Kopf oder Zahl? Wer verstehen will, warum in deutschen Hochschulen der Putz von den Wänden fällt, Professoren fehlen und Hörsäle hoffnungslos überfüllt sind, braucht beides. Denn die Zahl allein trügt: Um 29 Prozent ist die Grundfinanzierung von Lehre und Forschung binnen zehn Jahren bundesweit im Durchschnitt gestiegen. Zugleich stieg aber auch die Anzahl der Studenten, um 28 Prozent. Pro Kopf bleibt von dem Geldsegen daher wenig übrig: 7323 Euro wurden im Jahr 2013 je Student ausgegeben - 55 Euro mehr als zehn Jahre zuvor. Dies rechnet eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie vor, die diesen Donnerstag erscheint.
"Die pauschale Kritik, Hochschulen seien die große Melkkuh für die Haushaltskonsolidierungen der Länder, stimmt also nicht", betont Studienleiter Peer Pasternack. In das Hochschulwesen fließe viel mehr Geld als früher - aber eben immer noch nicht genug. "Schaut man ganz genau hin, sind die Ausgaben pro Student sogar um fast 900 Euro gesunken", sagt der Hochschulforscher von der Universität Halle-Wittenberg. Denn er und seine Kollegen haben "lebensnah" gerechnet und reale Kostensteigerungen, etwa beim Personal, berücksichtigt. Das Ergebnis: Im Schnitt müssen Hochschulen bei den Grundmitteln mit zwölf Prozent weniger je Studierendem auskommen als vor zehn Jahren.
Die Studie beziffert eine bekannte Misere. Kaum einer bezweifelt die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, doch wird sie zunehmend scharf diskutiert. Da Bildungspolitik in Deutschland seit zehn Jahren Ländersache ist, wird das Geld, mit dem Hochschulen Personal, Verwaltung und Gebäude bezahlen, zum allergrößten Teil von den Bundesländern bereitgestellt. Aber die kommen ihrer Pflicht oft nur ungenügend nach, so die Kritik. "Die Länder lassen die Hochschulen am langen Arm verhungern", moniert Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands. Dass sich das Problem durch sinkende Studierendenzahlen von selbst löst, kann spätestens seit vergangener Woche niemand mehr hoffen. Da meldete das Statistische Bundesamt für das laufende Wintersemester einen neuen Rekord von 2,8 Millionen Studierenden. "Bund und Länder müssen endgültig die Vorstellung ad acta legen, dass die große Nachfrage nach Studienplätzen ein zu überbrückendes zeitweises Phänomen ist", mahnte Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Sie müssten sich zu einer dauerhaften, angemessenen Finanzierung durchringen.
Davon sind sie noch weit entfernt. Zwar unterstützt der Bund die Länder massiv, vor allem mit dem insgesamt 20 Milliarden Euro schweren Hochschulpakt. Doch erstens kommen nicht alle Fördermittel bei den Hochschulen an, weil die Länder damit andere Löcher bei der Bildung stopfen. Und zweitens löst kein Hilfsprogramm Probleme auf lange Sicht. Seit Jahren stellen Hochschulen mangels Planungssicherheit viele Mitarbeiter nur befristet und zu schlechten Konditionen an. Da die Länderfinanzierung nicht reicht, werden die Stellen aus zeitlich begrenzten Bundesgeldern bestritten. So ist ein akademisches Prekariat entstanden, für das sich mancher im Wissenschaftsbetrieb schämt. "Eine unhaltbare Situation für die Beschäftigten wie für die Hochschulen", sagt Hippler.
Nicht alle Bundesländer tun für die Grundfinanzierung gleich viel oder wenig, wie die Studie zeigt. "Vor allem Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben die Mittel aus eigener Kraft aufgestockt", sagt Pasternack. Dagegen hätten andere Länder den Bedarf stärker mit Bundeszuschüssen aus dem Hochschulpakt gedeckt und ihren Eigenanteil geringer gehalten. Schlusslicht war hierbei Berlin, das inzwischen aber wieder mehr ausgibt. Auch Sachsen hat seine Hochschulen lange knapp gehalten, in der vergangenen Woche verkündete das Wissenschaftsministerium dann eine Kurskorrektur: Den 14 staatlichen Einrichtungen stehen für die nächsten acht Jahre gut 9000 unbefristete Stellen zu, für die der Freistaat jährlich etwa 600 Millionen Euro überweist. Weitere 70 Millionen fließen für Sachkosten und Investitionen. Im Gegenzug sollen Sachsens Hochschulen jährlich mindestens 2000 neue Studienplätze für den Lehrernachwuchs schaffen.
Überraschendes fördert Pasternaks Analyse zutage, wenn sie die Ausgaben ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft setzt. "Intuitiv würde man erwarten, dass überdurchschnittlich starke Länder auch überdurchschnittlich investieren", sagt der Sozialwissenschaftler. Im Fall von Bayern wird diese Erwartung enttäuscht. Gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt investiert der Freistaat weit unterdurchschnittlich, er steht bei den Ausgaben an vorletzter Stelle.
Das bayrische Wissenschaftsministerium weist den Vorwurf zurück. Die Ausgaben finanzstarker Länder seien "relativ gesehen natürlich etwas niedriger" als bei ärmeren Ländern, es komme aber auf die tatsächlichen Mittel an: "Mit dem realen Euro kann die Hochschule etwas anfangen." Zudem gebe Bayern, seitdem der Bund den Ländern die Bafög-Last abnimmt, die frei werdenden Mittel "vor allem in die Grundfinanzierung der Hochschulen", dies seien 140 Millionen Euro.