Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Berlin macht es sich leicht

Deutschland schaut zu, wie Menschen verprügelt werden, die für ihre Freiheit kämpfen.

Von Lea Deuber

In Hongkong missbrauchen die Behörden ein Notstandsgesetz aus der Kolonialzeit, um die Freiheit der Bürger einzuschränken. Die Regierung fügt damit dem Hongkonger Rechtsstaat irreparablen Schaden zu. Die Entscheidung ist eine politische Bankrotterklärung und zeigt, dass die Regierung kein Interesse mehr hat an einem Dialog.

Inzwischen aber äußern viele weniger Kritik an Peking - der Macht hinter der Regierung Hongkongs - als vielmehr an den Demonstranten. Diese fordern neben dem allgemeinen Wahlrecht und einer Untersuchung der Polizeigewalt auch Straffreiheit für Festgenommene und verlangen, dass sie nicht mehr als "Aufständische" bezeichnet werden. Eine pauschale Straffreiheit ist als Forderung fragwürdig. Immerhin kämpfen die Menschen für einen Rechtsstaat. Es wäre jedoch falsch, sich hierauf zu konzentrieren.

Was die Demonstranten auf die Straße treibt, sind nicht nur konkrete Forderungen; es ist das Gefühl, kein politisches Vertrauen mehr haben zu können. Die Menschen haben den Glauben an ihre Regierung, Polizei und Justiz verloren. Es ist kurios, wenn man der Bewegung vorwirft, keinen Anführer zu bestimmen. Die führenden Köpfe der Regenschirmbewegung 2014 sind politisch verfolgt worden. Und die Behörden lassen bereits jetzt erneut führende Aktivisten festnehmen.

Die Demonstranten sollen auf Freiheit verzichten, weil es ihnen wirtschaftlich ja gut geht

Sicher ist die zunehmende Gewalt einiger Demonstranten ein Problem. Die überwiegende Mehrheit freilich protestiert friedlich. Ohne demokratische Mitbestimmung bleibt das ihr einziger Weg, politischen Unmut auszudrücken. In jedem demokratischen System müsste der Regierungschef zurücktreten, wenn er das Vertrauen der Bevölkerung verliert. In Hongkong werden die Massen hingegen bedroht, verprügelt und verhaftet. Peking versucht, die Bewegung auszubluten. So zu tun, als würde man deren Botschaft nicht verstehen, weil die Methodik nicht stimmt, ist beschämend. Die Menschen kämpfen schlicht für ihre Freiheit.

Anstatt diese Bewegung zu unterstützen, macht man es sich in Deutschland leicht. Berlin pocht auf die Einhaltung des Prinzips "Ein Land, zwei Systeme". Dabei ist dieses längst gescheitert. Peking hat es von 1997 an unterwandert, seit dem ersten Tag der Übergabe durch die Briten. Es hat Aktivisten verschleppt, Abgeordnete aus dem Amt gedrängt und die Wirtschaft gegängelt, bis sie nach Chinas Regeln spielte.

Die deutschen Wirtschaftsinteressen in China sind größer als das Interesse an den politischen Freiheiten der Menschen in Hongkong. Impliziert verlangt man von den Demonstranten, auf Freiheitsrechte zu verzichten, weil es ihnen ja wirtschaftlich gut gehe. Aus der deutschen Ferne lässt sich leicht über die dramatische Menschenrechtslage in China hinwegsehen, doch vor Ort, in Hongkong, ist der autoritäre Einfluss Chinas überall zu spüren. Den darf eine Bundesregierung nicht ignorieren.

Die Hongkonger Demonstranten werden in diesen Tagen von manchen hingestellt wie ein Kind, das noch nicht weiß, wann es den Mund zu halten hat. Hinter den Kulissen drängen Akteure der deutschen Wirtschaft auf ein Ende der Proteste, weil diese die Bilanzen verhageln. Die Demonstranten führen damit nicht nur Peking vor. In westlichen Demokratien beanspruchen viele Menschen Freiheiten für sich, die ihnen anderswo, zum Beispiel in Hongkong, offenbar egal sind.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2019
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