Homosexuellen-Mahnmal in Berlin:Der Kuss des Anstoßes

Heute wird in Berlin das erste Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle eingeweiht. Es ist eine Stele, in deren Innerem ein Film abgespielt wird: sich ewig küssende Männer. Ärger gab es schon im Vorfeld.

Sie waren "Volksschädlinge". Sie wurden wegen ihrer Sexualität verfolgt, weggesperrt und umgebracht. Dass Homosexuelle mit zu den Opfern des Nationalsozialismus gehörten, war im Nachkriegsdeutschland nur am Rande Thema, der Schwulen-Paragraph 175 blieb nach 1945 weiter in Kraft.

Homosexuellen-Manmahl

Dieser Kuss sorgte bereits im Vorfeld für Ärger. Wieder einmal seien die Frauen vergessen worden, titelte "Emma".

(Foto: Foto: ddp)

Nun soll in Berlin ein Mahnmal an diese Opfer erinnern. Heute übergibt Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) das Denkmal unweit des Brandenburger Tors der Öffentlichkeit. Es befindet sich an einem symbolischen Ort: Genau gegenüber dem Stelenfeld für die ermordeten Juden Europas nahe dem Potsdamer Platz.

Und an dieser Symbolik bedient sich auch das Denkmal: Das dänisch-norwegische Künstlerpaar Michael Elmgreen und Ingar Dragset hat seinen Entwurf bewusst an die Stelen angelehnt. Die beiden haben die statische Stelenform gewählt, diese abgeändert, und im Inneren ein dynamisches Element eingebunden. Ein kleines Fenster in dem Betonquader gibt den Blick frei auf einen Bildschirm. Der zeigt eine Videoprojektion einer schier endlosen Kussszene eines gleichgeschlechtlichen Paares.

"Ein Mahnmal bedient sich bei dem anderen - so was ist eher unüblich", sagte Elmgreen der Frankfurter Rundschau. "Der Film kann durch den Ausschnitt im Beton immer nur von zwei, drei Personen gleichzeitig angeschaut werden. Das heißt, man muss in direkten Kontakt mit dem Mahnmal treten, wenn man es in Gänze wahrnehmen will", so der Künstler weiter.

Das etwa 600.000 Euro teure Mahnmal sorgte schon im Vorfeld für Diskussionen. Denn ursprünglich war im Clip eine endlose Kussszene zweier Männer geplant. Das wiederum löste 2006 eine Kampagne der Zeitschrift Emma aus, die das Mahnmal kritisierte. "Wieder einmal wurden die Frauen vergessen!", titelte das Blatt. "Emma war am Skandal interessiert, nicht an einer wirklichen Debatte, es ging nicht um Details, sondern um den Furor", verteidigt Ingar Dragset das ursprüngliche Konzept.

Gefahr für den "Fortbestand des Volkes"

Trotzdem haben es die Künstler daraufhin geändert: "Alle zwei Jahre wird es einen neuen Film geben, der neu ausgeschrieben und von einer Jury ausgewählt wird", sagt Michael Elmgreen. Ein ganzer Filmfundus solle so entstehen.

Ein Text informiert über die Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit. Eine der zentralen Passagen dabei lautet: "Mit diesem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland die verfolgten und ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an das Unrecht wachhalten und ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen."

In der NS-Zeit wurden Schätzungen zufolge 54.000 Homosexuelle verurteilt, etwa 7000 wurden in Konzentrationslagern ermordet. Die Künstler des Berliner Mahnmals wollen den Holocaust an sechs Millionen Juden nicht mit den Leiden der Homosexuellen in der NS-Zeit vergleichen, aber es gehe um die gleiche Intoleranz, wie sie betonen.

Verschärfung in der NS-Zeit

Die Nazis hatten den aus dem Jahr 1871 stammenden Homosexuellen-Paragraphen 175 noch verschärft. So genügte schon ein "begehrlicher Blick" oder gar ein Kuss in aller Öffentlichkeit, um Homosexuelle ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager zu bringen. Dort wurden die Häftlinge mit dem "rosa Winkel" gekennzeichnet. Viele Schwule ließen sich damals kastrieren - "freiwillige Entmannung" wurde das offiziell genannt, wie eine Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg dokumentiert. Die Nazis sahen die Homosexualität als Untergrabung des "natürlichen Lebenswillens" an, da sie den "Fortbestand des Volkes" gefährden könne.

Razzien in einschlägigen Lokalen häuften sich, in Berlin vor allem rund um den Nollendorfplatz, wo der homosexuelle britisch-amerikanische Autor Christopher Isherwood seine später auch verfilmten Erlebnisse literarisch verarbeitete ("Goodbye to Berlin", als Musical "Cabaret"). Hier erinnert schon seit geraumer Zeit eine Gedenktafel an die homosexuellen NS-Opfer mit der Aufschrift "Totgeschlagen - totgeschwiegen". Jedes Jahr führt im Juni die Demonstrationsroute des Berliner Christopher Street Days an dieser Gedenktafel vorbei.

Nach 1945 wurde der in der NS-Zeit verschärfte Schwulen-Paragraph 175 in der BRD zunächst noch beibehalten, während die DDR zur liberaleren Fassung der Weimarer Republik zurückkehrte. Im Zuge des 68er-Reformaufbruchs wurde die Homosexualität unter Erwachsenen in Westdeutschland seit 1969 nicht mehr unter Strafe gestellt, 1994 fiel der Schwulen-Paragraph ganz und wich dem geschlechtsneutral formulierten neuen Paragraphen 182. Darin wird generell der sexuelle Missbrauch von Jugendlichen unter Strafe gestellt. Erst 1990 hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen.

15 Jahre lang hat der Lesben- und Schwulenverband für das Mahnmal gekämpft. Nun also wird es der Öffentlichkeit übergeben. Dass auf der offiziellen Einladung von Staatsminister Neumann aber das Bild der sich küssenden Männer nicht abgedruckt ist, finden die Künstler nicht zeitgemäß. Hier sei die einmalige Chance verschenkt worden, "dass das Bundeskanzleramt ein Bild zweier küssender Männer verschickt", sagten sie dem Stadtmagazin Zitty.

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