Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Hunderttausende beim Parkspaziergang

  • Auch am Sonntag haben wieder Hunderttausende Menschen in Hongkong gegen eine zunehmende Dominanz Pekings in der Millionenmetropole demonstriert.
  • Weil die Polizei den Plan in der Innenstadt zu demonstrieren untersagt hatte, fand die Hauptkundgebung im eigentlich viel zu kleinen Victoria Park statt.
  • Bei Protesten in den vergangenen Tagen war es teils zu Ausschreitungen und Gewalt gekommen.

Von Christoph Giesen, Hongkong

Der Victoria Park in Hongkongs Causeway Bay: Jedes Jahr machen hier zum Frühlingsfest Hunderte Blumenstände auf, man kann Narzissen, Chrysanthemen oder Pfingstrosen kaufen. Tausende Hongkonger kommen vorbei, schön ist es dann im Victoria Park - voller Trubel, aber nicht zu voll. An diesem Sonntag ist der Park restlos überfüllt. Die sechs Fußballplätze sind besetzt, genauso der Rasen des Central Lawn. Mit etwas Fantasie kann man sich in dem Park 60 000, vielleicht 70 000 Leute vorstellen. Aber mehrere Hunderttausend, gar eine Million Menschen? Die Idee der Organisatoren in der Not: Es muss in Schichten demonstriert werden.

Eigentlich sollte die große Demonstration an diesem Sonntag durch die Hongkonger Innenstadt führen. Aufgerufen zur Kundgebung hatte das Bündnis Civil Human Rights Front, das im Juni erst eine Million, dann gar zwei Millionen auf die Straße gebracht hatte, um die Pläne der eigenen Regierung für ein Gesetz zu stoppen, das Auslieferungen in der Volksrepublik China erlaubt hätte. Inzwischen richtet sich der Protest zunehmend gegen Peking direkt. Am Freitag jedoch untersagte die Polizei den Plan, durch die Innenstadt zu marschieren.

Friedliche Proteste als Ziel

Die Demonstration ist so etwas wie ein Gradmesser: Welchen Rückhalt hat die Protestbewegung noch in der Stadt? Immer wieder war es in den vergangenen Wochen zu Ausschreitungen gekommen, am Flughafen hielten Demonstranten einen chinesischen Reporter fest und fesselten ihn mit Kabelbindern. Wasser auf die Mühlen der chinesischen Führung, die die Hongkonger Demonstranten jüngst als Terroristen bezeichnete. "Wir hoffen, dass wir der Welt zeigen können, dass Hongkongs Bevölkerung völlig friedlich sein kann", meinte nun Organisatorin Bonnie Leung.

Wegen des Verbots nun also eine Versammlung im Victoria Park: Der füllt sich rasch. Die Demonstranten haben selbst gemalte Plakate dabei. Sie fordern das endgültige Aus für das umstrittene Gesetz. Man sieht Bilder von Regierungschefin Carrie Lam mit Hitler-Bärtchen, zudem verlangen die Demonstranten freie Wahlen und eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt. Vergangenes Wochenende hatte eine junge Frau ihr Augenlicht verloren, nachdem sie von einen Polizeigeschoss im Gesicht getroffen wurde.

Zudem hatten Beamte Tränengasgranaten in einer U-Bahnstation gezündet - gefährlich, da das Gas nicht wie unter freiem Himmel abziehen kann und den Menschen kaum Fluchtwege zur Verfügung stehen. Die UN-Menschenrechtskommission kritisierte die Hongkonger Polizei deshalb: "Es wurde mehrfach beobachtet, wie Beamte Tränengaskanister in überfüllte, geschlossene Bereiche geworfen und direkt auf einzelne Demonstranten gezielt haben", heißt es in einer Erklärung. Im Victoria Park fordern die Demonstranten am Sonntag deshalb den Rücktritt der gesamten Polizeiführung. Sie stehe Peking zu nah.

Ein Meer aus Regenschirmen im Park

Dann beginnt es zu regnen im Park. Es ist einer dieser subtropischen Schauer, innerhalb von Sekunden ist man klitschnass. Regenschirme werden aufgespannt, keine fünf Meter kann man mehr sehen. Wer medizinische Hilfe braucht, soll seinen Regenschirm schüttelt, damit die Sanitäter von der Bühne aus dorthin dirigiert werden können, heißt es. Auf einmal Donner. "Passt auf, dass ihr nicht neben einem Polizisten steht", scherzt eine Rednerin auf der Bühne. Die Menge johlt. Sie alle kennen das chinesische Sprichwort, dass der Blitz all jene trifft, die zuvor etwas Schlechtes getan haben.

Nach gut einer Stunde sollen die ersten Menschen den Park verlassen, Platz machen für die vielen anderen Demonstranten, die vor den Toren im Regen warten. Doch die Polizei öffnet nicht. Offenbar möchte sie vermeiden, dass die Demonstranten in die umliegenden Straßen strömen und somit doch in der Hongkonger Innenstadt protestieren. Geschlagene zwei Stunden dauert es, bis man das Parktor erreicht hat. Und auch dann geht es nicht weiter, auf mehreren Kilometern ist alles dicht. Demonstranten laufen kreuz und quer, manche Richtung Banken- und Regierungsviertel, andere zum Park, nirgendwo sind Einsatzkräfte, die die Menschenströme leiten. Wie viele am Ende demonstriert haben? Nach ersten Angaben der Organisatoren sollen es 1,7 Millionen gewesen sein. In dieser Zahl fehlten noch diejenigen, die es wegen Verkehrseinschränkungen nicht zum Veranstaltungsort geschafft hätten, sagte Jimmy Shan von der Civil Human Rights Front am Sonntag. Die Polizei sprach von lediglich 128 000 Teilnehmern.

Es ist fast ein Wunder, dass es an diesem Sonntag in den Hochhausschluchten nicht zu einer Massenpanik kommt. Viele Demonstranten nehmen es sogar mit Humor: "Tongzhimen, kai lu!", rufen sie den wenigen Beamten am Straßenrand zu. Übersetzt heißt das: "Genossen, öffnet die Straße!" Statt des kantonesischen Dialekts, der in Hongkong gesprochen wird, schreien sie auf Hochchinesisch, wie es in der Volksrepublik üblich ist. Die nächste Spitze gegen die Hongkonger Polizei. Genossen gibt es schließlich nur in China.

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SZ vom 19.08.2019/mxm
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