Homoehe in Italien:Homoehe in Italien - es wäre die letzte Bastion, die fällt

Homoehe in Italien: Gustav Hofer (rechts) und sein Lebenspartner Luca Ragazzi. Gustav Hofer (rechts) und sein Lebenspartner Luca Ragazzi.

Gustav Hofer (rechts) und sein Lebenspartner Luca Ragazzi. Gustav Hofer (rechts) und sein Lebenspartner Luca Ragazzi.

Bald könnte der Gesetzentwurf den Senat passieren. Für Gustav Hofer und Partner Luca Ragazzi wäre es das Ende einer diskriminierenden Lebenssituation.

Interview von Dorothea Grass

Der Senat in Rom debattiert momentan einen Gesetzesentwurf, der Homosexuellen eingetragene eheähnliche Partnerschaften, die "unioni civili", ermöglichen soll. Der Entwurf der Demokraten umfasst mehrere Paragrafen: Sozialleistungen und Hinterbliebenenrenten sind nur zwei davon. Heftig umstritten ist die vorgesehene Regelung der Adoption des Kindes eines Lebenspartners nach deutschem Vorbild. Katholische Bündnisse und Kritiker sehen darin mindestens eine Ermunterung zur Leihmutterschaft. Beim sogenannten "Family Day" demonstrierten Ende Januar Zehntausende Italiener gegen den Entwurf; die Bischofskonferenz hatte ihren Segen dazu erteilt. Auf Plakaten hieß es etwa: "Die Familie darf nicht verschrottet werden." Ministerpräsident Matteo Renzi wird als "Verschrotter" ("rottamatore") beschimpft. Neun Jahre zuvor war er noch gegen das Gesetz.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Gustav Hofer und Luca Ragazzi leben in Rom. Beide sind Journalisten und ein Paar. Über ihr Hadern mit der Politik ihres Landes und die Situation der Gleichberechtigung für Schwule und Lesben haben sie mehrere Dokumentarfilme gedreht. Süddeutsche.de sprach mit Gustav Hofer über die Stimmung im Land.

Süddeutsche.de: Herr Hofer, was glauben Sie, hat der Gesetzesentwurf dieses Mal eine Chance?

Gustav Hofer: Die Chancen stehen ganz gut. Für Renzi ist das Gesetz zu den eingetragenen Lebenspartnerschaften extrem wichtig. Er muss nun zeigen, dass er das Thema Menschenrechte ernst nimmt und die italienische Gesellschaft weiterbringt. Insofern hat das Gesetz Symbolcharakter. Italien könnte hinsichtlich der Rechte für Homosexuelle so werden, wie jedes andere Land im westlichen Teil Europas. Für die katholische Kirche ist Italien dagegen der "letzte Fels in der Brandung".

Sie haben 2007 zusammen mit Ihrem Partner und Journalistenkollegen Luca Ragazzi den Dokumentarfilm "Suddenly Last Winter" gedreht. Darin ging es um den Versuch der damaligen Mitte-links-Regierung, ein Homoehe-Gesetz durch den Senat zu bringen. Er scheiterte. Durch Italien ging eine Welle der Homophobie. Was hat sich seitdem geändert?

Die Stimmung ist jetzt eine andere. Die katholische Kirche hat durch die Pädophilie-Skandale in der letzten Zeit viel Glaubwürdigkeit eingebüßt. 2007 lautete die Propaganda der Gegner der Homoehe: "Dieses Gesetz legalisiert Pädophilie." Das können sie nun nicht mehr sagen. Ohne mir Lorbeeren aufsetzen zu wollen: Unser Film hat damals auch einiges bewirkt. Zum ersten Mal zeigte sich ein schwules Paar in der Öffentlichkeit und sagte: "Wir wollen niemandem etwas wegnehmen, wir wollen nur unsere Rechte." Die Leute konnten sehen, wen dieses Gesetz eigentlich betrifft. Nach dem Film haben sich auch andere homosexuelle Paare in Fernsehshows oder auf Podien getraut, sich öffentlich für ihre Rechte einzusetzen. Wir stehen nicht mehr alleine da.

Wie war denn die Situation bis 2007? Inwieweit waren Homosexuelle in das öffentliche Leben integriert?

Für viele Italiener waren schwule Paare bis dahin etwas Abstraktes. In den Medien kamen höchstens schwule Singles vor und wenn in Seifenopern oder Fernsehfilmen mal ein schwuler Charakter gezeichnet wurde, dann starb der meist am Ende. Ich sage das jetzt mit einem humorigen Unterton. Aber es ist bis heute so, dass in Italien die Devise gilt: "Don't ask, don't tell." So lange es im Privaten bleibt, kann man in Italien machen, was man will. Zum Problem wird es, sobald ich laut sage: "Das hier hat nichts damit zu tun, mit wem ich ins Bett gehen, sondern hier geht es um meine Identität." Viele Homosexuelle vermeiden ihr Coming-out, weil sie der Meinung sind, dass es niemanden etwas angeht, mit wem sie ins Bett gehen. Ich frage dann immer: Und was ist mit den Schwulen, die keinen Sex haben? Sind die deswegen hetero? Es geht in dieser Debatte um Identität, das ist der Punkt.

Sind Sie angefeindet worden?

Wir wurden während der Dreharbeiten angefeindet, es gab da unter anderem eine Szene auf einer Demonstration der Neofaschisten - na ja, man kann es sich denken.

Aber nachdem der Film herausgekommen war, haben wir unzählige positive Reaktionen bekommen. Dutzende Menschen mailten uns, sie hätten dadurch endlich den Mut zum Coming-out gefunden. Manche haben geschrieben, sie hätten sich die DVD gekauft, um sie zu Hause den Eltern und Geschwistern zu zeigen und danach zu sagen "Übrigens Mama, ich hab auch 'nen Freund." Insgesamt finde ich, gesellschaftlich hat sich seit 2007 einiges getan. Schwulsein wird nicht mehr ganz so tabuisiert.

Sie haben Ihr Privatleben mit dem Film öffentlich gemacht. Er ist in dem Sinne auch kein objektiver Dokumentarfilm, sondern erzählt subjektiv Ihrer beider Geschichte. Das ist mindestens ungewöhnlich, wenn nicht sogar mutig.

Für uns hatte das nie etwas mit Mut zu tun. Es war für uns das Klarste, dass wir etwas tun mussten. Als 2007 das Gesetz zum ersten Mal verhandelt wurde haben wir uns unheimlich darüber geärgert, wie darüber in den Medien berichtet wurde. Im Fernsehen gab es Diskussionsrunden zum Thema, in denen Priester und Politiker eingeladen waren, aber kein Vertreter von schwul-lesbischen Interessenverbänden. Joseph Ratzinger, damals Papst Benedikt XVI., machte an vorderster Front Stimmung gegen das Gesetz.

Hat die Haltung gegenüber der Homoehe also mit der Stellung der katholischen Kirche innerhalb der italienischen Gesellschaft zu tun?

Ich würde sagen, es hat etwas mit der Stellung der katholischen Kirche innerhalb der italienischen Politik zu tun. 2007 fehlte den Politikern schlichtweg der Mut, ein Gesetz durchzubringen, das den Segen des Vatikans nicht bekommen hat. Das ist jetzt anders: Der Vatikan hat deutlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Außerdem hat Italien bei den letzten Wahlen das jüngste Parlament Europas bekommen. Im Senat und im Abgeordnetenhaus sitzen zudem mehr Frauen als jemals zuvor. Ich glaube, das spielt auch eine Rolle.

Inwieweit hat sich Papst Franziskus in die jetzige Diskussion eingeschaltet?

Viele dachten ja, dieser Papst sei anders. In diesem Punkt ist er das im Grunde nicht. Er hat an die Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen appelliert, gleichzeitig aber klargestellt, dass es nur eine Ehe geben kann: die zwischen Mann und Frau. Das war für uns enttäuschend.

In einzelnen Regionen Italiens gibt es ja schon symbolische Beschlüsse zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften. Was hat es damit auf sich?

Es gibt zwei Dinge: Zum einen gibt es Paare, die im Ausland wie zum Beispiel in Spanien oder Großbritannien geheiratet haben und sich das in ihrem Heimatland Italien anerkennen lassen wollten. Einige Kommunen und Regionen haben das getan.

Und dann gibt es in manchen Gegenden eine Art Register, in das sich schwule und lesbische Paare eintragen lassen können. Dadurch bekommen sie in Teilen die gleichen Rechte wie verheiratete heterosexuelle Paare. Sie können sich etwa in Listen des öffentlichen Wohnbaus setzen lassen oder gelten im Krankheits- oder Sterbefall als nächste Angehörige. Gültig ist das aber alles nur auf lokaler Ebene.

Wie ist die Stimmung eigentlich in Ihrer Heimat Südtirol? Unterscheidet die sich vom Rest Italiens?

Man darf nicht den Fehler machen und denken, der Süden sei rückständiger als der Norden. Auch in puncto Akzeptanz für Lesben und Schwule. Sowohl Sizilien als auch Apulien haben beziehungsweise hatten offen bekennende homosexuelle Gouverneure. In Norditalien hat es sicher auch homosexuelle Politiker gegeben, doch die hatten nie den Mumm, sich zu outen. Südtirol ist insofern anders, als dass es kulturell unter einem starken deutsch-österreichischen Einfluss steht. Und dort gilt das Thema der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften als überwunden.

In Ihrem zweiten Film haben Sie sich 2011 mit den vielen Widersprüchlichkeiten Italiens auseinandergesetzt. Angesichts der Tatsache, dass viele Ihrer Freunde und Bekannten nach Berlin oder Australien auswanderten, haben Sie die Frage gestellt: "Italy, love it or leave it?" Wie würden Sie die Frage momentan beantworten?

Es gibt nach wie vor Tage, an denen ich mich frage, was ich in diesem Land eigentlich noch mache. Aber ich sehe auch, dass sich eine Menge geändert hat. Ich finde, dass man einen neuen Schub spürt. Renzi vermittelt mit seiner Energie das Gefühl, dass sich jetzt endlich etwas tut. Auch wenn wir erst später sehen werden, inwieweit seine Arbeit Wirkung erzielt, so hat er doch mutige Reformen verabschiedet, die diese Ruck-Stimmung im Land vermitteln. Politisch hat ein Generationswechsel stattgefunden. Ich sehe das dennoch mit Skepsis. Manchmal ändert sich in Italien alles, damit sich nichts ändert. Das ist der gattopardische ("Il Gattopardo", Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa; Anm. d. Red.) Charakter dieses Landes und schon oft in seiner Geschichte vorgekommen: Alle Hauptakteure wurden ausgewechselt, der Kern der Politik blieb aber der Gleiche. Neuer Cast, alte Story sozusagen.

Werden Sie die Homoehe mit Ihrem Partner in Anspruch nehmen, sollte das Gesetz kommen?

Nach 16 Jahren Beziehung, finde ich, wird es Zeit! Aber im Ernst: Es geht hier um Gleichberechtigung. Wir leben bislang in einer ständigen Diskriminierung. Sollte einem von uns beiden etwas zustoßen, dann zählt der andere nicht als Hinterbliebener, sondern als Single, der mit dem anderen eine Zeit lang zusammen gewohnt hat. Mein Partner und ich zahlen genauso Steuern wie meine heterosexuellen Schwestern, die verheiratet sind. Von daher finde ich es nicht akzeptabel, in einem europäischen Gründungsland noch eine solche Diskriminierung hinnehmen zu müssen.

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