Hongkong:Attacke im Untergrund

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Gegen Tränengas ist der Regenschirm machtlos: Demonstranten am Sonntag in Hongkong. (Foto: Geovien So/dpa)

Weiß gekleidete und maskierte Männer prügeln auf Menschen in der U-Bahn ein. Prodemokratische Abgeordnete machen Peking für den Übergriff verantwortlich.

Von Lea Deuber, Peking

Hunderte Unbekannte haben in einer Hongkonger U-Bahn-Station Protestierende und Pendler angegriffen. Auf im Internet veröffentlichten Videoaufnahmen ist zu sehen, wie weiß gekleidete und maskierte Angreifer an der Haltestelle Yuen Long und in einem in die Station eingefahrenen Waggon Passanten, Journalisten und mutmaßliche Aktivisten attackieren. Diese waren wie die meisten Demonstranten an diesem Tag schwarz gekleidet und auf dem Weg nach Hause. Die Männer schlugen mit Bambusstäben auf die Menschen ein. Mindestens 45 darunter wurden verletzt, einer schwer.

Zuvor war es am Wochenende bereits zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. In einer Pressekonferenz am Montag verurteilte die Regierungschefin Carrie Lam die Angriffe und versprach eine Untersuchung. Laut Aussagen einiger Passagiere aus dem betroffenen Waggon sei es am Sonntagabend aber nicht möglich gewesen, die Polizei über den Notruf zu erreichen, weil dort niemand abhob. Andere berichten, die Polizei sei trotz ihrer abgesetzten Notrufe nicht eingeschritten. Bisher hat die Polizei noch keinen der Schläger festgenommen, obwohl sie viele der Beteiligten im Laufe des Abends hätte aufgreifen können, da diese weiterhin in der Stadt unterwegs waren. Prodemokratische Abgeordnete des Hongkonger Parlaments vermuteten kriminelle chinesische Banden, die auf Geheiß Pekings und in Zusammenarbeit mit der Hongkonger Polizei gehandelt haben sollen, hinter den Übergriffen, wie sie in einem Statement mitteilten. Ähnliche Übergriffe hatte es bereits bei den Protesten vor fünf Jahren gegeben, als in Hongkong die prodemokratische Regenschirm-Bewegung die Innenstadt besetzt hatte.

Auf einem zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommenen Video ist ein Abgeordneter des prochinesischen Lagers im Hongkonger Parlament zu sehen, der anscheinend einige der Angreifer in weißen T-Shirts lobt, ihnen die Hände schüttelt und sie als "seine Helden" bezeichnet. Sein Büro wurde am Montag von maskierten Männern verwüstet.

Vorher hatten am Sonntag Hunderttausende Demonstranten erneut gegen die Regierung und für Ermittlungen gegen das Vorgehen der Polizei bei vorangegangenen Protesten demonstriert. 430 000 Menschen hatten laut der Organisatoren an dem Marsch teilgenommen. Nach Schätzungen der Polizei, die in Hongkong in der Regel sehr niedrig ausfallen, sollen es nur 138 000 Teilnehmer gewesen sein. Demonstranten blockierten Straßen in der Nähe des Regierungssitzes und des Parlaments, die jeweils mit zwei Meter hohen Absperrungen abgesichert worden waren. Nach Ende der Kundgebung bewarfen einige Demonstranten das Verbindungsbüro der Kommunistischen Partei Chinas in der Stadt mit Eiern, besprühten die Überwachungskameras am Gebäude und beschmierten das dort angebrachte chinesische Wappen mit schwarzer Tinte. Einige Demonstranten besprühten das Gebäude auch mit Slogans wie "Befreit Hongkong".

Viele der Demonstranten hatten sich mit Atemschutzmasken und Helmen ausgerüstet

Polizeibeamte setzten am Abend Tränengas ein, um die Menge auseinanderzutreiben. Viele der Demonstranten hatten sich für die Konfrontation mit Atemschutzmasken und Helmen ausgerüstet. Einige errichteten an verschiedenen Stellen in der Innenstadt Straßensperren. Über Verletzte und Festnahmen wurde zunächst nichts bekannt. Über ihre offiziellen Konten in den sozialen Medien teilte die Polizei später mit, Demonstranten hätten Backsteine und Molotowcocktails auf Beamte geworfen.

Im Vorfeld hatte die Polizei ein Waffenlager im Lagerraum einer Unabhängigkeitsgruppe gefunden. Die Polizei stellte zwei Kilogramm Sprengstoff, Brandsätze, Säure, Messer und Metallstangen sicher. Sie nahm am Samstagabend einen 27-Jährigen und zwei 25-Jährige fest. Die Ermittler untersuchten nach eigenen Angaben, ob ein Zusammenhang mit den Protestaktionen besteht. Der Lagerraum war von der Hongkonger National Front gemietet worden, die für die Unabhängigkeit des chinesischen Territoriums eintritt. Die Gruppe beteuerte aber nach Medienberichten, nichts von dem Sprengstoff gewusst zu haben. Es seien dort nur Lautsprecheranlagen und Infomaterial gelagert worden. Der festgenommene 27-Jährige gehöre der Organisation an. Die Polizei hatte auf "Geheimdienstinformationen" reagiert, als sie das Lager am Freitagabend entdeckte, wie die South China Morning Post berichtete. Bei dem Sprengstoff handelte es sich demnach um hochexplosives Material, wie es auch von Islamisten bei Anschlägen in Europa verwendet wurde.

Die chinesischen Staatsmedien verurteilten die Proteste. Am Sonntag sprach die Volkszeitung, ein Parteiorgan der KP Chinas, von "radikalen Extremisten", die die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen treten würden. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua sprach von einer "eklatanten Herausforderung für die Zentralregierung", die diese nicht tolerieren werde.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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