Holocaust:Das verlorene Lachen

Holocaust: Shlomo Birnbaum & Rafael Seligmann: Ein Stein auf meinem Herzen. Vom Überleben des Holocaust und dem Weiterleben in Deutschland. Herder-Verlag Freiburg, 2016, 176 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

Shlomo Birnbaum & Rafael Seligmann: Ein Stein auf meinem Herzen. Vom Überleben des Holocaust und dem Weiterleben in Deutschland. Herder-Verlag Freiburg, 2016, 176 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

Shlomo Birnbaum erzählt von seiner Jugend in Tschenstochau, vom Ghetto, vom Verlust seiner Geschwister und seinem neuen Leben in München.

Von Robert Probst

"Ich habe mit zwölf aufgehört zu lachen." Was für ein Satz für einen Mann von 89 Jahren. Shlomo Birnbaum hat sein Lachen verloren an dem Tag, als die deutsche Wehrmacht 1939 in Polen einfiel. Als Junge erlebte er Schreckliches, verlor Mutter, vier Geschwister und zahlreiche Verwandte im Ghetto. Er wurde erwachsen in der Hölle des Holocaust. "Damals hat sich ein Stein auf mein Herz gelegt", heißt es in Birnbaums nun erschienenen Erinnerungen. Und trotz aller Bemühungen gelang es ihm später nicht mehr, diesen Stein abzuschütteln. Unbeschwert gelacht habe er seit 1939 nicht mehr. Unbeschwertes Lachen heißt für ihn Freiheit. Er hat sie nicht.

Die Generation der Zeitzeugen schwindet unaufhaltsam dahin, gerade erst ist Max Mannheimer im Alter von 96 Jahren gestorben. Unermüdlich sprach er über seine Erfahrungen und sein Überleben in den KZ Auschwitz und Dachau. Sein Credo: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon." Darum ist es so wichtig, dass Überlebende wie Shlomo Birnbaum ihre Geschichten erzählen. Bei einem Festessen sprach ihn eines Tages sein Gegenüber mit vollem Mund an: "Erzähl Shlomo, wie hast du überlebt?". Für diese Menschen, sagt Birnbaum "ist der Judenmord ein Abenteuer oder eine ferne Bibelgeschichte. Für mich mein Leben."

Und so hat Shlomo Birnbaum sein Leben aufgeblättert, der Schriftsteller Rafael Seligmann hat es für ihn aufgeschrieben. Die Leidenszeit ist für Birnbaum nicht vorbei, das merkt man in fast jeder Zeile dieses bemerkenswerten Büchleins. Seligmann schreibt nüchtern und klar und doch voll menschlicher Wärme: über Birnbaums Kindheit im polnischen Tschenstochau, das dortige jüdische Gemeindeleben, die antisemitischen polnischen Nachbarn, den täglichen Kampf ums Überleben im Ghetto und später in den Fabriken der NS-Herrscher.

Vor allem aber ist es ein Buch über eine Vater-Sohn-Beziehung, Arie Leibisch Birnbaum rettete seinem Sohn mehrmals das Leben. Er war es auch, der sich nach dem Krieg ausgerechnet in München niederließ - im Land der Täter. Aber aus Polen mussten sie weg. Vater Birnbaum sagte ganz offen, warum: Die Polen "haben von den Deutschen gelernt, Juden zu erschlagen. Die Deutschen haben damit aufgehört. Die Polacken werden weitermachen." Bis heute lebt Shlomo Birnbaum in München, einer Stadt, die nie zu seiner Heimat wurde.

Für seine Enkel hat Birnbaum diesen Blick in seine Seele zugelassen. Vielleicht verstehen sie nun besser, warum ihm sein Glaube keinen Trost spendete, warum er nicht vergessen kann und nicht vergeben. Aber auch, dass man nicht kapitulieren darf - auch nicht vor der eigenen Trauer und Angst. Nicht zuletzt darum ist es ein Buch der Hoffnung.

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