buch schreiben.“ Es wäre die Fortsetzung einer langen gemeinsamen Geschichte.

Berlin, 8. Mai 1995: Im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt auf einer Gedenkveranstaltung zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 50 Jahren: Rita Süssmuth und Al Gore (1. Reihe v. r.), Angela Merkel (2. Reihe links), Horst Seehofer (3. v. l.) und weitere Mitglieder des damaligen Bundeskabinetts. (Foto: Regina Schmeken/SZ Photo)

Als Merkel im Dezember 1990 das erste Mal in den Bundestag gewählt wurde, ist Seehofer bereits Abgeordneter und Staatssekretär. Die beiden sitzen dann jahrelang gemeinsam im Kabinett von Helmut Kohl. Später wird Merkel Vorsitzende der Unionsfraktion, Seehofer ist einer ihrer Stellvertreter. In Merkels erstem Kabinett ist Seehofer Landwirtschaftsminister – bis er bayerischer Ministerpräsident wird. Zehn Jahre lang – von 2008 bis 2018 – sind die beiden gleichzeitig Parteivorsitzende. Und im letzten Kabinett Merkels führt Seehofer das Innenministerium.

Die beiden haben mehr als 30 Jahre gemeinsam in der Politik verbracht. Es war eine Beziehung voller Höhen und Tiefen – nur dass in ihrem Fall die Höhen besonders hoch und die Tiefen besonders tief waren. Seehofer hat Merkel schon mal als „Glücksfall für Deutschland“ und „politische Ausnahmeathletin“ gepriesen. Er hat sie im Streit über die Flüchtlingspolitik aber auch auf einem CSU-Parteitag wie ein Schulmädchen abgekanzelt.

„Ich habe nie für eine Abschottung plädiert“

Unter den Parteichefs Merkel und Seehofer gerieten CDU und CSU in ihre größte Beziehungskrise seit dem Kreuther Trennungsbeschluss 1976. Im Juni 2018 befürchteten einige sogar, dass es zu einer Spaltung der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU kommen könnte. Damals ging es übrigens auch schon um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze.

„Ich finde es immer problematisch, mit dem Wissen von heute leichtfertig die Vergangenheit zu bewerten“, sagt Seehofer jetzt. In der Debatte über den richtigen Umgang mit Russland würden heute manche sehr kritisch auftreten, die früher geschwiegen hätten. Hier würden es sich viele mit ihrer Kritik an Merkel zu einfach machen. Das gelte auch für andere Bereiche.

Die Spannungen zwischen Seehofer und Merkel waren so groß, dass einige befürchteten, die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU könnte zerbrechen. (Foto: Michael Kappeler/DPA)

„In der Migrationspolitik lagen allerdings damals schon alle Argumente auf dem Tisch, die wir heute kennen“, sagt Seehofer. „Merkel hat 2015 mir gegenüber immer argumentiert, dass Deutschland eine belastete Geschichte habe, und dass wir jetzt in einem ganz anderen Licht erscheinen würden – eben als humane Gesellschaft, die Menschen in der Not hilft. Und dass sich das in den nächsten Jahren für unser Land auszahlen würde.“

„Ich habe nie für eine Abschottung plädiert“, sagt Seehofer jetzt. „Ich bin aber für das richtige Maß eingetreten, mit Blick auf Wohnungen, auf Integration, auf Kriminalität, auf Bildung.“ Er habe „keine Triumphgefühle, dass jetzt sehr viel von dem getan wird, was ich schon vor Jahren gefordert habe – und dafür von einigen sogar als Rechtsextremist beschimpft wurde. Genugtuung nach innen, die habe ich aber schon.“

„Der Merz versteht sein Handwerk“, sagt Seehofer

Die starken Wahlergebnisse der AfD bereiten auch ihm große Sorgen. „Eine der schlimmsten Folgen von Merkels Kurs ist das gefährliche Aufblühen der AfD“, glaubt der ehemalige CSU-Chef. Er begrüßt deshalb den Kurs von Merz – und seine Ausrufung zum Kanzlerkandidaten. „Der Merz versteht sein Handwerk“, findet Seehofer. „Nachdem er in der Bundespressekonferenz seinen Vorstoß zur Migrationspolitik gemacht hat, habe ich ihn angerufen und nur gesagt: ‚Friedrich, so führt man ein Land.‘“

Aber wie ist nun sein persönliches Verhältnis zur Altkanzlerin?

„Mit Merkel habe ich überhaupt keinen Kontakt mehr“, sagt Seehofer. „Es gab am Ende unserer Regierungszeit noch ein Abschiedsessen der Kanzlerin mit ihrem Kabinett.“ Danach habe er noch das Bundesinnenministerium an seine Nachfolgerin übergeben. „Dann bin ich im Auto nach Hause gefahren. Das war’s.“

Überrascht habe ihn das nicht. Zu seiner Lebenserfahrung in der Politik zähle: „In dem Moment, in dem Sie keine für andere nützliche Funktion mehr haben, reduzieren sich auch die persönlichen Kontakte.“ Es gelte halt: „Die Bedeutung ergibt sich aus der Nützlichkeit.“ Viele, mit denen er per Sie gewesen sei, „haben mir kaum, dass ich Parteichef war, das Du angeboten – übrigens auch Angela Merkel. Obwohl wir schon Jahre gemeinsam im Kabinett saßen, hatte sie mich bis dahin gesiezt.“

Markus Söder wird übrigens bei der Merkel-Geburtstagsfeier sein. Aber der ist ja auch noch CSU-Chef.

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