Hochwasserkatastrophe in Pakistan"Der Präsident denkt nur an sich"

Lesezeit: 3 Min.

In Pakistan fehlt es 14 Millionen Menschen an Nahrung, sauberem Wasser und Medikamenten. Ihre Wut gilt Präsident Zardari, der eine Europareise vorzog. Dagegen freuen sich die Extremisten über Zulauf.

Tobias Matern, Islamabad

An sein altes Leben erinnert ihn nichts mehr. Das Haus ist komplett weggespült, über das ehemalige Ackerland rast ein Strom schlammbraunen Wassers. Der Mann aus dem Swat-Tal im Nordwesten Pakistans ist so nah wie möglich an den Ort herangegangen, der ihm einerseits vertraut ist, weil er dort lange wohnte. Andererseits ist ihm die Umgebung nun völlig fremd. Sein Leben teilt sich von jetzt an in die Zeit vor und die Zeit nach der Flutkatastrophe, die Pakistan seit mehr als zwei Wochen überschwemmt. "Alles, was ich hatte, ist weg", sagt der Mann mit der weißen Kopfbedeckung und dem traditionellen Gewand einem Nachrichtensender. Und er fügt an: Auf Staatshilfe setze er nicht.

Die Opfer der Flutkatastrophe sind wütend auf ihre Regierung.
Die Opfer der Flutkatastrophe sind wütend auf ihre Regierung. (Foto: Getty Images)

Wut und Trotz ist aus diesen Worten zu hören, über ein Desaster, das längst nicht überstanden ist und von dem bereits jetzt nach Angaben der Vereinten Nationen 14 Millionen Menschen betroffen sind. Und das in einem Land, das seit Jahren mit dem Terrorismus ringt, in dem Tausende bei Anschlägen gestorben sind, das wirtschaftlich ausgezehrt ist. Vor allem ärgern sich die Pakistaner über eine politische Führung, die zu Beginn der Krise "apathisch und unangemessen" reagiert habe und nun die Schuld auf die Behörden in der am heftigsten betroffenen Provinz schiebt, wie eine Politikerin aus der Regierungskoalition am Mittwoch im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung einräumte.

Sogar an Orten, an denen sich der Monsunregen noch nicht vom Himmel ergossen hat, ist eine heftige Abneigung spürbar, die sich vor allem gegen Pakistans Präsidenten Asif Ali Zardari richtet. "Es gibt nun Millionen Menschen in unserem Land, die ohne Dach über dem Kopf schlafen müssen, denen es dreckig geht, die ihren ganzen Besitz verloren haben. Und was macht unser Präsident?", fragt ein Mann in Islamabad, der sich in der Hauptstadt mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. "Er macht nichts, er fliegt durch Europa und achtet lieber darauf, dass es ihm wie immer gut geht", schimpft er.

Staatschef Zardari hatte seine mehrtägige Europareise trotz Kritik der Opposition und in der Öffentlichkeit nicht abgesagt oder vorzeitig beendet, er war erst am Dienstag zurückgekehrt. Während es in seiner Heimat an Nahrung, sauberem Wasser und Medikamenten mangelt, entstand bei den Menschen in den Flutgebieten der Eindruck, der Präsident setze seinen großspurigen Lebensstil auf Staatsbanketts und in Luxushotels unbeirrt fort. "Sein Verhalten war ein strategisches Desaster", sagt ein Beobachter in Islamabad. "Er hat jegliche Sensibilität vermissen lassen." Zardari ließ nach seiner Rückkehr bekanntgeben, er werde sich nun umfassend über die Lage informieren und in die Katastrophengebiete reisen.

Sein Volk wird er damit kaum besänftigen können. Vor allem die Grenzregion zu Afghanistan im Nordwesten des Landes, die nun besonders heftig mit den Fluten zu kämpfen hat, war bereits in den vergangenen Jahren besonders stark vom Anti-Terror-Kampf betroffen, worunter vor allem die Zivilbevölkerung gelitten hat. Im Swat-Tal, in dem noch immer Hunderttausende Menschen von Hilfslieferungen abgeschnitten sind, hatte die Armee im Frühjahr 2009 den Taliban den Krieg erklärt und damit eine Reihe von Operationen gegen die Extremisten eingeleitet.

Bereits damals war es zu einer humanitären Katastrophe mit Millionen Flüchtlingen gekommen, von der sich die Region bis heute nicht erholt hat. Als die Armee das Swat-Tal für weitgehend von den Taliban befreit erklärt hatte, kehrten die Bewohner in eine Region zurück, in der zunächst viele Häuser neu aufgebaut werden mussten. Der mühsam erzielte Fortschritt ist nun der Flut zum Opfer gefallen. Die Menschen stehen vor dem Nichts - wieder einmal.

Extremistische Organisationen machen sich diese Notlage zunutze, sie versprechen Hilfe, stellen Unterkünfte und Nahrung zur Verfügung, versorgen die Flutopfer. Die Taliban haben nun sogar von der Regierung verlangt, auf amerikanisches Hilfsgeld zu verzichten. Im Gegenzug erklärten sie, diese Mittel selbst aufbringen zu können. "Es ist besorgniserregend zu sehen, wie die Extremisten in den Flutregionen immer aktiver werden", sagt die Parlamentsabgeordnete Bushra Gohar. Der Staat sei nun mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft gefragt, um die Not zu lindern im Kampf gegen eine Katastrophe, die "jegliche Vorstellungskraft übersteigt", wie die Politikerin nach einer Reise in die Krisenregion erzählt. Allerdings ist die Spendenbereitschaft - zumindest in Deutschland - gering. Wegen des schlechten Rufs, den Pakistan hat.

© SZ vom 12.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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