Ein Weltreisender der Finanzen, ein Unbequemer, vor allem aber einer, der berührbar blieb von den Nöten Schwächerer – mit solchen Worten haben Wegbegleiter am Dienstag Abschied genommen von Altbundespräsident Horst Köhler. Bei einem Staatsakt mit militärischen Ehren, zu dem neben den Angehörigen rund 1000 Gäste erschienen, gerieten etliche Reden aber auch zu leisen Appellen, den Zusammenhalt nicht zu vernachlässigen in Zeiten, in denen nichts, was mal gewiss schien, noch gewiss ist.
„Wir stehen vor der größten Katastrophe, der größten Krise seit 1948 und sind darauf nicht vorbereitet“ – noch kurz vor seinem Tod mit 81 Jahren habe der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler seiner Sorge über die Weltlage Ausdruck verliehen, sagte beim Staatsakt im Berliner Dom der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel. Köhler hätte gern noch einmal angepackt, die Dinge wieder zurechtgerückt. So wie die beiden es meistens gemacht hatten.
Denn bevor Horst Köhler Bundespräsident wurde im Jahr 2004, war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Zusammen mit Waigel fädelte er die deutsche Einheit mit ein, die Europäische Währungsunion, den Vertrag von Maastricht. Ein berufliches Leben war das, in dem Köhler nach dem Ende des Kalten Krieges als Handlungsreisender in Sachen Geld mal zum russischen Präsidenten Michail Gorbatschow flog, mal zu Boris Jelzin, auch um Letzteren von den Vorzügen der sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen. „Horst Köhler tat dies in der ihm eigenen argumentativen und überzeugenden Art“, sagt Waigel in Berlin. „Das führte zu einem Gefühlsausbruch des russischen Präsidenten.“
Seine Eltern stammten aus dem bitterarmen rumänischen Bessarabien
Wer auf die Anfänge dieses Leben schaue, „kann erahnen, wie Horst Köhler kämpfen musste, wie diszipliniert und fleißig er sich um alles mühen musste, um eines Tages zu dem zu werden, der er geworden ist“, sagt am Dienstag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Denn begonnen habe es mit Krieg und Flucht.
Horst Köhler, siebtes von acht Kindern protestantischer Bauern, wurde 1943 im deutsch besetzten Polen geboren. Seine Eltern stammten aus dem bitterarmen rumänischen Bessarabien, wo deutsche Landwirte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Kolonisten niedergelassen hatten. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Familie nach Polen umgesiedelt, zwei Jahre später wurde sie erneut entwurzelt, floh vor der Roten Armee nach Sachsen. Jahre vergingen in Flüchtlingslagern, bevor die Köhlers im schwäbischen Ludwigsburg ein Zuhause fanden.
Köhler ist dann zügig hinausgewachsen aus dem Milieu seiner Kindheit. Er studierte Volkswirtschaft, ging 1982 als Redenschreiber ins erste Kabinett von Helmut Kohl. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde Köhler einer der finanzpolitischen Architekten der deutschen Einheit und im Jahr 2000 geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Er verweigerte seine Unterschrift unter Merkel-Gesetze, die ihm nicht angemessen erschienen
Dass der Mann, der so unauffällig wirkte, auch durchaus eigenwillig sein konnte, haben manche Weggefährten erst später begriffen, nicht immer zu ihrem Vergnügen. Zu ihnen gehörte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Köhler 2004 als Bundespräsidenten durchsetzte - was ihn später aber nicht hinderte, seine Unterschrift unter Merkel-Gesetze zu verweigern, die ihm nicht angemessen erschienen. Köhler, bekennender Christ und Christdemokrat, blieb der Welt der Parteipolitik bis zuletzt mit kritischer Distanz verbunden, ging gern eigene Wege. „Immer wieder waren es vor allem die Verletzten, die Trauernden, die auf Hilfe Angewiesenen, die Schwerkranken und Behinderten, denen seine ganze Zuneigung, seine ganze Hinwendung, ja, auch seine spontane Umarmung galt“, sagt Steinmeier in Berlin.
Der Zahlenmensch Köhler war aber auch Familienmensch. Zu Staatsbesuchen oder beim Empfang des Papstes erschien er gern mal Händchen haltend mit seiner Frau Eva Luise Köhler, die immer mehr war als nur dekoratives Element seiner Karriere. Dass er leicht kränkbar war, auch dünnhäutig, zeigte sein Rücktritt im Jahr 2010. Köhler schmiss plötzlich hin. Er war unter Beschuss geraten, weil er gefordert hatte, Handelswege auch militärisch zu schützen.
In Erinnerung geblieben aber sei vor allem Horst Köhlers „nie wankender Einsatz für Afrika“, für solidere Finanzstrukturen, bessere Schuldenregeln und eine nachhaltige Wirtschaft, sagt bei der Trauerfeier der frühere Staatspräsident von Kenia, Uhuru Kenyatta. Dann wird die Nationalhymne gespielt im Berliner Dom, und Soldaten der Ehrengarde tragen den Sarg hinaus, ins Freie.