Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Die Regierungschefin gibt nach

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Nach der Serie großer Protestdemonstrationen stoppt Hongkong nun das Gesetz über Abschiebungen nach China.

Von Christoph Giesen, München

Nach den Massenprotesten in Hongkong hat Regierungschefin Carrie Lam vergeblich versucht, die Lage zu beruhigen. Auf einer Pressekonferenz beteuerte Lam am Dienstag, dass der umstrittene Gesetzentwurf zur Auslieferung beschuldigter Personen an China nicht mehr vorgelegt werde. "Das Gesetz ist gestorben", sagte Lam. Allerdings ging sie nicht auf die Forderung der Demonstranten ein, den Entwurf formell zurückzuziehen. Es gebe weiter anhaltende Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Regierung und Sorgen, ob die Regierung das Verfahren im Legislativrat neu beginnen werde, räumte Lam ein. "Deswegen lassen Sie mich hier wiederholen: Es gibt keinen solchen Plan." Von einem offiziellen Rückzug sprach Lam jedoch nicht.

Nach Protesten Hunderttausender Hongkonger gegen die geplanten Auslieferungsregeln hatte Lam das Gesetzgebungsverfahren im Juni gestoppt. Sie setzte den Entwurf mit dem Hinweis aus, dass er nicht mehr vorgelegt und damit im Juli kommenden Jahres einfach auslaufen werde. Trotzdem dauern die Proteste an, die Demonstranten fordern weiterhin, das Gesetz auch formell zurückzuziehen. Zu groß ist das Misstrauen, dass die Regierung das Gesetz erneut ins Hongkonger Parlament einbringt, in dem mehrheitlich von Peking handverlesene Abgeordnete sitzen.

Sollte das Gesetz zu einem späteren Zeitpunkt doch noch verabschiedet werden, wären Hongkongs Behörden ermächtigt, von der chinesischen Justiz verdächtigte Personen an die Volksrepublik auszuliefern. In ein Land, in dem die Gerichte nicht unabhängig sind und teilweise Folter und Misshandlungen drohen.

"Keine unserer öffentlichen Forderungen wurde erfüllt", schrieb der ehemalige Studentenführer Joshua Wong auf Twitter. Der richtige Weg, das Gesetz zu streichen, sei ein Rückzug, da der Entwurf ansonsten bis nächsten Juli im legislativen Programm erhalten bleibe. Andere Aktivisten forderten Regierungschefin Lam auf, sich an rechtsstaatliche Verfahren zu halten. Den Begriff "gestorben" gebe es in keinem der Gesetze oder legislativen Vorgänge Hongkongs, sagte Bonnie Leung von der Menschenrechtsfront (CHRF), die viele der Proteste organisiert hatte.

Zuletzt hatten am Sonntag wieder Zehntausende gegen das Gesetz und die Regierung demonstriert. Als Ziel ihres Protests suchten sie sich diesmal den Bahnhof aus, an dem die Hochgeschwindigkeitszüge aus China ankommen. Viele der Reisenden haben wegen der Zensur in der Volksrepublik nur begrenzte Informationen über die Lage in Hongkong bekommen. Nach der friedlichen Demonstration kam es am Abend zu Zusammenstößen mit der Polizei. Sechs Menschen wurden festgenommen.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2019
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