Süddeutsche Zeitung

Holocaust-Gedenktag: Wulff in Auschwitz:"Ewig einstehen gegen das Vergessen"

Bundespräsident Wulff hat in Auschwitz daran erinnert, dass Deutschland weiterhin für die Verbrechen der Nazis die historische Verantwortung trägt - unabhängig von individueller Schuld. Dies dürfe die Jugend nie vergessen.

Bundespräsident Christian Wulff hat sich bei der Veranstaltung zum Gedenken an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau bei den Überlebenden und den Nachfahren der Opfer für die Bereitschaft zur Versöhnung bedankt.

"Das ist ein unermessliches Glück für uns", sagte das Staatsoberhaupt auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers im heutigen Polen. Die Deutschen wüssten zu schätzen, dass in ihrem Land heute wieder jüdisches Leben blühe, die Beziehungen zu Israel einzigartig seien und sie in tiefer Freundschaft mit den polnischen und den anderen Nachbarn verbunden seien.

Deutschland werde sich auch in Zukunft zu seiner "historischen Verantwortung" für die Naziverbrechen des Holocaust bekennen, versprach Wulff. "Der Name Auschwitz steht wie kein anderer für die Verbrechen Deutscher an Millionen von Menschen, sie erfüllen uns Deutsche mit Abscheu und Scham. Wir tragen hieraus eine historische Verantwortung, die unabhängig ist von individueller Schuld," betonte Wulff, dem die Betroffenheit anzusehen war.

Die Deutschen seien aufgerufen, "hierfür ewig einzustehen", betonte der Präsident. "Wir tragen alle dafür Verantwortung, dass ein solcher Zivilisationsbruch nicht wieder geschieht." Das Wissen um das geschehene Grauen, das in der systematischen Vernichtung der europäischen Juden gipfelte, seien "Mahnung und Verpflichtung für die gegenwärtigen und kommenden Generationen, die Würde des Menschen unter allen Umständen zu wahren".

Was die Opfer in Auschwitz erleiden mussten, sei "unfassbar, unsagbar, unbeschreiblich und dennoch muss es immer wieder erfasst, gesagt und beschrieben werden", sagte Wulff, der bei der Gedenkfeier in Auschwitz als erster Bundespräsident eine Ansprache hielt. Es war eine kurze Rede - und doch lang genug, um klarzumachen, dass es keinen Zweifel an der Verantwortung Deutschlands gibt. Aber auch kurz genug, um jeglichen Anschein von Ausreden zu vermeiden. Wulffs Vorgänger hatten an diesem Ort Schweigen vorgezogen.

"Die Jugend muss die Wahrheit kennen"

"Die heutige Jugend muss die Wahrheit über das nationalsozialistische Terrorregime kennen", betonte der Bundespräsident. "Dann werden sie denen vernehmlich und entschieden widersprechen, die die Tatsachen leugnen oder verfälschen", sagte Wulff und forderte die Jugendlichen zu Zivilcourage und einer Kultur des Hinsehens und Eingreifens auf.

Wulff rief zum Erhalt der Erinnerungsstätten auf. Je weniger Menschen persönlich über diese Zeit berichten könnten, um so wichtiger seien schriftliche, fotografische und filmische Zeugnisse und der Erhalt solcher Stätten. Alle sollten nach ihren Möglichkeiten einen Beitrag dazu leisten. Der ihn begleitende Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, erklärte, die jüdische Gemeinschaft und die Überlebenden des Holocaust begrüßten den hohen Stellenwert, den Wulff der Erinnerung an den systematischen Massenmord einräume.

Zusammen mit Polens Staatsoberhaupt Bronislaw Komorowski hatte sich der 51-Jährige zum Auftakt der Gedenkveranstaltung zum 66. Jahrestag der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee in der internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim (Auschwitz) mit einer Gruppe ehemaliger KZ-Häftlinge getroffen. Der Bundespräsident selbst wurde von Überlebenden des Vernichtungslagers begleitet, sowie dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, und Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.

An der Todesmauer im Stammlager Auschwitz gedachten beide Politiker der Opfer der Hinrichtungen. Die Hauptveranstaltung fand im Aufnahmegebäude statt, wo sich die Häftlinge nach Einlieferung nach Birkenau nackt ausziehen mussten und kahlgeschoren wurden.

Zuvor hatten die beiden Präsidenten mit Jugendlichen aus Polen und Deutschland über die Bedeutung des Erinnerungsortes Auschwitz sowie das deutsch-polnische Verhältnis in Europa diskutiert. Wulff fordert die Jugendlichen zum Hinschauen auf, sich selber verantwortlich zu fühlen. "Man muss seinen eigenen Verstand nutzen." Die Zukunft sei nicht selbstverständlich, am schlimmsten sei die Gleichgültigkeit, warnte der Bundespräsident, der im vergangenen Jahr seine 17-jährige Tochter Annalena mit nach Israel und zur Gedenkstätte Jad Vaschem genommen hatte.

Komorowski betonte, seine Generation sei "im Schatten des Krieges" aufgewachsen. Die Generation seiner Kinder sollte wissen, dass die Welt manchmal "böse und grausam" sei. Ungeachtet dessen solle aber die Jugend eine "schöne, kluge und gute Welt" aufbauen. "Es gibt keine Aussöhnung, wenn man die Geschichte, wenn man die Wahrheit nicht kennt", mahnte Komorowski.

Seit 1996 wird in Deutschland am 27. Januar an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. An diesem Tag hatten vorrückende sowjetische Soldaten 1945 das KZ Auschwitz erreicht und mehrere tausend Überlebende befreit. In Auschwitz-Birkenau im besetzten Polen ermordeten die Nazis zwischen 1942 und 1945 mehr als 1,1 Millionen Menschen. Die meisten Opfer waren Juden. Auch politische Häftlinge aus Polen, sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma sowie Vertreter anderer Nationen starben in dem Lager.

Viele historische Gebäude sind 66 Jahre nach Kriegsende vom Verfall bedroht. Für die Erinnerungsstätte in Auschwitz-Birkenau sollen deshalb insgesamt 120 Millionen Euro bereitgestellt werden. 60 Millionen Euro kommen aus Deutschland, je zur Hälfte von Bund und Ländern. Für die andere Hälfte wollen andere Staaten wie etwa Österreich oder die USA aufkommen.

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