Die Stadt Niedernhall im Hohenlohekreis hat reichlich Erfahrungen mit Hochwasser. 1993 und erneut 1994 ist hier der Kocher über die Ufer getreten, und auch 2016 standen Straßen unter Wasser, soffen Keller ab, waren die Schäden immens. Doch als Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) an diesem Montagnachmittag in Niedernhall am Ufer des Kocher steht, benötigt sie keine Gummistiefel. Der Nebenfluss des Neckar hat zwar Bäume niedergerissen und am Wochenende die Nerven von Bürgermeister Achim Beck und der 4200 Einwohner gehörig strapaziert, aber letztlich haben die Dämme dem Druck und dem deutlich erhöhten Pegel standgehalten. „Mir ist kein einziger Sachschaden bekannt“, kann Beck der Besucherin aus Stuttgart durchaus mit Stolz verkünden.
Kein beschädigtes Auto. Kein voller Keller. Nichts – wenn man mal vom Fußballplatz der Sportgemeinschaft Niedernhall/Weißbach absieht, der sich aktuell besser für Wasserball als zum Kicken eignen dürfte.
Ein bisschen Glück ist natürlich dabei, wenn Niedernhall nun besser dasteht als viele anderen Kommunen im Südwesten, die zur gleichen Zeit Evakuierungen veranlassen und Land unter, ja sogar Tote melden müssen. Erst am Sonntag gegen 6 Uhr früh war in Niedernhall die Pegelprognose so, dass Bürgermeister Beck und sein Krisenstab aufatmen konnten, weil kein Anstieg mehr zu befürchten war. Und damit auch kein Übertritt des Kocher, kein Einsatz von Sandsäcken, keine Evakuierungen, kein Katastrophenfall.
Manche hatten den Aufwand für den Hochwasserschutz für übertrieben gehalten
Aber es hat auch etwas mit Prävention zu tun, mit Lehren aus der Vergangenheit und nicht zuletzt mit hohen Investitionen. Denn Stadt und Land haben nach der Hochwasserkatastrophe von 2016 die Schutzmaßnahmen erheblich verstärkt und dafür allein auf der Gemarkung von Niedernhall 6,3 Millionen Euro investiert – in die Erhöhung und Verbreiterung bestehender Erddämme und den Bau einer neuen Stahlbetonwand, in eine neue Straßenentwässerung und die Erweiterung des Pumpwerks.
Es war die bislang größte und teuerste Einzelmaßnahme zum Hochwasserschutz in der Region. Das Land finanzierte 70 Prozent, die Kommune 30 Prozent, was immer noch 1,8 Millionen Euro waren. Viel Geld für eine 4200-Einwohner-Stadt. Einerseits. Andererseits: Im Fall des Falles könnten die Schäden die Investitionssumme schnell um ein Vielfaches überschreiten. Auf 46,5 Millionen Euro schätzt das Land die Höhe der potenziellen Schäden, die durch die Maßnahme verhindert werden sollen. Das vergangene Wochenende war der erste Härtetest für die Hochwasserschutzmaßnahmen in Niedernhall.

Bürgermeister Beck sagt, es seien am Samstag und Sonntag viele Hochwassertouristen in der Stadt gewesen, auch Leute aus der näheren Umgebung, die die Schutzmaßnahmen zunächst als übertrieben empfunden hatten. Nun war die Rückmeldung, die Beck zu hören bekam, einhellig die, dass die Investitionen sehr sinnvoll gewesen seien. Umweltministerin Walker sagt, das Thema werde angesichts der Klimakrise weiter an Bedeutung gewinnen. Baden-Württemberg investiere pro Jahr 115 Millionen Euro in den Hochwasserschutz, der Bund müsse aber seine Ausgaben erhöhen. Bei der Umweltministerkonferenz Ende der Woche wollen Baden-Württemberg und andere Bundesländer einen entsprechenden Antrag einbringen.
Welche Schäden das Hochwasser in Baden-Württemberg insgesamt angerichtet hat, ist derweil noch nicht absehbar, sie sind jedenfalls immens. So bestätigte die Polizei am Montagnachmittag der Deutschen Presse-Agentur, dass Einsatzkräfte in Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) zwei Menschen tot aus einem Keller geborgen haben, der vollgelaufen war. Im nahe gelegenen Rudersberg rissen die Wassermassen Autos mit, in Teilen Baden-Württembergs konnte die Bahn nur eingeschränkt fahren, im Ostalbkreis kam es teilweise zu Evakuierungen.