Chinas Hongkong-Politik:Großbritannien beginnt zu murren

A pro-democracy demonstrator waves the British colonial Hong Kong flag during a protest against new national security legislation in Hong Kong

Erinnerung an vergangene Zeiten: Demonstranten der Demokratie-Bewegung in Hongkong schwenken am Montag die alte britische Kolonialflagge.

(Foto: Tyrone Siu/REUTERS)

Nach langem Schweigen wächst unter britischen Politikern die Kritik an China, das den Autonomiestatus des Stadtstaats Hongkong aushebeln will - trotz wirtschaftlicher Abhängigkeit.

Von Cathrin Kahlweit, London

Wenn sieben ehemalige britische Außenminister einen offenen Brief an ihren Nachfolger, an Dominic Raab, schreiben, dann muss die Sache wichtig und dringend sein. Die Welt warte darauf, mahnen erfahrene Kollegen wie William Hague, Malcolm Rifkind, David Miliband oder Jeremy Hunt, dass die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien ihrer historischen Verantwortung für Hongkong gerecht werde. London müsse umgehend gemeinsam mit anderen Staaten eine Reaktion auf den Tabubruch Pekings organisieren, eine internationale Kontaktgruppe nach dem Vorbild der Balkan-Initiative 1994 gründen, und um den autonomen Status der ehemaligen Kronkolonie kämpfen.

Der Grund für die Intervention ist das "Sicherheitsgesetz", mit dem der chinesische Volkskongress die Protestbewegung unter seine Kontrolle bringen und Freiheitsrechte in Hongkong einschränken will. Die Botschaft hinter dem Schreiben ist klar: Das Foreign Office dürfe die China-Politik nicht den USA und Donald Trump überlassen - und müsse zugleich entschiedener als bisher gegen Peking auftreten.

Der offene Brief ist nur ein Indiz dafür, wie stark Downing Street unter Druck steht, eine außenpolitische Strategie zu entwickeln, die aus mehr als Ankündigungen und Suchbewegungen besteht. Der Brexit-Prozess ist immer noch nicht abgeschlossen, das Verhältnis zur EU ist angespannt, das zu den USA und ihrem irrlichternden Präsidenten ambivalent, zudem ist das Verhältnis zu China besonders kompliziert - und ökonomisch unangenehm eng.

Das Königreich ist Spitzenreiter in Europa, was Investitionen aus China angeht; umgekehrt ist China der fünftgrößte Handelspartner Britanniens. Mit der Entscheidung, den Technologieriesen Huawei maßgeblich am Ausbau des 5G-Netzwerkes zu beteiligen, hatte sich London Proteste im eigenen politischen Lager und den Zorn Washingtons eingehandelt.

Der Angriff auf den Sonderstatus von Hongkong, das die Briten 1997 an China unter der Prämisse zurückgaben, dieser müsse für 50 Jahre garantiert sein, hat eine heftige Debatte in Regierung und Parlament darüber in Gang gesetzt, wie konfrontativ man sich verhalten will gegenüber Peking. So viel ist bereits klar: Die Stimmen, die ein entschiedenes Vorgehen gegen und eine Minderung der ökonomischen Abhängigkeit von China fordern, werden stündlich lauter.

Chris Patten, letzter britischer Gouverneur der Kronkolonie, ist empört. Peking kündige gerade einen Kompromiss auf, der sowohl China als auch Großbritannien jahrzehntelang moralische und politische Probleme vom Hals gehalten habe. Das Königreich müsse, so Patten in der Financial Times, jetzt "eine harte Haltung einnehmen gegenüber einem Regime, das ein Feind offener Gesellschaften ist. Das sind wir Hongkong schuldig."

Zudem hat sich eine Peking-kritische "China Research Group" im Unterhaus gegründet, die an die Brexit-Truppe "European Research Group" erinnert. Sie meldet regen Zulauf. Tom Tugendhat, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses in Westminster, lässt wissen, Peking töte das Lebensmodell, an das sich alle Vorgänger von Präsident Xi gehalten hätten. Dieser kehre "der Vergangenheit den Rücken". Tugendhat und andere Abgeordnete sympathisieren mit den Plänen im US-Senat, Hongkong mit dem Verlust der Autonomie auch seinen Status als spezieller Handelspartner zu entziehen, was Peking ökonomisch empfindlich treffen würde. Die britische Regierung will einen völligen Bruch mit China vermeiden, aber die Distanz vergrößern. Wie, das wird derzeit ausgelotet.

London will Hongkong-Bürgern, die vor 1997 geboren sind, den Aufenthalt erleichtern

Boris Johnson und sein Außenminister, Dominic Raab, hatten einen "deep dive", eine intensive Befassung mit den außenpolitischen Herausforderungen Großbritanniens angekündigt, aber diese war im Corona- und Brexitwirbel schlicht untergegangen. Nun schafft Peking Fakten, und London muss reagieren: Mit dem Sicherheitsgesetz wird, das sieht man nicht nur in London so, das "Ein Land, zwei Systeme"-Prinzip ausgehebelt, und wer sollte berufener sein als die Briten, sich für die Bewohner Hongkongs und den 1984 in der Sino British Joint Declaration festgelegten Sonderstatus einzusetzen?

In kleinen Schritten geht die britische Regierung daher auf Kollisionskurs. Sie kündigte an, die Aufenthaltsrechte für jene etwa 300 000 Bürger Hongkongs auszuweiten, die derzeit im Besitz eines BN(O)-Passes (British National Overseas Passport) sind; er wurde an jene ausgegeben, die vor der Übergabe an China 1997 geboren sind. Etwa drei Millionen mehr Menschen haben einen Anspruch darauf. In der BBC dementierte Raab am Sonntag, dass die Einreise von Millionen bevorstehe; nur "ein Bruchteil" werde kommen. Die Entscheidung sei jedoch eine "Frage des Prinzips". Das Innenministerium sekundierte. Der Schritt sei nötig, weil Peking die Verpflichtung negiere, die Rechte der Bürger von Hongkong zu sichern.

Außerdem mehren sich Berichte, dass Downing Street die Huawei-Entscheidung überdenkt; womöglich werde die Rolle, die der Konzern im Königreich spielen soll, kleiner als geplant. Der konservative Spectator beruft sich unter der Überschrift "Dem Drachen entkommen" auf zahlreiche Quellen aus der Regierung, die ein "Ende der goldenen Ära" verkünden, welche Premier David Cameron noch vor einigen Jahren in den Beziehungen zu China eingeläutet hatte. Man wolle Importe diversifizieren, um die Abhängigkeit von chinesischen Lieferanten zu vermindern und die Übernahme britischer Unternehmen durch chinesische Konzerne erschweren.

Der Guardian ist allerdings skeptisch ob der angekündigten Härte. Großbritannien sei derzeit viel zu schwach, um China ernsthaft herauszufordern. Die Hongkong-Frage, schreibt das Blatt, sei "der erste echte Test" für Johnsons Traum von "Global Britain".

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