Esther Bejarano wurde 1924 als Esther Loewy in Saarlouis geboren. Der Rassenwahn der Nazis raubte ihr viele enge Verwandte. Ihr Vater, ein Weltkriegsveteran, Oberkantor der jüdischen Gemeide, und ihre Mutter wurden in Kaunas ermordet. Ihre Schwester und deren Mann wurden erschossen, als sie in die Schweiz fliehen wollten. Esther musste Zwangsarbeit leisten und wurde im April 1943 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dort spielte sie Akkordeon und Blockflöte in einem Mädchenorchester, das die SS aufstellte.
Esther Bejarano: Zu Beginn des Gesprächs möchte ich gerne etwas klarstellen. Immer wieder schreiben Journalisten, ich wäre eine der beiden letzten Überlebenden oder sogar die letzte des Mädchenorchesters von Auschwitz.
Süddeutsche Zeitung: Stimmt das nicht?
Nee! Es gibt neben Anita Lasker-Wallfisch und mir mindestens noch zwei andere Frauen. Es gab ja viele Mitglieder, weil einige gingen und andere kamen. Ich spielte ja nur ein halbes Jahr in dem Orchester.
Sie mussten zusammen mit anderen Mädchen Schlager und Märsche spielen, wenn die Arbeitskommandos ein- und ausrückten. Und wenn Menschen zu den Gaskammern gefahren wurden.
Wenn die Menschen uns gesehen und gehört haben, dachten sie vermutlich, dass dieser Ort nicht so schlimm ist.
Das war eine perfide Täuschung der SS. Wussten Sie, dass diese Menschen getötet werden sollten?
Natürlich war uns das klar. Dieses Wissen war eine furchtbare Belastung für uns. Der Tod war Normalität. Überall sah man Leichen am Wegesrand. Ich kann mich an Appelle erinnern, wo SS-Aufseherinnen Menschen bis zur Bewusstlosigkeit auspeitschen ließen oder Frauen gehängt wurden. Einige gingen aus lauter Verzweiflung an den elektrisch geladenen Draht. Auschwitz war ein Albtraum.
Ein gefürchteter Sadist war SS-Hauptscharführer Otto Moll, der weibliche Häftlinge von seinen Hunden zerfleischen ließ. Doch Sie schien er gemocht zu haben.
Er war eine Bestie und trotzdem rettete er mein Leben. Ich wurde in Auschwitz sehr krank, hatte hohes Fieber, Typhus. Im jüdischen Krankenrevier lag ich schon neben der Todeskammer. Dann kam Moll, ließ mich ins christliche Krankenrevier bringen. Der tschechischen Ärztin drohte er mit Erschießung, falls ich sterben sollte. Später sorgte er dafür, dass ich meinen Keuchhusten auskurieren konnte.
Warum tat er das für Sie?
Ich verstehe das auch nicht. Vielleicht war er auch in dieser Hinsicht pervers.
Im Herbst 1943 wurden Häftlinge mit "arischem Blut" aufgerufen, sich für einen Transport zu melden. Für Esther war das die Chance, die Todesfabrik Auschwitz zu verlassen, weil sie eine christliche Großmutter hatte. Zusammen mit anderen "Mischlingen" wurde sie ins KZ Ravensbrück gebracht. Dort musste sie in einer Fabrik von Siemens Schalter für U-Boote fertigen.
In Auschwitz wurde Ihnen die Nummer 41948 in den Arm tätowiert. Wann haben Sie sie entfernen lassen?
Das war in den siebziger Jahren bei einem Besuch in Israel. Die Nummer hat mich total genervt. Immer wieder war ich in Deutschland darauf angesprochen worden.
War den Leuten der Zusammenhang klar?
Manche wussten es, viele wussten es nicht. Ich wurde auch auf ziemlich dämliche Art und Weise deswegen angeredet. In Hamburg, wo wir in den sechziger Jahren eine Wäscherei betrieben haben, fragte mich ein Mann: Hast du die Nummer, damit dich dein Mann in die Waschmaschine stecken kann? Und in Berlin meinte ein Mann in der U-Bahn, ich hätte die Nummer, weil ich ein leichtes Mädchen sei und gerne angerufen werden möchte.
Das ist unverschämt und demütigend.
Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Aber ich wollte mir die Nummer auf keinen Fall von einem Deutschen entfernen lassen. Bei einem Besuch in der Altstadt von Jerusalem sprach mich ein Palästinenser darauf an, dem der Hintergrund sofort klar war. Er fragte mich, warum ich die Nummer noch habe. Und ob sein Vater sie mir entfernen soll.
Klingt nach einem netten Angebot.
Es war eine Schnapsidee!
Was ist passiert?
Der Araber hat es leider nicht gut gemacht. Das Blut spritzte. Ich konnte wegen der Infektionsgefahr nicht mehr baden gehen, mein restlicher Urlaub war versaut. Ich glaube, dass der Araber mir etwas Gutes tun wollte, weil ich Jüdin bin. Und ich habe dem Angebot zugestimmt, weil ich es als positive Geste dem Palästinenser gegenüber sah. Mein Mann war nicht dabei, der hätte mich sicherlich davon abgehalten. Nun habe ich eine hässliche Narbe.