Süddeutsche Zeitung

Bundestag:Laptops an der Bushaltestelle

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Die Politik fordert so viel Home-Office wie möglich - ausgerechnet im Bundestag klappt das nur bedingt.

Von Boris Herrmann und Robert Roßmann, Berlin

Ein Beamter meldet sich aus dem Home-Office und klagt sein Leid: Er selbst sowie "mehrere Hundert" Kolleginnen und Kollegen könnten von zu Hause aus nicht vernünftig arbeiten, sagt er. Dabei bezieht er sich nicht nur auf den ganz normalen Heimbüro-Wahnsinn mit Kindern, die in Videokonferenzen platzen, statt zur Schule zu gehen. Dem Beamten zufolge scheitern viele solcher Meetings in seiner Verwaltung auch generell - an der technischen Ausrüstung nämlich. Es fehle an Laptops, Kameras und Headsets.

"Wir sind hier total rückständig", sagt er. In Zeiten, in denen es mehr denn je darum gehe, unnötige Kontakte zu vermeiden, würden sich schon mal Kollegen abends an der Bushaltestelle treffen, um sich einen der raren Rechner zu übergeben, mit denen es überhaupt möglich sei, auf alle Laufwerke in der Zentrale zuzugreifen. Der Mann, der das jetzt erzählt, arbeitet für den Deutschen Bundestag.

Die Kanzlerin, die Ministerpräsidenten und das Parlament rufen die Bürger dazu auf, wann immer möglich im Home-Office zu arbeiten. Und ausgerechnet der Bundestag bekommt es nicht hin, sich selbst an diese Vorgabe zu halten. Kann das sein?

Etwa 3000 Mitarbeiter arbeiten in der Bundestagsverwaltung. Unter ihnen sind Polizisten, Saaldiener, Boten, Pförtner, Fahrer und Handwerker - also Menschen mit Tätigkeiten, die auch mit den besten Computern nicht von zu Hause aus erledigt werden können. Doch für 1870 der 3000 Mitarbeiter wäre es "prinzipiell möglich, aus dem Home-Office zu arbeiten", teilt die Bundestagsverwaltung mit. "Das ausgegebene technische Equipment" erlaube es derzeit "mindestens 75 Prozent der Kollegen mit Home-Office-fähigen Aufgaben, diese auch dort zu erledigen".

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass das jeder Vierte ein Jahr nach Beginn der Pandemie immer noch nicht kann. Und über die Qualität der Ausstattung sagt die Zahl auch noch nichts. Es gibt Bundestagsmitarbeiter, die einem berichten, dass sie sich schon frühmorgens ins Netz des Parlaments einloggen, weil es später nicht mehr problemlos klappe.

Bei manch einem ist die Geduld aufgebraucht

Die Bundestagsverwaltung hat seit März 2020 mehrmals alle Beschäftigten aufgefordert, die Home-Office-Möglichkeiten verstärkt zu nutzen. Wo immer es dienstlich vertretbar sei, habe man die Beschäftigten von der Präsenzpflicht am Arbeitsplatz befreit, teilt die Verwaltung mit. Doch nicht in allen Abteilungen scheinen die Chefs rechtzeitig dafür gesorgt zu haben, dass das dafür nötige Equipment bereitsteht. Neue Computer müssen erst beantragt und beschafft werden - derlei dauert in Behörden.

Bei manch einem ist die Geduld aber längst aufgebraucht. Bereits im Dezember wandte sich der Personalrat der Bundestagsmitarbeiter mit einem Initiativantrag an die Hausleitung. Das interne Schreiben, das der SZ vorliegt, liest sich wie eine Mängelliste des Pandemie-Betriebs. Unter anderem wird da gefordert, das "Arbeiten im Home Office in allen Bereichen" zu ermöglichen, außerdem müsse die Kernarbeitszeit dauerhaft aufgehoben sowie ein Arbeitsbeginn ab 6.30 Uhr erlaubt werden, um Stoßzeiten im Nahverkehr zu umgehen. Ferner werden mehr Masken, Desinfektionsmittel und Spuckschutzwände für den Dienstgebrauch angemahnt. Die Personalräte bezeichnen ihren Vorstoß als einen Beitrag "für die dauerhafte Aufrechterhaltung und Arbeitsfähigkeit der Bundestagsverwaltung".

Was dann geschah? Erst einmal nichts - zumindest nach Darstellung der Gewerkschaft der Bundesbeschäftigten (VBOB), die den Beschwerdeantrag in den Personalrat eingebracht hatte. In einer Hausmitteilung des VBOB von Mitte Februar heißt es: "Nunmehr warten wir seit zehn Wochen auf Antworten auf unsere Forderungen."

Die Bundestagsverwaltung findet diesen Vorwurf ungerechtfertigt. "Zum Stand des Verfahrens bestand regelmäßiger Kontakt mit dem Personalrat", sagt eine Sprecherin des Bundestags. Da steht nun Aussage gegen Aussage. Sicher ist aber: Am Donnerstag gab es ein Treffen, bei dem Vertreter von Hausleitung und Personalrat über die Sache sprachen. Wegen der Anfrage der SZ zu dem Thema habe es zu Beginn "ordentlich gerappelt", sagt ein Teilnehmer. Trotzdem habe man sich am Ende inhaltlich annähern können, etwas bei den Regelungen zur Gleitarbeitszeit.

Schon zuvor hatte die Bundestagsverwaltung angekündigt, weitere Laptops beschaffen zu wollen. Die Quote der Home-Office-Beschäftigten soll nun von 75 Prozent "auf rund 86 Prozent" steigen. Auch die aus Sicht der Hausleitung "bereits jetzt sehr leistungsfähigen VPN-Systeme" sollen weiter ausgebaut werden. Der VBOB scheint aber einen anderen Eindruck von der Leistungsfähigkeit dieser besonders geschützten Internet-Zugänge zu haben. Die Gewerkschaft hat gerade noch einmal schriftlich erklärt, dass diese "oft nicht reibungslos" funktionierten. Außerdem seien große Bereiche der für die IT zuständigen Unterabteilung "am Ende der personellen Leistungsfähigkeit angelangt".

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