Homosexualität im Nationalsozialismus:"Der Abschaum, das waren wir"

"Lass Dir die Eier rausnehmen, dann bist Du ein freier Mann" - Homosexuelle waren in Konzentrationslagern in besonderer Weise Opfer von Brutalität und Misshandlungen. Das Schicksal dreier Inhaftierter im KZ Sachsenhausen - eine Dokumentation.

Sie wurden bevorzugt Strafkommandos zugewiesen, waren in der "Isolierung" untergebracht, waren Opfer gezielter Mordaktionen: die Gruppe der sogenannten "Rosa-Winkel"-Häftlinge. Dieses Zeichen erhielten Homosexuelle im Konzentrationslager. Im Lager Sachsenhausen waren von 1936 bis 1945 rund 1000 Homosexuelle inhaftiert, mehr als in jedem anderen KZ.

Homosexualität im Nationalsozialismus: Walter Schwarze kurz vor seiner Verhaftung im Jahr 1940.

Walter Schwarze kurz vor seiner Verhaftung im Jahr 1940.

(Foto: Foto: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten/Joachim Müller)

Unter den Inhaftierten im KZ Sachsenhausen ist Walter Schwarze. Mit 18 Jahren hat er erste Kontakte zur Homosexuellenszene in Leipzip. Im Mai 1940 äußert er sich kritisch über den Krieg, eine junge Frau denunziert ihn bei der Gestapo. Bei der Verhandlung gibt er seine Homosexualität offen zu. Der Amtsrichter ordnet "Umerziehung" an. Die Folge: Einweisung in ein Konzentrationslager.

Walter Schwarze schreibt dazu: "Weder habe ich an eine Umschulung der Homosexualität gedacht noch sonst was. Sondern ich habe mich einfach reintreiben lassen; wie das Vieh innerhalb des KZs, in diesen Krater, in diesen Käfig voller toter Seelen."

Im Dezember 1940 wird er nach Sachsenhausen überstellt, unter Prügel treibt man die Häftlinge ins Lager: "Mit einmal stempelten die uns ab, keine Menschen mehr zu sein, sondern nur noch der Abschaum der Menschheit. Wir mussten uns Nummern an die Sträflingskleidung annähen und bekamen die Mützen verpasst. Das Schlimmste, was mir jetzt passierte, war, dass ich in die Isolierbaracke kam, in die Baracke zehn und elf."

Zeitweise waren "175er" in der sogenannten "Isolierung" untergebracht - einem von den übrigen Baracken durch einen Zaun abgetrennten Bereich. Sie wurden bevorzugt Strafkommandos zugewiesen, wo besonders schwere Arbeitsbedingungen herrschten. Einer der Gründe lag in der menschenverachtenden Methode der "Umerziehung durch Schwerstarbeit". Denn Homosexualität galt den Nazis als "Krankheit", die prinzipiell heilbar sei.

Auch Schwarze kommt in die "Isolierbaracke" und schreibt: "Jeder Tag war eigentlich dem Tode geweiht. Jeden Tag über uns die Krähen. Jeden Morgen während des Appells hörten wir das Gekrächze. Die Toten mussten ja neben uns liegen bleiben bis zum Appell. (...)

Eines Tages hat die SS sich zur Freude gemacht die §175er heraus zu holen. Die wollten wissen, wie habt ihr das und das gemacht? Einer tat sich wichtig. Er wäre in Berlin auf den Strich gegangen. Die Leute, wo er was heraus holen konnte, hatte er sich ausgesucht. Die SS hat sich das alles angehört. Der dachte, wenn er das alles zu Gehör bringt, kann er damit sein Leben retten. Am nächsten Tag kam der Befehl, hier ist ein Strick und hänge dich auf oder lauf durch die Postenkette. Hier kommst du nicht mehr lebend raus. Du Dreckschwein, du Schwein, was du gemacht hast. Du bist ja noch schlimmer, wie diese §175. Am nächsten Tag hing er im Draht."

Gerettet von einem Kapo - dem er "zu Gefallen" sein musste

Die Gruppe der homosexuellen Häftlinge rangierte in der Wahrnehmung der SS, die von einem eugenischen und rassistischen Menschenbild geprägt war, am unteren Ende der Häftlingshierarchie.

Ein junger Mann aus Wien, der wie Schwarze im KZ Sachsenhausen interniert ist, schreibt dazu unter dem Pseudonym Heinz Hefner: "Juden, Homos und Zigeuner (...) wurden als Abschaum der Menschheit bezeichnet, die überhaupt kein Lebensrecht auf deutschem Boden hätten und daher vernichtet werden müßten. (...) Aber der allerletzte Dreck aus diesem Abschaum, das waren wir, die Männer mit dem rosa Winkel."

Seit dem Spätsommer 1938 ließ die SS von den Häftlingen in Sachsenhausen ein riesiges Ziegelwerk errichten, das die Baustoffe für die Bauvorhaben der NS-Führung in der Reichshauptstadt Berlin liefern sollte. Bei den Häftlingen galt das Klingerwerk als Mordgelände, lebensgefährlich für jeden, die diesem Kommando zugewiesen wurden.

"Verurteile mich deshalb, wer mag"

Hefner schreibt dazu: "Wieder waren bei diesem Arbeitskommando nur Homosexuelle eingesetzt, tageweise einzelne Juden, die jedoch abends nie lebend ins Lager zurückkamen. (...) Mit Prügeln und Androhung der Auspeitschung zwangen uns die Capos und die SS-Männer, weiterzuarbeiten. Nun pfiffen die Kugeln durch die Reihen und viele meiner Leidensgenossen sanken zusammen, manche nur verletzt, aber manche auch zu Tode getroffen."

Hefner sei nach zwei Tagen von einem Kapo aus der unmittelbaren Todeszone gerettet worden, "unter der Bedingung, diesem zu Gefallen zu sein. Verurteile mich deshalb, wer mag".

Im Sommer 1942 führen SS-Männer im Klinkerwerk eine Mordaktion durch: in sechs Wochen ermorden sie insgesamt 90 Homosexuelle.

Giering will wissen, was man mit ihm gemacht hat. "Kastriert", sagt der SS-Mann.

Viele der inhaftierten Häftlinge wurden Opfer von Zwangskastrationen. In Sachsenhausen zwang die SS Betroffene, teilweise durch Misshandlungen, ihre Kastration zu beantragen.

Einer der Betroffenen ist Otto Giering. 1939 wird er ins KZ Sachsenhausen deportiert. "Mir wurde angedroht, dass man mir die Eier schon schleifen, aber auch abschleifen werde (...) Ich bekam einen rosa Winkel auf die rechte Brustseite. Nun waren wir alle dem Gespött und Hänseleien der SS und Häftlingen aller Kategorien ausgesetzt", schreibt er über seine Einlieferung.

Geständnisse erpresst die SS durch Folter: "Ich wurde in eine verdunkelte Zelle gebracht und mit rückwärts gefesselten Händen an das Fensterkreuz angehängt. (...) Dann erfolgte meine Vorführung vor den SS-Oberführer, der mir erklärte, dass er rücksichtslos vorgehen würde, wenn ich nicht alles sagte, was da los sei (...), aber ich habe bestritten und wurde darauf wieder angehängt. In dieser Lage verblieb ich etwa eine Stunde. (...) Während dieser Zeit entnahm ich aus verschiedenen Schreien und anderen Geräuschen, dass in anderen Zellen andere Häftlinge angehängt wurden."

Den "freiwilligen" Antrag zur Kastration wiederum versucht die SS durch Versprechungen zu erzwingen: "'Lasse Dir die Eier rausnehmen, dann bist Du ein freier Mann und kannst gehen, wohin Du willst.' Doch nach dem allem, was vorgegangen ist, glaubte ich kein Wort mehr." Giering wird gefoltert, erhält Stockschläge, muss hungern: "Zuletzt ist es mir egal gewesen, da habe ich gesagt, sollen sie doch machen, was sie wollen, ich sag zu allem ja und Amen, nur damit ich meine Ruhe habe."

Daraufhin erfolgt Gierings Zwangskastration. Er wird gebadet, rasiert. Danach "kam ich gleich auf die Schlachtbank". Als er wieder wach wird, liegt er im Bett, unter den Knien und auf dem Bauch ein Sandsack. Am Bett sitzt ein SS-Angehöriger. Giering will wissen, was man mit ihm gemacht hat. "Kastriert", sagt der SS-Mann. Irgendwann kommt der Lagerkommandant rein mit zwei SS-Angehörigen. Auf dem Tablett haben sie mehrere Gläser. Jedem zeigen sie das Glas mit der Bemerkung: "Hier kannst Du Deine Eier noch einmal sehen, aber konserviert."

Die Opfer der Zwangskastration mussten sich einer demütigenden ganzkörperlichen Untersuchung erziehen. In den Untersuchungsberichten vermerken die SS-Mediziner, die Kastrierten seien nach der Operation zufrieden und die "Einstellung zur Arbeit", ihr Verhältnis zu Mithäftlingen und KZ-Aufsehern habe sich "gebessert". Diese Äußerungen sollten die Kastration als erfolgreiche Maßnahme auf dem Weg zur Wiedereingliederung in die Volksgemeinschaft darstellen.

Otto Giering wird 1945 aus der Haft entlassen. Anfang der fünfziger Jahre lernt er seine künftige Frau kennen, er sucht Geselligkeit, Ablenkung, Anerkennung. Durch die KZ-Haft leidet er unter anderem unter Kopfschmerzen, Migräne, zieht sich manchmal tagelang zurück. Als er den Antrag auf Entschädigung einreicht, kommen die Erinnerungen wieder hoch. Der Antrag wird abgelehnt, Giering kommt bleibt tagelang weg, kommt nicht nach Hause. Die Polizei findet ihn verwirrt und orientierungslos auf. 1976 stirbt er an den Folgen eines Schlaganfalls.

Die Diskriminierung von Homosexuellen geht über das Jahr 1945 hinaus, den Betroffenen wurde eine Entschädigung für erlittene KZ-Haft verweigert. Bis heute ist dies der Grund dafür, dass sich Zeitzeugen nicht öffentlich zu ihrem Schicksal äußern. In der Gedenkstätte Sachsenhausen hat 1995 erstmals ein Vertreter der Homosexuellen bei einer Gedenkveranstaltung einer KZ-Gedenkstätte öffentlich gesprochen.

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