Süddeutsche Zeitung

Eigentumsstreit:Die Hohenzollern deuten ihre Geschichte brachial um

Die Nationalsozialisten hatten Anfang der Dreißigerjahre noch eine Menge Gegner. Die Hohenzollern gehörten nicht dazu - machen aber trotzdem jetzt Ansprüche auf früheren Besitz geltend.

Kolumne von Norbert Frei

Der junge "Chef", so heißt es, sei ein sympathischer Mann. Er führe sein "Haus" - es wird bald tausend Jahre alt - wie ein Wirtschaftsunternehmen. Dagegen ist nichts einzuwenden, ebenso wenig wie dagegen, dass ein Unternehmer erkannte Chancen nutzt. Aber in der Geschäftswelt kennt man auch den Begriff der Corporate Responsibility, des gesellschaftlich angemessenen, verantwortungsbewussten Verhaltens: Nicht alles, was rechtlich möglich und ökonomisch sinnvoll sein mag, ist sozialmoralisch opportun.

Georg Friedrich von Preußen scheint dieser Einsicht eher wenig abgewinnen zu können. Der "Chef des Hauses Hohenzollern" ist gerade dabei, zugunsten der Interessen seiner Firma mehr zu zerschlagen als ein paar Kostbarkeiten aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur des Alten Fritz. Zum Zweck der Vermögensmehrung versuchen sich der Prinz und seine Anwälte an einer brachialen Umdeutung der Geschichte. Genauer gesagt geht es um eine Verkürzung jenes Weges der deutschen Gesellschaft in das "Dritte Reich", den zu ebnen nicht zuletzt Hohenzollern geholfen hatten.

Dass Hitler nach den Verlusten seiner Partei bei der Reichstagswahl im November 1932 und angesichts der sich bereits abzeichnenden gesamtwirtschaftlichen Erholung Anfang 1933 nicht mehr unvermeidlich war, dass er am 30. Januar Reichskanzler nur wurde, weil Reichspräsident Paul von Hindenburg es so entschied, ist historisch gesichertes Wissen. Gleiches gilt für das Faktum, dass große Teile der Funktionseliten, auch des Adels, diese Machtübertragung begrüßten. Hitler war kein Fatum, Hitler war gewollt.

Das alles sollte so unstrittig sein wie die Tatsache, dass die NSDAP noch bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 keinen Alleinsieg zustande brachte; trotz des Terrors vor allem gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, aber auch gegen das katholische Zentrum und die Bayerische Volkspartei, reichte es zur absoluten Mehrheit nur in der Koalition mit jenen Kräften der Alten Rechten, die Hindenburg den "böhmischen Gefreiten" Hitler am Ende doch noch schmackhaft gemacht und damit ins Amt gehievt hatten.

Die "Machtergreifung" - keineswegs zwangsläufig

Gerade wegen dieser erst im Nachhinein zur "Machtergreifung" stilisierten, keineswegs zwangsläufigen Konstellation hat sich die zeitgeschichtliche Forschung für die politischen Machinationen in den letzten Monaten und Wochen der Weimarer Republik von jeher besonders interessiert.

Die klassische Frage der nachkriegsdeutschen Introspektion - "Wie konnte es geschehen?" - bezog sich jahrzehntelang nicht auf den Holocaust, sondern auf die Entwicklung hin zum 30. Januar 1933. Karl Dietrich Brachers Strukturgeschichte der "Auflösung" der Republik bildete dafür 1955 den epochalen Auftakt. Ihm folgten viele Spezialstudien, auch solche über die Rolle des Adels im Prozess der Zerstörung unserer ersten Demokratie.

"Vom König zum Führer" lautet der Titel einer preisgekrönten Studie, mit der sich Stephan Malinowski vor eineinhalb Jahrzehnten als der bis heute wohl beste Kenner der Zeitgeschichte des deutschen Adels profilierte. Das Buch zeichnet die politische Radikalisierung nach, die dem sozialen Niedergang der Aristokratie nach dem Ende des Kaiserreichs folgte: selbstredend eine Radikalisierung nach rechts.

Wiederholt, unlängst auch in der SZ, hat Malinowski daran erinnert, was diesbezüglich konkret zu den Hohenzollern zu sagen ist - von des "Kronprinzen" Wilhelm von Preußens früher Bewunderung für den italienischen Faschismus über sein Planspiel mit Hitler vor der Reichspräsidentenwahl 1932 bis hin zur stilisierten Legitimation des "jungen Deutschland" durch die alten Mächte beim "Tag von Potsdam" am 21. März 1933, bei dem natürlich auch Wilhelm nicht fehlte.

Der Kronprinz a.D. schmückte die Inszenierung nicht nur; seine Präsenz verhalf dem neuen Regime zu wachsendem Ansehen auch bei noch immer monarchisch denkenden Bürgern. Anders als sein NS-begeisterter, aber von den Nationalsozialisten nie für voll genommener Bruder August Wilhelm ("Auwi") war der älteste Sohn des exilierten Kaisers Wilhelm II. kein politisches Leichtgewicht.

Das alles soll nun vergessen gemacht, verharmlost oder mit Hinweisen auf späte angebliche Kontakte des vormaligen Kronprinzen zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 verrechnet werden, weil das 1994 im Nachgang zur deutschen Einheit beschlossene Ausgleichsgesetz nur demjenigen (oder seinem Rechtsnachfolger) Entschädigung für Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone gewährt, der nicht "dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System (...) erheblichen Vorschub geleistet hat". Nur wenn dieser Nachweis gelingt, können die Hohenzollern auf gerichtlich verfügte staatliche Leistungen hoffen. Umso größer ist natürlich das Interesse ihres "Chefs", mit Bund und Ländern zu einer außergerichtlichen Einigung zu kommen.

Die Hohenzollern standen nicht auf der Seite der Republik

Exakt gegen diese Verhandlungen macht nun seit vergangener Woche die brandenburgische Linke Front: mit dem Verfassungsinstrument der Volksinitiative, das eine juristische Entscheidung erzwingen soll. Spät, aber vielleicht nicht zu spät für den laufenden Landtagswahlkampf, scheint sich die Partei an das 1926 von der KPD initiierte Volksbegehren für die entschädigungslose Fürstenenteignung erinnert zu haben. Dieses scheiterte zwar in der verfassungsrechtlich vorgesehenen zweiten Stufe (als Volksentscheid), hatte zuvor aber zu einer Mobilisierung weit über das linke Lager hinaus geführt.

Mit Blick auf die heutigen Forderungen der Hohenzollern ist das letzte Wort wohl noch längst nicht gesprochen. Aber der demokratiepolitische Schaden könnte bereits eingetreten sein: Im Sinne einer Gegenaufklärung, die historische Fakten verzerrt, Verantwortlichkeiten verwischt und kritisches Geschichtsbewusstsein zerstört. Schon ist in mancher Berichterstattung davon die Rede, die Rolle der Hohenzollern im Übergang von der Weimarer Demokratie zum Führerstaat sei "umstritten". Richtig ist das Gegenteil, denn 1933 war völlig klar: Die Hohenzollern standen nicht auf der Seite der Republik. Sie zählten zu Hitlers Ermöglichern.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2019/gal
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