Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen KZ-Wächter:"So was darf niemals wiederholt werden"

Bruno D., der frühere SS-Wachmann im KZ Stutthof, ergreift vor Gericht das Wort. Der Greis entschuldigt sich bei den Opfern.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Das letzte Wort hatte wie üblich der Anklagte, und er ergriff es. "Es sind nur ein paar Worte", hob Bruno D. an. Es sei ihm ein Bedürfnis, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken.

Dass er sich 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg vor einem Gericht verantworten müsse, "hat mich viel Kraft gekostet", sagte der frühere Wachmann aus dem KZ Stutthof zum Abschluss des Verfahrens wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen.

Der 93-Jährige im Rollstuhl begann leise, worauf ihn die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring bat, näher ans Mikro zu rücken. Doch seine Stimme war fest. Er sieht sich nicht als Mittäter, das wurde auch in diesen Sätzen klar. Er sei angeklagt, für Tod und Misshandlung verantwortlich zu sein, weil er Wache gestanden habe "beziehungsweise weil ich Wache stehen musste".

Als sei der Horror nicht seit Jahrzehnten bekannt

Niemals habe er sich freiwillig zur SS oder sonst einer Einheit gemeldet, "erst recht nicht im KZ." Es belaste ihn sehr, was geschehen sei. "Mit Sicherheit" hätte er sich dem Dienst entzogen, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte. Erst im Prozess sei ihm "das ganze Ausmaß an Grausamkeit und Leiden klar geworden" - als sei der Horror nicht seit Jahrzehnten bekannt.

"Heute möchte ich mich bei allen Menschen, die durch diese Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und bei ihren Angehörigen und Hinterbliebenen entschuldigen", sagte er. " So was darf niemals wiederholt werden."

Es war Zufall, dass dieser letzte Verhandlungstag auf den 20. Juli fiel, den Jahrestag des Hitler-Attentates. Seit Oktober sollte Bruno D. Rechenschaft ablegen über die Zeit zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945, als er im KZ Stutthof bei Danzig wachte. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Jugendstrafe von drei Jahren Haft, Bruno D. war seinerzeit 17 bis 18 Jahre alt.

Die Ankläger beschuldigen ihn, Teil einer Tötungsmaschinerie gewesen zu sein. Die 40 Nebenkläger wünschen sich ebenfalls eine Verurteilung, aber einige von ihnen wollen Bruno D. nicht ins Gefängnis schicken lassen. Ein ehemaliger Stutthof-Häftling, der in Israel im Sterben liegt, ließ kürzlich erklären, man solle ihm vergeben. Die Rechtssprechung hat sich geändert, 2016 bestätigte das Bundesgerichtshof ein Urteil von 2015 wegen Beihilfe zum Massenmord gegen den später verstorbenen SS-Aufseher Oskar Gröning im KZ Auschwitz-Birkenau.

Aber anders als dieses sei Stutthof kein Vernichtungslager gewesen, argumentierte in seinem Plädoyer Stefan Waterkamp, der Anwalt von Bruno D. In Stutthof wurden 65 000 Menschen vergast oder erschossen oder starben an Krankheiten. Für die Ermordungen habe es jedoch keine Rolle gespielt, ob Bruno D. auf dem Wachturm gestanden habe, meint der Verteidiger.

Aus Sicht des Angeklagten sei der Wachdienst kein Verbrechen gewesen - behauptet sein Verteidiger

Er zeichnete das Bild eines gelernten Bäckers aus strengem Elternhaus, der dazu erzogen worden sei, keinen Widerstand zu leisten, und auch keine Chance dazu gehabt habe. "Wie sollte ein 18-Jähriger 1944 aus der Reihe tanzen?", fragte er.

Aus damaliger Sicht sei der Wachdienst kein Verbrechen gewesen. Waterkamp verlangt einen Freispruch und kann sich allenfalls eine Bewährungsstrafe vorstellen, sollte Bruno D. verurteilt werden. Am Donnerstag will das Landgericht Hamburg sein Urteil sprechen.

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SZ vom 21.07.2020/odg
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