Süddeutsche Zeitung

Hongkong:John Lee neuer Regierungschef

Der in der Bevölkerung unbeliebte Lee hat die Wahl zum Regierungschef in Hongkong gewonnen. Kein Wunder: Es gab nur einen Kandidaten.

Von Lea Sahay, Peking

Der frühere Sicherheitsminister John Lee wurde am Sonntag zum nächsten Regierungschef Hongkongs gewählt. Bei der scheindemokratischen Wahl hatte es nur einen Kandidaten gegeben, mehr als 99 Prozent der etwa 1500 Mitglieder des wahlberechtigten Komitees stimmten für Lee. Am 1. Juli wird der 64-Jährige die Nachfolge der Regierungschefin Carrie Lam antreten. Die scheidende Politikerin galt nach fünf Jahren als extrem unbeliebt und hatte im April erklärt, nicht mehr zur Wahl anzutreten.

Der Regierungschef der chinesischen Sonderverwaltungszone vertritt offiziell die Interessen der sieben Millionen Hongkonger gegenüber der chinesischen Zentralregierung. Gewählt wird er jedoch von einem mehrheitlich pekingtreuen Gremium aus 1500 Personen, damit entscheiden nominell nur 0,02 Prozent der Einwohner über die Führungsposition.

Peking hatte 2021 die Einflussmöglichkeiten der Hongkonger sogar noch weiter beschränkt. Zwar wurden bis dahin schon Politiker disqualifiziert, die Peking nicht passten. Inzwischen muss jedoch jeder beweisen, dass er im Sinne der Kommunistischen Partei Chinas "Patriot" ist, um zu Wahlen zugelassen zu werden. Eine Reform des Wahlrechts und mehr demokratische Mitbestimmung ist eine der zentralen Forderungen der prodemokratischen Bewegung.

Loyal gegenüber Peking, unbeliebt in der Bevölkerung

Erfüllen dürften sich diese auch unter Lees Führung nicht. Der Politiker ist ein Hardliner und dürfte vor allem aufgrund seiner uneingeschränkten Loyalität gegenüber Peking als neuer Regierungschef eingesetzt worden sein. Lee arbeitete 35 Jahre für die Polizei, danach verbrachte er fast zehn Jahre an der Spitze des Sicherheitsapparats. Während der Massenproteste 2019, in denen die Polizei brutal gegen Demonstranten vorging, diente Lee als Sicherheitschef.

Er war zudem maßgeblich an den Plänen für das Auslieferungsabkommen mit Festlandchina beteiligt, die den Widerstand überhaupt ausgelöst hatten. Kritiker befürchteten damals, dass Peking das Abkommen missbrauchen und damit Oppositionelle nach Festlandchina verschleppen könnte. 2020 belegten die USA in der Folge Lee neben Regierungschefin Carrie Lam und neun weiteren Personen mit Sanktionen - wegen "Untergrabung der Autonomie Hongkongs" und Einschränkung der Freiheiten der Bürger.

Erst im vergangenen Jahr übernahm Lee dann die Rolle als Verwaltungschef, dem zweitwichtigsten Posten hinter Lam. Viele werfen ihm daher mangelnde Regierungserfahrung vor und auch wegen seiner Rolle während der Proteste ist er in weiten Teilen der Gesellschaft sehr unbeliebt. Politischen Widerstand gegen die Entscheidung ist dennoch nicht zu erwarten. Am Sonntag protestieren Medienberichten zufolge nur einige wenige Demonstranten in der Stadt.

Angst vor politischer Verfolgung

Widerstand gegen die Staatsgewalt ist in der früheren britischen Kronkolonie, der eigentlich noch bis 2047 weitreichende Autonomierechte zugesichert sind, heute faktisch verboten. Seit die chinesische Regierung im Sommer 2020 das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz verabschiedet hat, ist ein großer Teil der namhaften Oppositionspolitiker geflohen oder verhaftet worden. Einigen droht eine Inhaftierung auf Lebenszeit. Viele trauen sich aus Angst vor politischer Verfolgung nicht mehr, aktiv gegen die Repression vorzugehen. Unabhängige Medien mussten ihre Arbeit einstellen, der bekannte Apple-Daily-Herausgeber und Unterstützer der pro-demokratischen Bewegung, Jimmy Lai, sitzt in Haft.

Auch zahlreiche internationale Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen haben zum Schutz ihrer Mitarbeiter die Stadt verlassen. Der örtliche Auslandskorrespondentenclub erklärte im April, nach 25 Jahren die Verleihung seines Menschenrechtspreises einzustellen. Einem Statement zufolge will der Verein zwar weiterhin die Pressefreiheit in Hongkong verteidigen. Journalisten in der Stadt seien aber seit Einführung des Sicherheitsgesetzes gezwungen, mit neuen "roten Linien" zu arbeiten, was erlaubt und nicht erlaubt sei. Der Club wolle nicht unabsichtlich gegen Gesetze verstoßen.

Vor seiner Wahl hat Lee angekündigt, in seiner Amtszeit auch ein lange geplantes Anti-Subversionsgesetz umzusetzen, das es noch leichter machen dürfte, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die Einführung auf Grundlage von Artikel 23 der Hongkonger Mini-Verfassung ist ein Reizthema in der Stadt. Ein erster Versuch war 2003 gescheitert, nachdem Hunderttausende Bürger aus Angst vor einem Verlust ihrer Bürgerrechte gegen die Pläne protestiert hatten. Mit ähnlich großem Widerstand dürfte Lee dieses Mal nicht mehr rechnen müssen.

Unter seiner Führung wird zudem erwartet, dass er die politischen Säuberungen auch auf andere Bereiche der Hongkonger Regierungs- und Verwaltungsstruktur ausweitet. Demnach dürfte die Zentralregierung versuchen, die verbliebenen Kritiker innerhalb des Verwaltungsapparats aufzuspüren und herauszudrängen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5580427
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/sebi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.