Hohe Erwerbslosigkeit:Spanien krempelt den Arbeitsmarkt um

Mehr als jeder fünfte Spanier ist arbeitslos. Um das zu ändern, will der neue Regierungschef Mariano Rajoy eine Reform "von historischer Bedeutung" umsetzen. Schon wenn ein Unternehmen Umsatzeinbußen erwartet, kann es Leute entlassen. Allein: Zunächst werden dadurch erst einmal mehr Spanier ihren Job verlieren.

Javier Cáceres

Als die Spanier am Freitag wach wurden, wussten sie schon so einiges über die Arbeitsmarktreform, die ihre konservative Regierung erst am Mittag verabschieden wollte - indiskreten Mikrofonen sei Dank. Vor ein paar Tagen erst war der Regierungschef Mariano Rajoy dabei erwischt worden, wie er seinem finnischen Kollegen im Zwiegespräch stolz erklärte, dass ihn die Arbeitsmarktreform einen Generalstreik kosten werde.

Spanish Prime Minister Mariano Rajoy Speaks In Parliament

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy bleibt realistisch: Die Arbeitslosigkeit werde in diesem Jahr "unglücklicherweise" noch einmal steigen.

(Foto: Getty Images)

Und am Donnerstagabend wurde Wirtschaftsminister Luis de Guindos dabei ertappt, wie er dem europäischen Währungskommissar Olli Rehn auf Englisch in einem vertraulichen Gespräch ins Ohr säuselte, dass ebendiese Arbeitsmarktreform "extremely aggressive" sein werde: "extrem umwälzend". Kündigungen würden billiger werden, die Tarifbindung "sehr flexibel". Rehn nickte anerkennend. Und antwortete: "Das wäre vorzüglich. Sehr gut."

Unter spanischen Arbeitnehmern sorgten die Äußerungen De Guindos für weit weniger Begeisterung. Erst am Mittwoch hatte Rajoy bei seinem ersten Auftritt vor dem Parlament als Regierungschef erklärt, dass die Reform - seine zweite nach der großen Reform des Bankenwesens - "ausgewogen" sein werde. Hernach war in den Medien von Differenzen zwischen den ultraliberalen Falken und den immer noch liberalen Tauben im Kabinett die Rede.

Insbesondere Finanzminister Cristóbal Montoro wurde nachgesagt, dass er einer allzu aggressiven Regelung skeptisch gegenüberstehe. Der Minister befürchtete, dass die Verunsicherung dem Binnenkonsum schaden könnte. Nach den zufällig eingefangenen Äußerungen von De Guindos, spätestens aber nach der wöchentlichen Kabinettssitzung vom Freitag war dann klar: Die Falken hatten obsiegt.

Die alte Regel, die Abfindungen von 45 Tageslöhnen pro gearbeitetes Jahr vorsah, wird abgeschafft; in Zukunft gilt für alle unbefristeten Verträge eine maximale Abfindung von 33 Tageslöhnen pro Jahr. Zudem wird die Liste der zulässigen Kündigungsgründe erweitert. Zu den besonderen Schärfen der neuen Regelung zählt, dass nun auch wegen anhaltender oder erwarteter Verluste und Umsatzeinbußen gekündigt werden darf.

Massenentlassungen müssen nicht mehr vorab von den Behörden autorisiert werden; weil eine solche Regelung damit nur noch in Griechenland existiert, sagte die Arbeitsministerin Fátima Báez, dass Spanien nun auch in dieser Hinsicht "europäischer geworden" sei. Für Unternehmer, die junge Arbeitslose anstellen, werden steuerliche Anreize geschaffen. Andererseits wird die noch von den bis Ende letzten Jahres regierenden Sozialisten dekretierte Erlaubnis rückgängig gemacht, Zeitverträge endlos aneinanderreihen zu können. Nach zwei Jahren muss einem Arbeitnehmer ein fester Vertrag angeboten werden.

Arbeitslosenquote über 22 Prozent

"Diese Reform ist von historischer Bedeutung", sagte Ministerin Báez. "Sie wird kurzfristig den Aderlass auf dem Arbeitsmarkt stoppen und setzt die Grundlagen dafür, dass alsbald stabile Arbeitsverhältnisse entstehen." Gleichwohl hatte Rajoy vor dem Parlament gewarnt, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr "unglücklicherweise" noch einmal steigen wird.

Die Großbank BBVA rechnet in einer soeben vorgelegten Studie damit, dass Spanien auch Mitte 2013 noch 5,7 Millionen Arbeitslose haben werde. Zurzeit liegt die Quote jenseits der 22 Prozent. Nahezu jeder Zweite unter 25 Jahren ist derzeit ohne Job.

Das Dekret tritt mit Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft - das heißt voraussichtlich schon an diesem Wochenende. Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría sagte, dass das Dekret danach der parlamentarischen Konsultation unterzogen werden solle. Man wolle sich die Ratschläge und Änderungsanträge der anderen Parteien im Parlament anhören "und den größtmöglichen Konsens" generieren. Allerdings verfügt die Regierung im Parlament über eine satte absolute Mehrheit. Der Unternehmerverband und die Gewerkschaften sollen Anfang kommender Woche gehört werden.

Dass es die Arbeitnehmervertreter dann wirklich, wie von Regierungschef Rajoy beim Gespräch mit Olli Rehn befürchtet, zum Schwur kommen lassen, ist eher zu bezweifeln. Ihr letzter Generalstreik ist noch in guter Erinnerung. Er fand 2010 statt, richtete sich gegen die Arbeitsmarktreform des inzwischen abgewählten Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero - zeitigte aber keinen Effekt, sondern ging, wie man in Spanien sagt, "ohne Pein noch Glorie" vorüber.

Gleichwohl übten sie Kritik. Bereits am Vorabend der Kabinettssitzung hatte Cándido Méndez vom Gewerkschaftsbund UGT moniert, dass die - nun weitgehend bestätigten - Reformpläne der Regierung die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse weiter ansteigen lassen werde. Den Unternehmern würden mehr Vorwände für Entlassungen geliefert. Spaniens drängendstes Problem werde so nicht gelöst. Es nennt sich Arbeitslosigkeit.

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