Süddeutsche Zeitung

Hochschule:Elitär statt egalitär

Ein Professor für 25 Studenten, das will Bayern an einer neuen Uni durchsetzen - und verstößt damit gegen die Vorschriften.

Von Anna Günther und Claudia Henzler, Nürnberg

Auch wenn deutsche Universitäten im internationalen Vergleich nicht schlecht dastehen - auf amerikanische und britische Eliteuniversitäten wie Harvard, Stanford oder Oxford blicken viele mit einem gewissen Neid. Denn dort wird mit Budgets gearbeitet, von denen hiesige Hochschulpräsidenten nur träumen. In Harvard zum Beispiel kümmern sich 2400 Professoren um gerade mal 21 000 Studenten. Das macht einen engen Kontakt zwischen Studenten und Lehrenden möglich.

Derart personalintensive Eliteunis gibt es hierzulande nicht, und das ist einer zutiefst demokratisch geprägten Hochschulstruktur geschuldet. In Deutschland steht ein egalitäres Verständnis dem elitären Studieren im Weg. Es gilt der Grundsatz, dass jeder Bürger vergleichbare Bildungschancen haben soll. Deshalb müssen die Universitäten ihre Kapazitäten ausschöpfen und so viele Studienplätze schaffen wie sinnvoll möglich. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht darüber, dass dieser Grundsatz auch eingehalten wird. So wird den Hochschulen vorgeschrieben, wie viele Studenten sie bei welcher Personalstärke aufnehmen müssen. Im Durchschnitt ist ein Professor an den staatlich finanzierten Universitäten in Deutschland für 70 Studenten zuständig.

Eine Verordnung schreibt Hochschulen vor, wie viele Studenten sie aufnehmen müssen

Doch der internationale Wettbewerb stellt das egalitäre Prinzip zunehmend infrage. Deshalb will sich das CSU-geführte Bayern nun über die bisherige Praxis hinwegsetzen. Die Landesregierung hat angekündigt, für 1,2 Milliarden Euro eine neue und elitäre Technische Universität (TU) zu gründen. Bis zum Jahr 2025, so heißt es, soll in Nürnberg, der Heimatstadt von Ministerpräsident Markus Söder, eine Art bayerisches Stanford für 6000 Studenten entstehen - mit einem Betreuungsschlüssel von einem Professor für 25 bis 30 Studenten.

Wie das gehen soll, ist offen. Derzeit wird die Betreuungsrelation bundesweit durch ein bürokratisches Ungetüm namens Kapazitätsverordnung bestimmt. Sie hat unter anderem zur Folge, dass sich Unis nicht etwa über mehr Platz im Hörsaal freuen können, wenn weniger Studenten kommen, sondern dass sie Stellen streichen müssen. Die Berechnung ist kompliziert und ergibt je nach Fachbereich unterschiedliche Werte: Ein Medizinstudent wird intensiver betreut als beispielsweise ein Germanist.

Es gab in den vergangenen zwanzig Jahren mehrere Versuche, die Kapazitätsverordnung abzumildern. So hat sich der Deutsche Wissenschaftsrat wiederholt für eine Reform eingesetzt, die auf kleinere Betreuungsrelationen hinausläuft. Der Wissenschaftsrat betont, dass seine Bemühungen dabei immer auf das gesamte Hochschulsystem abzielen, "nicht auf die Privilegierung einzelner Standorte oder Fächer". Zur geplanten TU in Nürnberg hat sich das Beratergremium noch nicht geäußert. Erst im Herbst soll es offiziell über die Pläne in Kenntnis gesetzt werden.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich 2016 in einer gemeinsamen Erklärung mit der Kultusministerkonferenz für eine "Weiterentwicklung" des Kapazitätsrechts ausgesprochen. Man will "den Mehraufwand für qualifizierte Lehre" berücksichtigt wissen und den Hochschulen "mehr Flexibilität bei der Gestaltung von Studienverläufen" ermöglichen. Wie das genau aussehen könnte, wird noch diskutiert. Auf welcher Basis Bayern den komfortablen Betreuungsschlüssel einführen will, kann sich die HRK nicht recht erklären. Es gibt zwar Ausnahmeregelungen, doch die sind für Aufbauphasen von Unis gedacht, nicht als Dauerzustand.

Noch befindet sich die Elite-TU in der Planung. Das Konzept wird von einer Kommission unter Leitung des Münchner TU-Präsidenten Wolfgang Herrmann erarbeitet. Eckpunkte sind bereits bekannt. Demnach sollen als Studiengänge Biotechnologie, Computerwissenschaft und verschiedene Ingenieurwissenschaften angeboten werden. Wie die Landesregierung verhindern will, dass sich Studenten dort mit Hinweis auf die nicht optimal ausgenutzten Kapazitäten einklagen, wurde bislang offenbar kaum diskutiert. Während Ministerpräsident Markus Söder die Gründung schon als Fakt präsentiert, spricht das bayerische Wissenschaftsministerium auf Nachfrage noch vorsichtig von der "Anregung der Strukturkommission", die Betreuungsrelationen zu verbessern. Das ausführliche Konzept will man nach der Sommerpause dem Wissenschaftsrat übergeben. Der wiederum soll es bis Herbst 2019 begutachten, teilt das Ministerium mit: "Dann wird über entsprechende Empfehlungen politisch zu entscheiden sein".

Sollte die Eliteuni Wirklichkeit werden, dürfte das bei anderen Universitäten Begehrlichkeiten wecken. Bayern könnte mit diesem Vorstoß einen Präzedenzfall schaffen.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2018
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