Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Der Zeitungsverleger, der Präsident Xi offen als Diktator bezeichnet

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Sein rebellisches Auftreten kostet Jimmy Lai viel Geld und unterscheidet ihn deutlich von seinen Branchenkollegen in der Wirtschaftsmetropole. Nun drohen ihm mehrere Jahre Haft.

Von Lea Deuber, Peking

Ein Lügner, ein Agent der amerikanischen Nachrichtendienste, ein Mitglied einer ausländisch gesteuerten Gruppe von Umstürzlern, ein Landesverräter. Mit all diesen Beschimpfungen hat die chinesische Staatspresse den Hongkonger Verleger Jimmy Lai verunglimpft. Und die Angriffe auf den 71-Jährigen sind im Laufe der Zeit immer heftiger geworden. Sie gipfelten jüngst in einem Artikel der staatlichen Global Times, in dem das Blatt prophezeite, dass Lai mit seinem neuen Account auf Twitter nicht nur Aufmerksamkeit erheischen, sondern auch gleich die notwendigen Beweise liefern werde für die Sicherheitsbehörden Pekings, um ihn gemäß der Bestimmungen des am Donnerstag beschlossenen Sicherheitsgesetzes endlich wegzusperren.

Seit Jahren setzt sich der Gründer der Apple Daily, der am zweitmeisten gelesenen Zeitung Hongkongs, für mehr Demokratie in der chinesischen Sonderverwaltungszone ein. Er ist einer der bekanntesten Köpfe der Protestbewegung. Lai nennt Chinas Parteichef Xi Jinping offen einen Diktator, nutzt seine Zeitungen, lange Zeit eher unpolitische Klatschblätter, um die Massenproteste zu unterstützen, und marschiert bei den Demos häufig in der ersten Reihe mit.

Sein rebellisches Auftreten unterscheidet ihn deutlich von seinen Branchenkollegen, den anderen Wirtschaftstycoons der asiatischen Metropole. Die haben Milliarden mit Geschäften in Hongkong verdient, üben gegenüber der Partei aber den Kotau, wenn es um die Zukunft ihrer Stadt geht. Sie sehen in Lai einen, der Ärger verursacht und so ihren Umsatz gefährden könnte. Lai zahlt bereits für seinen Widerstand. Die Kommunistische Partei übt Druck auf Firmen aus, damit sie keine Anzeigen in Lais Zeitungen mehr schalten. Häufig erscheint die beliebte Zeitung ohne eine einzige Anzeige aus Hongkong. Das kostet den Verleger nach eigenen Angaben jedes Jahr 44 Millionen Dollar.

Der Unternehmer, der Hongkong als das letzte Wunder Chinas bezeichnet, verbrachte seine ersten Lebensjahre im südchinesischen Guangdong. Er floh als kleiner Junge, in einem Boot hinaus geschmuggelt, nach Hongkong. Erst arbeitete er dort in einer Fabrik, für weniger als zehn Dollar im Monat. Schnell stieg er zum Manager auf, investierte sein Geld in Aktien und gründete mit dem Kapital ein eigenes Handelsunternehmen, das ihn reich machte. Politisiert hat den Unternehmer das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989. Jedes Jahr nimmt er an der Gedenkveranstaltung in Hongkong teil, der einzigen in ganz China. Einige würden ihn wohl als Querulant ansehen, sagte Lai in einem Interview einmal. Doch er habe ein reines Gewissen.

Lai: Entweder auswandern oder kämpfen

Das neue Sicherheitsgesetz beendet faktisch das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme", das den Menschen bis zum Jahr 2047 weitreichende Freiheiten zusichern sollte. Als Reaktion darauf schrieb Lai vergangene Woche auf Twitter, es gebe nun nur noch zwei Möglichkeiten für die Hongkonger: entweder auswandern oder kämpfen. Er habe sich für Letzteres entschieden.

Es war auch diese Äußerung, die Chinas Staatspresse zu ihrer direkten Drohung gegen Lai veranlasste, gegen den "modernen Landesverräter". Die chinesischen Behörden seien gut darin, Menschen zu bedrohen, sagte Lai im vergangenen Jahr. Kurz zuvor hatte seine Familie ihn - der sich selbst als Chinesen bezeichnet, nicht nur als Hongkonger, wie viele junge Demonstranten - angeblich aus dem Familienstammbaum gestrichen. Sie würden ihn nur noch den "fetten Lai" nennen, schrieb die Staatspresse.

Jimmy Lai gehört zu den zahlreichen prominenten Vertretern der Demokratiebewegung, gegen die Verfahren laufen. Die Behörden hatten ihn und andere vorübergehend festgenommen, da sie an nicht genehmigten Protesten teilgenommen haben sollen. Bis Juni ist Lai noch auf freiem Fuß. Ihm drohen mehrere Jahre Haft.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2020
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