Trans- und homophobe Aggression:Gesellschaftlich verankerter Hass

Trans- und homophobe Aggression: Beim Christopher Street Day in München können sie sich ziemlich sicher fühlen. Doch ansonsten müssen Schwule, Lesben und Transgender wegen ihrer sexuellen Orientierung jederzeit mit Angriffen rechnen.

Beim Christopher Street Day in München können sie sich ziemlich sicher fühlen. Doch ansonsten müssen Schwule, Lesben und Transgender wegen ihrer sexuellen Orientierung jederzeit mit Angriffen rechnen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Lesben, Schwule und Transgender-Menschen sind oft Beleidigungen und Angriffen ausgesetzt. Die Täter sind zu 91 Prozent Männer.

Von Ronen Steinke, Berlin

Vor allem abends kommt es zu Übergriffen. Meist sind die Opfer jung. Das Risiko, als schwuler oder lesbischer Mensch oder als Transgender auf offener Straße beleidigt oder attackiert zu werden, ist im Nachtleben für viele ein ständiger Begleiter. Doch nur in den seltensten Fällen trauen die Betroffenen sich, mit ihren Erfahrungen anschließend zur Polizei zu gehen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die eine Gruppe um den Soziologen Albrecht Lüter im Auftrag des Berliner Justizsenators erstellt hat und die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Es ist die erste umfassende Untersuchung dieser Art in Deutschland. Sie beschreibt, wie gefährlich der öffentliche Raum von Menschen mit abweichender sexueller Orientierung oder sexueller Identität erlebt wird. In 68 Prozent der Fälle seien die Täter vollkommene Fremde. Fast immer, nämlich zu 91 Prozent, seien sie männlich. In 67 Prozent der Fälle sei die Tat an einem öffentlichen oder halböffentlichen Ort geschehen, zum Beispiel in einem Café. Am gefährlichsten sei es zwischen 16 und 24 Uhr, so schreiben die Verfasser der Studie, die zudem von einem "Wochenend-Delikt" sprechen. Angezeigt werde im Sommer deutlich mehr als im Winter - immer dann also, wenn das Leben sich mehr draußen abspielt und das Liebesleben für Fremde sichtbarer wird.

Die polizeilich ermittelten Täter bilden einen repräsentativen Querschnitt durch alle Bevölkerungsgruppen

Die Forscher haben die Akten von deutschlandweit zwei Dritteln aller polizeilichen Ermittlungen wegen homo- und transfeindlicher Straftaten zwischen 2010 und 2018 ausgewertet. Dafür genügten letztlich die Akten aus Berlin. Denn in Berlin gilt eine Besonderheit. Für Menschen, die aus homo- oder transfeindlichen Motiven attackiert werden, hat die Polizei dort schon seit den 1990er-Jahren spezielle Ansprechpartner. Die Folge ist, dass in Berlin mehr solche Straftaten registriert werden als im ganzen Rest der Republik zusammen - nicht, weil es so viel mehr Homophobie geben würde, sondern wahrscheinlich weil das Dunkelfeld besser aufgehellt wird.

Die Studie kann nun zeigen: Trans- und homophobe Aggression ist kein Problem, das man einem bestimmten politischen Milieu zuordnen könnte. Dies ist "ganz überwiegend kein exklusives Thema des sogenannten politischen Extremismus, sondern gesellschaftlich breit verankert", resümieren die Wissenschaftler. Dies sei auch kein Problem einer bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheit, den oft bemühten "arabischen Machos" zum Beispiel. Sondern die polizeilich ermittelten Täter bildeten einen repräsentativen Querschnitt durch alle Bevölkerungsgruppen.

Lesben fällt eine Anzeige besonders schwer: Die Polizei wird von ihnen als machohaft wahrgenommen

Auffällig ist, wie schwer es vielen Betroffenen offenbar fällt, sich der Polizei anzuvertrauen. Die Zahlen klaffen deshalb stark auseinander. In der offiziellen Kriminalstatistik waren es im Jahr 2019 in Berlin insgesamt 344 homo- oder transfeindliche Taten, also etwa eine pro Tag. Darunter waren 93 Fälle, die polizeilich als Gewaltdelikte klassifiziert wurden. Aber die Forscher haben unabhängig von der Polizei 188 - nicht repräsentative - Interviews mit Betroffenen geführt. Und obwohl 57 Prozent von diesen in den vergangenen fünf Jahren homophobe Gewalt erlebt hatten, war von ihnen nur jeder zwanzigste Fall anzeigt worden.

Lesben fällt es interessanterweise noch schwerer als Schwulen, weil sie eine doppelte Hürde zu überwinden haben, nämlich sich als Frau und Lesbe an die Polizei zu wenden, die traditionell als männerdominiert und machohaft wahrgenommen wird. Die Untersuchung zeige auch, dass "Frauen eher als Männer dazu neigen, homophobe Beleidigungen hinzunehmen, da sie durch alltäglichen Sexismus zumeist schon seit jungen Jahren an sexualisierte Abwertung und Beleidigung gewöhnt sind", schreiben die Verfasser der Studie.

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