Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Eine Besetzung - und ein Fest der Demokratie

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Zwei Tage lang haben Demonstranten einen der verkehrsreichsten Flughäfen der Welt lahmgelegt. Es bleibt friedlich. Bis die Polizei schließlich anrückt.

Von Christoph Giesen, Hongkong

Der Fahrkartenschalter für den Flughafenzug ist über und über mit Plakaten und Post-its beklebt. "Freiheit für Hongkong", steht an diesem Dienstag dort. Niemand stört sich daran, Tickets werden einfach weiterverkauft. Demonstranten tragen Schilder um den Hals: "Frag mich, ich bin ein Hongkonger und kann alles erklären." Andere halten Plakate hoch, auf denen steht: "Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten, aber unsere Stadt stirbt gerade." Angesichts der dramatischen Lage sind alle sehr zuvorkommend.

Wer Hunger hat, geht in eines der Restaurants, zu Starbuck's oder McDonald's, die regulär geöffnet haben und gestrandete Passagiere wie Demonstranten gleichermaßen bewirten. Alle stellen sich brav an. Die Demonstranten haben Müllsäcke mitgebracht, damit niemand etwas auf den Boden wirft. Alle kümmern sich umeinander. "Kann ich dir helfen?" oder "Stay safe" hört man Dutzende Male. Es ist ein Fest der Demokratie, nicht wie man sich eine Besetzung vorstellt.

Dennoch: Zwei Tage hintereinander ist der Hongkonger Flughafen, eines der wichtigsten Drehkreuze der Welt, lahm gelegt. Keine Abflüge mehr, nur noch Ankünfte möglich.

Ab und an erinnert eine Ansage daran, dass es sich um einen ungewünschten Protest handelt: "Bitte verlassen Sie umgehend das Gebäude", sagt eine Stimme vom Band dann durch. Richtig verstehen kann man sie nicht, die Demonstranten in der Ankunftshalle übertönen sie. Ankommende Passagiere laufen durch ein Spalier: "Kämpft für die Freiheit, unterstützt Hongkong", wird gerufen.

Sie demonstrieren gegen Polizeigewalt und gegen die eigene Regierung. Am Wochenende hatte eine Krankenschwester ihr Augenlicht verloren, nachdem sie von einem Geschoss der Polizei im Gesicht verletzt worden war. Hongkong soll Hongkong bleiben, eine freie Stadt und kein Vasall Pekings.

Um 22 Uhr der Anruf. Die Restaurants sollen schließen, ordnet das Flughafenmanagement an. Normalerweise ist erst eine Stunde später Schluss. Ein Café verschenkt die übrig gebliebenen Muffins, Bananen und Sandwiches. Dann macht das Gerücht die Runde, die Polizei sei im Anmarsch, es wird zum ersten Mal an diesem Tag unruhig. Demonstranten ziehen Masken auf; in Peking schützt man sich damit vor dem Smog, in Hongkong vor Tränengas. Vermummte schieben Trolleys zusammen.

Kurz vor 23 Uhr ist die Polizei dann da. Es wird laut im Flughafen, Laserpointer flackern auf. Polizisten in Kampfmontur, bewaffnet mit Schlagstöcken, dringen auf der Abflugebene ins Gebäude ein. Sie versprühen Tränengas. Doch es sind viel zu wenig Polizisten, um den Flughafen zu räumen. Es kommt zum Gerangel mit Demonstranten. Als ein Polizist zu Boden geht, zieht er seine Pistole, verschreckt laufen die Demonstranten davon. Das alles kann man auch aus sicherer Entfernung auf dem Smartphone sehen, das Hongkonger Fernsehen überträgt live.

Was die meisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Es wurden Geiseln genommen. Zwei Männer aus der Volksrepublik, unter ihnen ein Reporter des chinesischen Parteiblatts Global Times. Demonstranten sollen ihn mit Kabelbindern gefesselt haben, und selbst als er das Bewusstsein zu verlieren drohte, ließ man keine Ambulanz vor. Wollten die Polizisten die beiden retten?

Für Peking ist das am nächsten Tag ein gefundenes Fressen. In Chinas Staatsmedien und in sozialen Netzwerken macht sich am Mittwoch Empörung über das Vorgehen der Demonstranten breit. Die Taten einiger Protestler würden sich "nicht von den Gräueltaten von Terroristen unterscheiden", heißt es in einer Erklärung des Verbindungsbüros der chinesischen Regierung in Hongkong. Der Druck steigt merklich an.

Für Aufregung in der Stadt sorgt auch ein Tweet von US-Präsident Donald Trump, der schreibt, dass China Truppen an der Grenze zu der Metropole in Stellung bringt. Darüber sei er von den US-Geheimdiensten informiert worden. Alle Parteien sollten in dieser Lage Ruhe bewahren und für Sicherheit sorgen.

Am Mittwoch läuft der Flughafenbetrieb wieder an. Zwar werden noch immer viele Flüge als gestrichen angezeigt, Dutzende Flieger starten aber am Morgen, und der Flughafen beginnt damit, den Rückstau der vergangenen zwei Tage abzuarbeiten. Ein Gericht hat inzwischen weitere Proteste verboten. Laut Beschluss sollen "Personen davon abgehalten werden, rechtswidrig und vorsätzlich die korrekte Nutzung des Flughafens zu behindern oder zu stören". Die friedliche Besetzung ist vorbei.

Für das Wochenende werden aber wieder Großdemonstrationen erwartet - in der Stadt selbst.

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