Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Dann eben ein Spaziergang

Hongkonger Oppositionelle wollen trotz des Verbotes am Wochenende demonstrieren. Einige Hundert sind mittlerweile offen gewaltbereit - was der Polizei in die Hände spielt.

Von Lea Deuber, Peking

Mehr als 1000 Demonstranten haben am Freitag am Hongkonger Flughafen protestiert. "Es gibt keine Krawalle, es gibt nur Tyrannei!", riefen sie den ankommenden Fluggästen entgegen. Die Polizei hatte zuvor eine für Samstag angemeldete Demo untersagt. Diese sollte an jener U-Bahn-Station stattfinden, in der vermummte Männer am Sonntag Passagiere angegriffen hatten. Dabei waren über 40 Menschen verletzt worden. Die Absage der Polizei erscheint wie eine erneute Provokation: Abgeordnete hatten Vorwürfe gegen diese erhoben, weil sie trotz abgesetzter Notrufe keine Einsatzkräfte geschickt hatte. Die Organisation Civil Human Rights Front nannte die Angriffe einen "terroristischen Akt".

Aktivist Max Cheung, der die Demo am Samstag angemeldet hatte, erklärte, dennoch für einen "persönlichen Spaziergang" am Samstag in das Viertel kommen zu wollen. Tausende könnten ihm folgen. Protestierende riefen den Marsch als eine nicht-konfessionsgebundene Trauerveranstaltung für Li Peng aus. Der ehemalige chinesische Ministerpräsident und Hardliner starb vor wenigen Tagen. Er galt als einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens und war einer der meistgehassten Politiker im Land. Auf satirischen Postern beschrieben einige Li als "Hongkongs Vater der Demokratie". In Hongkong bedürfen religiöse Zusammenkünfte und Beerdigungen keiner polizeilichen Erlaubnis.

Seit sieben Wochen gehen in der chinesischen Sonderverwaltungszone immer wieder Hunderttausende Menschen auf die Straße. Sie fordern nicht mehr nur den kompletten Rückzug eines Entwurfs für ein Auslieferungsabkommen mit China, sondern auch den Abtritt der Regierungschefin Carrie Lam sowie eine offizielle Untersuchung der Polizeigewalt gegen die Proteste. Die Stimmung ist so aufgeheizt wie seit Jahren nicht mehr. Zuletzt kam es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Vor zwei Wochen hatten Hunderte das Parlament gestürmt. Vergangenes Wochenende randalierten Aktivisten nach Ende der Kundgebung am Verbindungsbüro der Kommunistischen Partei. Die Polizei berichtete am selben Tag von einem angeblichen Fund eines Waffenlagers einer Unabhängigkeitsgruppe. "Der letzte Kampf Hongkongs" ist zur Parole vieler Demonstranten geworden.

Die Polizeigewalt und die Frustration über das Schweigen der Regierung haben viele Menschen in der Stadt aufgestachelt. Das Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben, ist vor allem unter jungen Demonstranten allgegenwärtig - und auch im Interesse der Polizei, sagt Antony Dapiran. Der Hongkonger Jurist beschäftigt sich seit Jahren mit der Protestkultur der chinesischen Sonderverwaltungszone. Die Protestmärsche mit über einer Million Menschen kann die Polizei nicht stoppen. Deshalb zögen sich die Einheiten meist zurück und gingen erst am Ende der Demos gegen verbleibende Aktivisten vor, sagt Dapiran: "Es ist das gleiche Muster wie bei den Protesten vor fünf Jahren."

Gewalt und Randale werden von einem Großteil der Hongkonger nicht unterstützt, Polizei und Regierung hoffen, dass die Bewegung unter dem Eindruck der Gewalt langsam zerfällt und wie die Regenschirm-Bewegung 2014 an mangelndem Rückhalt in Bevölkerung scheitert. Das Kalkül scheint aufzugehen: Einige hundert Aktivisten könnten inzwischen offen gewaltbereit sein, schätzen Beobachter. Allerdings hat die Polizeigewalt der vergangenen Wochen und der Überfall am Sonntag eine Welle der Solidarität ausgelöst. Immer mehr Menschen fordern eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse.

Das lehnt Regierungschefin Lam bisher ab. Die Zentralregierung hat ihren Ton inzwischen deutlich verschärft. Sie werde die "radikalen Demonstranten" nicht tolerieren. Das Militär könne auf Bitten der Regierung Hongkongs Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung mobilisieren, drohte Peking. Das klang deutlich anders als im am Mittwoch veröffentlichten Weißbuch zur zukünftigen Militärstrategie Chinas. In dieser bezeichnet sich Peking als Nation, die den Frieden liebe. Noch scheint aber eine militärische Intervention in Hongkong unwahrscheinlich. Bereits jetzt ist die Verunsicherung bei Unternehmen in der Finanzmetropole groß. Nur ein chinesischer Soldat auf Hongkongs Straßen - und die Stadt wäre wirtschaftlich tot.

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SZ vom 27.07.2019
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