Horst Köhler über seine Rücktrittsgründe:"Die Angriffe auf mich waren ungeheuerlich"

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Noch nie hatte sich ein Staatsoberhaupt so abrupt verabschiedet: Am 31. Mai 2010 erklärte Horst Köhler völlig überraschend seinen Rücktritt. Ein Jahr später bricht der ehemalige Bundespräsident erstmals sein Schweigen.

Der 31. Mai 2010 hätte eigentlich ein ruhiger Montag werden sollen. Doch dann berief Bundespräsident Horst Köhler kurzfristig eine Pressekonferenz für den Nachmittag ein. Der Auftritt dauerte nur wenige Minuten, doch was der Bundespräsident zu sagen hatte, erschütterte das politische Berlin. Nur ein Jahr nach seiner Wiederwahl im Mai 2009 erklärte Horst Köhler überraschend seinen Rücktritt. "Es war mir eine Ehre, Deutschland als Bundespräsident zu dienen", sagte er vor der Presse in seinem Amtssitz Schloss Bellevue.

"80 Prozent war Pflichtgefühl": Horst Köhler über seine Amtszeit als Bundespräsident. (Foto: dpa)

Knapp ein Jahr danach hat Horst Köhler sein Schweigen gebrochen und sich erstmals zu seinem damaligen Entschluss geäußert: "Ich bin zurückgetreten, um Schaden vom Amt abzuwenden", sagte Köhler in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit. "Die Angriffe auf mich im Zusammenhang mit meinen Äußerungen über sicherheitspolitische Interessen Deutschlands waren ungeheuerlich und durch nichts gerechtfertigt."

Köhler war im Vorfeld seines Rücktritts wegen seiner Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr scharf kritisiert worden. Auf dem Rückflug von einem Besuch in Afghanistan hatte das Staatsoberhaupt ein Hörfunk-Interview gegeben und darin gesagt, im Notfall sei auch "militärischer Einsatz notwendig (...), um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege". Dies hatte zu diesem Zeitpunkt einen Sturm der Entrüstung in Berlin ausgelöst: Köhler habe Bundeswehreinsätze in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Interessen gebracht, bemängelten Kritiker.

Sehr viel nüchterner verlief die Debatte um die Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr in diesem Jahr, als Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sein Konzept für die Reform der Truppe vorstellte. Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien sehen eine Senkung der Hürden für Auslandseinsätze vor. Demnach solle künftig eine Beteiligung an internationalen Missionen nicht mehr nur nach nationalen Kriterien beurteilt werden, sondern auch aus rein internationaler Verantwortung möglich sein. De Maizière wählte dabei ähnliche Worte wie Köhler, er sprach unter anderem von der Absicherung internationaler Handelswege.

In dem Zeit-Interview kritisierte Köhler denn auch den Umgang mit seinen damaligen Äußerungen scharf - und vermutete parteipolitische Instrumentalisierung: Das Interview sei im Vorfeld der Diskussion um die Verlängerung des Afghanistanmandats der Bundeswehr "bewusst missverstanden" worden. "Es war die Rede von der Befürwortung von Wirtschaftskriegen und möglichem Verfassungsbruch. (...) Kann man einem Bundespräsidenten angesichts der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts Schlimmeres vorwerfen?"

Seinen Rücktritt habe er aus "Respekt und Wahrhaftigkeit" gegenüber der "politischen Kultur unseres Landes" erklärt. Köhler unterstrich, er habe sich nie in das Amt des Bundespräsidenten drängen wollen. "Ich habe mich für das Amt des Bundespräsidenten in die Pflicht nehmen lassen. Die Anfrage schmeichelte mir, aber 80 Prozent war Pflichtgefühl. Ich dachte, ich könnte mit meiner beruflichen Erfahrung auch helfen. Ich kannte und akzeptierte aber selbstverständlich das Institutionen- und Machtgefüge unserer Verfassung."

Seit einem Jahr führe er "wieder ein normales Bürgerleben. Ich bin mit mir im Reinen und genieße manche Dinge, die ich vorher nicht hatte." Und: Er wolle in Ruhe seine "Lebensgeschichte" aufschreiben, sagte Köhler, der derzeit unter anderem eine Honorarprofessur an der Universität Tübingen hat.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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