Süddeutsche Zeitung

Bezirkswahlen:Protest-Lager in Hongkong gestärkt

  • Mit einer Rekordbeteiligung bei den Bezirkswahlen und starken Zugewinnen für demokratische Kandidaten hat Hongkongs Bevölkerung der Protestbewegung den Rücken gestärkt.
  • Deutlich mehr als die Hälfte der 452 Bezirksratsposten geht an demokratische Kandidaten.
  • Hongkongs Regierungschefin Lam kündigt an, "demütig und ernsthaft" über das Wahlergebnis nachdenken zu wollen.

Von Lea Deuber, Peking

Mit einer Rekordbeteiligung bei den Bezirkswahlen und starken Zugewinnen für demokratische Kandidaten hat Hongkongs Bevölkerung der Protestbewegung den Rücken gestärkt. Wie die Wahlkommission in der Nacht zu Montag mitteilte, lag die Wahlbeteiligung bei etwa 71 Prozent. 2,9 Millionen der 4,1 Millionen wahlberechtigten Hongkonger gaben demnach ihre Stimmen ab - so viele wie nie zuvor. Die Auszählung begann direkt nach Schließung der Wahllokale.

Die demokratischen Politiker gewannen am Sonntag 344 der 452 Sitze in den Bezirksräten, wie Medien aus Hongkong berichteten. Das regierungstreue Lager, das bei den vorangegangenen Wahlen 2015 noch etwa drei Viertel der Mandate gewonnen hatte, brach massiv ein und gewann demnach lediglich 58 Sitze. Das pro-chinesische Lager habe in 17 der 18 Bezirke seine Mehrheit verloren.

Regierungschefin Lam teilte nach der Wahlschlappe mit, sie wolle "demütig und ernsthaft" über den Ausgang des Votums über die Bezirksräte nachdenken. Es gebe viele Analysen und Interpretationen, "und ziemlich viele sind der Ansicht, dass die Ergebnisse die Unzufriedenheit des Volkes über die gegenwärtige Situation und tiefsitzende Probleme in der Gesellschaft widerspiegeln".

China reagierte auf den Wahlsieg der Opposition in seiner Sonderverwaltungszone mit verhaltenen Drohungen. "Jeder Versuch, die Stabilität und den Wohlstand von Hongkong zu unterminieren, ist zum Scheitern verurteilt", sagte Chinas Außenminister Wang Yi Medien in Tokio.

Erstmals seit Monaten erlebte die chinesische Sonderverwaltungsregion ein Wochenende ohne große Demonstrationen und Ausschreitungen. Stattdessen bildeten sich am Sonntag lange Warteschlangen vor den Wahllokalen.

In den vergangenen Jahren hatten die Wahlen nur wenig Aufmerksamkeit erregt. Der Bezirksrat hat kaum politische Macht. Er verwaltet einen Teil des öffentlichen Budgets und ist für Aufgaben wie Recycling, Transport und die Gesundheitsversorgung zuständig. Die Räte können keine Gesetze verabschieden und selbst keine nennenswerten Entscheidungen treffen. Dieses Jahr gilt die Wahl aber als wichtiger Stimmungstest. Das Ergebnis könnte Hinweise darauf geben, wie viel Unterstützung Regierungschefin Carrie Lam nach sechs Monaten der Massenproteste noch in der Bevölkerung hat.

Der 23-jährige Wong war disqualifiziert worden

Viele Beobachter bezeichneten die Wahl als eine Art Referendum für die Demokratiebewegung, die mehr Mitbestimmung in der Stadt fordert. Die hohe Wahlbeteiligung am Sonntag werteten einige Beobachter bereits als ein positives Signal für die prodemokratische Bewegung. Der bekannte Aktivist und Gründer der prodemokratischen Partei Demosistō, Joshua Wong, erklärte vor der Wahl, er hoffe, die demokratische Bewegung werde rund die Hälfte der Sitze erobern. Der 23-Jährige selbst durfte nicht antreten. Wong war als einziger Kandidaten disqualifiziert worden.

Die Wahl verlief weitgehend friedlich. Nachdem es bei den Protesten zuletzt verstärkt zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen war, hatte die Regierung überlegt, die Wahl abzusagen, sich dann aber dagegen entschieden. Im Vorfeld hatten sich Politiker aus beiden Lagern für eine Durchführung ausgesprochen. Unruhe lösten am Sonntag kurzzeitig Gerüchte in den sozialen Medien aus, dass die Wahllokale vorzeitig schließen könnten. Einige Hongkonger waren daraufhin bereits frühmorgens wählen gegangen. Darauf angesprochen, gab der Minister für Festlandsangelegenheiten, Patrick Nip Tak-kuen, am Sonntag zu, das Vertrauen in die Hongkonger Behörden sei "relativ niedrig". An einigen Orten wurde der Verdacht auf unzulässige Wahlbeeinflussung geäußert.

Das Gelände der Polytechnischen Universität war am Sonntag noch von Polizei umstellt. Seit sieben Tagen besetzen dort radikale Demonstranten die Universität, an der es vor einer Woche zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei gekommen war. Abseits der Uni hielt sich die Polizei aber mit ihrer Präsenz zurück.

In Hongkong wird seit inzwischen mehr als sechs Monaten für mehr demokratische Mitbestimmung und gegen den wachsenden Einfluss Pekings in der Sonderverwaltungszone demonstriert. Ausgelöst hatten die Proteste die Pläne für ein Auslieferungsabkommen mit China. Diese hatte die Regierung nach den Massendemonstrationen zurückziehen müssen. Inzwischen fordert die Bewegung eine Untersuchung der Polizeigewalt und freie Wahlen.

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SZ vom 25.11.2019/lala
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