Chinas Sonderverwaltungszone:Wahllos in Hongkong

Chinas Sonderverwaltungszone: Hongkongs Parlament: China hatte bis 2047 weitgehende Autonomierechte zugesichert, praktisch verlangt es jedoch Treue zur Volksrepublik.

Hongkongs Parlament: China hatte bis 2047 weitgehende Autonomierechte zugesichert, praktisch verlangt es jedoch Treue zur Volksrepublik.

(Foto: Tyrone Siu/Reuters)

In der früheren britischen Kronkolonie wird an diesem Sonntag über ein neues Parlament abgestimmt. Zugelassen sind jedoch nur Kandidaten, die aus Sicht Pekings Patrioten sind.

Von Lea Sahay, Peking

Noch vor einigen Jahren herrschten zu dieser Zeit die politisch aufregendsten Wochen in Hongkong. Kurz vor der Parlamentswahl, die alle vier Jahre stattfinden, bevölkerten Parteivertreter die engen Straßen der Metropole und gingen zwischen Shoppingmalls und Bankentürmen auf Wählerfang. Es wurde kontrovers debattiert und gerne auch mal heftiger gestritten. Damit ist es nun vorbei.

Die chinesische Sonderverwaltungszone hatte zwar nie ein gänzlich freies demokratisches Wahlsystem. An diesem Sonntag wird jedoch zum ersten Mal seit der Wahlreform im März das Parlament neu gewählt. Kandidat werden darf nur noch, wer aus Sicht Pekings Patriot ist.

Die im Frühjahr von Chinas Führung verordneten neuen Regeln haben die Kandidatur für Oppositionspolitiker faktisch unmöglich gemacht. Das neue Parlament wurde im Zuge der Reform zwar von 70 auf 90 Abgeordnete vergrößert. Direkt vom Volk gewählt werden aber nur noch 20 Vertreter. Zuvor waren es noch 35.

Auch das Komitee zur Wahl des Hongkonger Regierungschefs wurde von 1200 auf 1500 Vertreter aufgeblasen. Die bisherigen Bezirksräte, die fast ausschließlich der pro-demokratischen Opposition angehörten, sind aus dem Gremium entfernt worden. Ersetzt wurden sie von weiteren Interessengruppen, die als Peking freundlich gelten.

Mehr als 50 Aktivisten wurden verhaftet

Die entscheidende Änderung: Wer überhaupt bei den Parlamentswahlen antreten darf, obliegt nun einem Wahlkomitee, das jeden Kandidaten prüft. Schon in der Vergangenheit wurden Politiker disqualifiziert, die Peking nicht passten. Nun muss jedoch jeder beweisen, dass er im Sinne der Kommunistischen Partei "Patriot" ist. Chinas Außenminister Wang Yi hatte diesen Schritt im März verteidigt. Loyalität zum Vaterland sei eine Anforderung für Amtsträger in jedem Land. Das Vorhaben sei "rechtmäßig, angemessen und vernünftig".

Zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Massenproteste ist die Opposition in der Stadt faktisch ausgelöscht. Wegen der Pläne für ein Auslieferungsgesetz mit Festlandchina hatten 2019 Hunderttausende Menschen über Monate gegen den wachsenden Einfluss Pekings demonstriert. China hatte der früheren britischen Kronkolonie eigentlich bis 2047 weitreichende Autonomierechte zugesichert.

Den massiven Widerstand empfand Peking als einen Angriff auf seinen alleinigen Machtanspruch. Die Reaktion war ein sogenanntes Sicherheitsgesetz, das lebenslange Haft als Höchststrafe für zahlreiche Vergehen vorsieht, die Chinas Behörden als Subversion, Abspaltung und Terrorismus werten.

Das Gesetz legen die Sicherheitsbehörden großzügig nach ihren Interessen aus. Mehr als 50 Aktivisten wurden allein aufgrund ihrer Beteiligung an den Vorwahlen verhaftet, die das demokratische Lager vor der Parlamentswahl im vergangenen Jahr veranstaltet hatte. Zahlreiche frühere Abgeordnete, Aktivisten und Journalisten sind inzwischen ins Ausland geflüchtet, um einer Verfolgung zu entgehen.

Erst am Montag legte ein Hongkonger Gericht das Strafmaß für acht weitere Hongkonger Aktivisten fest, die wegen ihrer Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens 1989 verurteilt worden waren. Die traditionelle Andacht war 2020 zum ersten Mal seit 30 Jahren in der Stadt verboten worden. Der Erlass erfolgte aufgrund angeblich notwendiger Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie.

Ex-Politiker rufen zum Boykott auf

Verurteilt wurde in diesem Zusammenhang diese Woche auch der bekannte Verleger Jimmy Lai, der bereits wegen anderer angeblicher Vergehen im Gefängnis sitzt. Am Montag erhielt der Geschäftsmann eine zusätzliche Haftstrafe von 13 Monaten. Die sieben weiteren Mitangeklagten wurden zu Gefängnisstrafen zwischen viereinhalb und 14 Monaten verurteilt. Insgesamt wurden damit 24 Aktivisten und frühere Politiker im Zusammenhang mit der Gedenkveranstaltung verurteilt.

Auch wenn der Ausgang der Wahl am Sonntag keine Mehrheit für das Demokratie-Lager zulässt, scheint Chinas Führung nervös zu sein. Besonders eine niedrige Wahlbeteiligung will man anscheinend unbedingt vermeiden, um den Vorwürfen zuvorzukommen, der Wahlprozess spiegele nicht die öffentliche Meinung wider.

Während der Massenproteste Ende 2019 hatte eine Rekordzahl von 71 Prozent der Hongkonger an den Distriktwahlen teilgenommen. 17 von 18 Bezirksräten gingen damals an die Opposition. Das war ein Schock für Peking und für viele Beobachter der Auslöser, um das Wahlsystem zu reformieren.

Zahlreiche frühere Politiker haben nun dazu aufgerufen, als letzte Form des Widerstands am Sonntag zu Hause zu bleiben oder ungültige Stimmen abzugeben. Die Polizei reagierte bereits mit einer Warnung, dass es illegal sei, Wähler zum Wahlboykott aufzurufen. Mehrere Hongkonger, die einen Boykott online unterstützt hatten, wurden verhaftet.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusHongkong
:Weg mit dem Mahnmal des Todes

Die Universität Hongkong will die "Säule der Schande" abreißen, die an das Tian'anmen-Massaker von 1989 erinnert. Nur hat sie übersehen: Die Skulptur gehört einem Dänen - und der wehrt sich.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: