Horst Herold wird 85:Der philosophische Kriminalist

Er ist der beste Kenner der RAF - und der Tod von Hanns Martin Schleyer bereitet ihm noch heute schlaflose Nächte: Horst Herold, der frühere Präsident des Bundeskriminalamts, wird 85.

Franziska Augstein

Der Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" zeigt viele gemeine Menschen: Die Polizei nutzt ihre Gelegenheiten, draufloszuprügeln. Und die Terroristen sind hasserfüllte Egozentriker. Nur einer kommt gut weg: Horst Herold, der Mann, der von 1971 an das Bundeskriminalamt von einer Kriminalklitsche in einen Apparat verwandelte, dem die Pariser Zeitung Le Monde attestierte, er sei der beste auf der Welt gleich nach dem FBI.

Horst Herold wird 85: Horst Herold sieht sich als letzten Gefangenen der RAF.

Horst Herold sieht sich als letzten Gefangenen der RAF.

(Foto: Foto: dpa)

Der Schauspieler Bruno Ganz hat Herold dargestellt, wie er ist: bedächtig, grüblerisch, ruhig. Er ist der Einzige in diesem Film, der gegen Bumm-Bumm-Strategien redet - ein philosophierender Kriminalist, der sich in die Täter hineindenkt und dabei auch ursprünglich ehrenwerte Motive gelten lässt.

Tatsächlich ist Horst Herold oft vorgeworfen worden, zu viel Empathie für die Terroristen übrigzuhaben. Den Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" wird er sich nicht anschauen: Die Geschichte der RAF ist seine Geschichte. Und sie tut weh.

"Der beste Polizist, den Deutschland je hatte"

Im Zweiten Weltkrieg war Herold Leutnant in einer Panzertruppe. Nach dem Krieg studierte er Jura, wurde Staatsanwalt und ging von da zur Polizei. 1971 wurde der feinfühlige, hochbegabte Mann Präsident des Bundeskriminalamts. Damals war er vielen zu innovativ. Heute gilt er vielen, wie in der SZ zu lesen stand, als "der beste Polizist, den Deutschland je hatte".

Zu einer Zeit, da Computer zimmerfüllende Ungetüme waren, erfand er ein computergestütztes Fahndungssystem, das er als "negative Rasterfahndung" bezeichnete. Traditionelle Polizeiarbeit läuft so ab: Man sucht einen Mann mit Schnurrbart und Akzent, dann sind alle verdächtig, die einen Schnurrbart tragen und mit Akzent sprechen.

Die Form der Rasterfahndung, die Herold in den siebziger Jahren zur Bekämpfung der RAF entwickelte, diente dem Aussieben derjenigen, die mit einem Anschlag nichts zu tun hatten. Trotzdem ist er von vielen angefeindet worden, die wähnten, Herold wolle Orwells "1984" wirklich machen.

Lust auf Totalüberwachung

"Der Sonnenstaat des Doktor Herold" hieß ein ihn scharf kritisierender Kommentar im Spiegel von 1980, der ihm die Lust auf Totalüberwachung unterstellte.

Herold fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Er prozessierte gegen den Artikel - mit Erfolg. Heutzutage sind die Staats-Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte viel einschneidender als das, was Herold je gewollt hat. Anders als früher regen sich die Medien heute kaum auf.

Die RAF-Terroristen bedienten sich falscher Namen, konnten kein Bankkonto eröffnen, sie zahlten alles in bar, von der Miete bis zum Telefon. Mittels Zugriff auf Daten jenseits der Polizeicomputer, den das BKA damals auf richterlichen Beschluss erhielt, war es möglich, jene Bürger auszusortieren, die Bankkonten besaßen.

Außerdem kamen für die Terroristen nur bestimmte konspirative Wohnungen in Frage. Herold hat das so beschrieben: "Nur Hochhäuser gestatteten die Anonymität des Wohnens, die rasche Erreichbarkeit der Parkflächen, das Vorhandensein von Liften für Transporte, die Lage der Fenster ohne Gegenüber."

Nach Schleyers Tod war er persona non grata

Als das Versteck gesucht wurde, wo RAF-Terroristen Hanns Martin Schleyer im Jahr 1977 festhielten, waren alle Polizisten mit einem Kriterienkatalog ausgestattet, der helfen sollte, illegale Autos oder Wohnungen ausfindig zu machen.

Alle Erkenntnisse - da betrieb man nun "positive Rasterfahndung" - wurden in die Computer des BKA eingegeben. Auch ein Hinweis auf die Wohnung, wo Schleyer gefangengehalten wurde, kam so zutage, landete aber nicht in Herolds Computern. Der Hinweis ging in der Polizeibürokratie unter. Hanns Martin Schleyer wurde erschossen.

Damit war Herolds Schicksal besiegelt: Von nun an war er persona non grata. Er wurde 1981, er war erst 57 Jahre alt, aus dem Dienst entlassen. Weil die RAF ihn als Ersten auf ihrer Abschussliste hatte, brauchte er Polizeischutz. Aber der Staat hatte keine Lust, für ihn zu sorgen.

Herold bekam ein schäbiges Angebot: Für teures Geld musste er dem Staat einen Flecken Grund in einer Kaserne in Oberbayern abkaufen, wo er für sich und seine Frau ein Häuschen baute. Er sagt: "Ich bin der letzte Gefangene der RAF."

Die RAF kennt er wie kein anderer. Ihre Schriften hat er studiert wie ein Rabbi die Thora. Er hat auch den Witz eines alten Rabbi. Damals, nach seiner Entlassung aus dem Dienst, wollte er ein Buch über die RAF schreiben. Die Zuständigen verweigerten ihm die Akteneinsicht; damit haben sie das vermutlich beste Buch über die RAF verhindert.

Bis heute kann Herold nachts manchmal nicht schlafen, weil ihm der tote Hanns Martin Schleyer "auf der Brust sitzt". Doch als 2002 das Jubiläum "50 Jahre BKA" begangen wurde, war Herold der einzige Anwesende, der vom Publikum eine Ovation erhielt. Auch an seinem 85. Geburtstag soll er mit einer großen Ovation gefeiert werden.

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