Zweiter Weltkrieg:Hitlers Mann am Bosporus

Elyesa Bazna, Also Known As Cicero, The Greatest Spy Of World War II Who Was Used By The Nazis, Interviewed At The French Radio About His Spying Career

Zum Glück für die Alliierten glaubten die Deutschen ihm nicht: Elyesa Bazna alias "Cicero" (Foto von 1962).

(Foto: Gamma-Keystone/Getty Images)

Codename Cicero: Elyesa Bazna gilt als berühmtester türkischer Spion, ein neuer Film rankt weitere Legenden um ihn. Wer war der Arien singende Agent wirklich, der vor 50 Jahren in München starb?

Von Christiane Schlötzer

Die Veilchen auf dem Grab sind frisch, der raue Stein hat einen rosa Schimmer. Grabfeld 97 auf dem Friedhof Perlacher Forst in München. "Cicero" ist in Großbuchstaben in den Granit graviert, darunter etwas kleiner der Name des Mannes, der von sich behauptete, "der größte Spion des Zweiten Weltkriegs" gewesen zu sein: Elyesa Bazna, Deckname Cicero.

Geboren 1904 in Priština, heute Hauptstadt Kosovos, gestorben 1970 in München. Als Arbeitslosengeldempfänger, der sich um seinen Lohn, den Lohn der Angst, betrogen sah - und selbst ein Betrüger war.

Ein Leben wie ein Schelmenroman oder ein orientalisches Schattenspiel. Und ein vergessenes Kapitel der deutsch-türkischen Geschichte. Auf dem Friedhof im Süden Münchens gibt es auch zwei Ehrenhaine für Opfer der Konzentrationslager und Gräber polnischer Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Dies war nicht Elyesa Baznas Krieg, aber er wurde in diesem Krieg dann doch Täter - und Opfer.

"Meine Lebensgier war unersättlich: Genuss, Gier und geheime Macht"

Bazna war 1943 Kammerdiener des britischen Botschafters in Ankara. Die Türkei war ein neutrales Land, um dessen Gunst viele warben: Die Briten, sie hätten die Türkei gern auf ihre Seite gezogen; und die Deutschen, die genau das verhindern wollten und damit drohten, Istanbul und Izmir zu bombardieren, sollte die Türkei dem Dritten Reich den Krieg erklären.

Die türkische Hauptstadt war damals voll von Agenten, und Eylesa Bazna entdeckte, dass er für diese Tätigkeit die besten Voraussetzungen mitbrachte. Niemand rekrutierte ihn, das machte er selbst, und er verkaufte sein Wissen sehr teuer an ein Land, mit dem ihn nicht wirklich etwas verband.

Bazna war kein Nazi, aber er belieferte das Hitler-Regime mit geheimsten Dokumenten der Alliierten. Seiner Quelle, dem britischen Botschafter Sir Hughe Knatchbull-Hugessen, reichte er jeden Morgen eine frisch gebügelte Hose und ein gebürstetes Jackett und jeden Abend den Pyjama und dazu ein starkes Schlafmittel.

Dann nahm er die geheimen Dokumente aus einer Kassette am Bett des Botschafters, fotografierte sie im Dienstbotenzimmer und legte sie zurück auf den Nachttisch. Oder er öffnete den Safe des Diplomaten, mit einem selbst angefertigten Nachschlüssel.

Dabei plagte Bazna stets die Furcht, entdeckt zu werden. Wäre das geschehen, er hätte es wohl nicht überlebt.

Das wusste der Spion in der Butleruniform, er erkannte schließlich die Brisanz der Papiere, die er kopierte und an den deutschen Botschafter in Ankara, den ehemaligen Reichskanzler Franz von Papen, weiterreichte.

Warum riskiert einer alles für Kriegsherren, die ihm nichts bedeuten? Aus Abenteuerlust, der Gier nach Geld?

Es gibt viele Versionen dieser Geschichte voller Geheimnisse - und seit Neuestem auch einen türkischen Spielfilm mit dem Titel "Çiçero". Der versucht das Husarenstück, den Spion zu einem Helden zu machen, ohne die Nazis, denen er diente, irgendwie gut aussehen zu lassen. Deshalb handelt der Agent hier in höherem Auftrag.

Schemenhaft erscheint am Ende Kemal Atatürk, der Republikgründer. Der starb zwar schon 1938, aber so wie es der Film erzählt, soll er Bazna persönlich noch angewiesen haben, die Türkei aus einem neuen "schmutzigen Krieg" herauszuhalten, und zwar als Mitglied "der nationalen Geheimorganisation". Bazna, gespielt von dem blendend aussehenden, in der Türkei beliebten Erdal Besikçioglu, antwortet Atatürk: "Zu Befehl, mein Pascha." War Cicero also in Wahrheit ein türkischer Spion? Oder ein Doppelagent?

In dem Spionageklassiker "Five Fingers" von Joseph L. Mankiewicz, gedreht schon 1952, spielt Hollywoodstar James Mason den verräterischen Kammerdiener Cicero. Seiner Entdeckung entkommt der Agent aus Ankara in dieser Version der Geschichte durch die Flucht nach Brasilien. In Rio beginnt er nach dem Krieg ein Leben im Luxus, bis herauskommt, dass das Geld, mit dem ihn die Deutschen bezahlt haben, nichts wert ist. Es sind Blüten.

Bazna war nie in Rio, aber die britischen Pfundnoten, die er für seine Dienste von den Deutschen erhielt, waren in der Tat gefälscht. Sie waren im Konzentrationslager Sachsenhausen nördlich von Berlin hergestellt worden. Mit der massenhaften Fälschung von Pfundnoten wollten die Nazis die Bank von England schädigen.

Bazna schreibt in seinen Erinnerungen welch "seltsamen Weg" dieses Geld ging, er begann und endete auch in der Türkei: "Zu Beginn des Krieges lieferten türkische Webereien Leinen nach Deutschland." In ähnlicher Qualität ließ sich solcher Stoff andernorts nicht auftreiben. Dieses türkische Leinen sei dann zu Papier derselben Art verarbeitet worden, wie es die Bank von England benutzte.

Davon erfuhr Bazna aber erst nach dem Krieg, als er tatsächlich wegen der Blüten aufgeflogen war, und zwar in Istanbul. Auch davon erzählt er in seinen Erinnerungen mit dem Titel "Ich war Cicero". Aufgezeichnet hat sie der deutsche Autor Hans Nogly in München, zuerst für die Illustrierte Revue. Das Buch erschien 1964 im Lichtenberg Verlag.

Der erste Satz dieser Autobiografie klingt wie ein Bekenntnis: "Meine Lebensgier war unersättlich." Und Bazna erzählt auf 320 Seiten, was ihn bewegte: "Genuss, Geld, geheime Macht." Er beschreibt sich als "hässlich", klein, mit klobiger Nase, "bäurisch und auf den ersten Blick unbeholfen". Aber er liebte die Frauen, viele Frauen - zu viele für das türkische Leinwandepos, das sich sittsam auf eine einzige Liebesgeschichte beschränkt.

Cicero lieferte die Invasionspläne der Alliierten 1944 - doch die Deutschen glaubten ihm nicht

Außer bald sehr viel Geld hatte er eine schöne Stimme, einen Bariton. Dass er Arien singen konnte, von Verdi, und Lieder von Schubert, beeindruckte auch den britischen Botschafter, der es schätzte, wenn er seinen Kammerdiener am Klavier begleitete.

Dieser Botschafter hatte auch Spaß daran, Bazna in Fantasieuniformen zu stecken, aus besticktem Brokat, mit einem türkischen Fez auf dem Kopf. Der Diener buckelte und machte den Affen für den schrulligen Briten, weil ihm das bei seinem Doppelspiel nützte.

Zweiter Weltkrieg: Sein Leben wurde bereits im Jahr 1952 verfilmt.

Sein Leben wurde bereits im Jahr 1952 verfilmt.

(Foto: mauritius images / Collection Ch)

Er ging dafür in Ankara mit seinen Geliebten in die teuersten Geschäfte, kaufte für sie kostbarste Kleider und setzte sich in die Hotelhalle des "Ankara Palas". Ein riskantes Spiel, denn so etwas konnte sich eigentlich kein Diener leisten. "Ich war davon besessen, mit der Gefahr zu spielen", notierte Bazna, dessen ganzes Leben sich zwischen Sein und Schein bewegte.

Als Eleysa, in der Türkei Ilyas genannt, in Priština geboren wurde, gehörte seine Heimat noch zum Osmanischen Reich. Als das ab 1912 in den Balkankriegen zerfiel, strömen Millionen Flüchtlinge Richtung Süden. Auch Baznas Familie flüchtete, erst nach Thessaloniki, dann nach Istanbul. Das Reich schrumpfte, "und bei jedem Ortswechsel verlor mein Vater Vermögen, Grund und Boden."

In Istanbul schickte ihn die Familie auf eine Militärschule. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Stadt am Bosporus von fremden Truppen besetzt, britischen, italienischen, französischen. Mit 16 arbeitete Bazna als Hilfsarbeiter für eine französische Transporteinheit, lernte das Autofahren. Autos wurden seine Leidenschaft.

Erst einmal aber fuhr er das Motorrad eines Offiziers zu Schrott, wurde in ein Militärgefängnis gesteckt, brach aus, beging auf der Flucht ein paar Straftaten. Ein französisches Militärgericht in Istanbul verurteilte den "gefährlichen jugendlichen Verbrecher" zu drei Jahren in einer Strafkolonie in Marseille. Dort lernte er so gut Französisch, dass er später Sir Hughe damit beeindruckte.

Wie grausam Krieg sein kann, hatte Bazna auf dem Balkan erlebt. Dass ihn deshalb die Angst plagte, ein neuer Krieg könnte die Türkei erreichen, dürfte also stimmen. Er war als ehemaliger osmanischer Bürger nun Türke, und er fürchtete, Istanbul, seine neue Heimat, könnte von den Deutschen zerstört werden.

Bazna nahm später für sich in Anspruch, mit seinem Geheimnisverrat den alliierten Plan vereitelt zu haben, die Türkei schon 1944 zum Kriegseintritt zu bewegen. Weil er den Deutschen auch verriet, was die Briten mit den Türken besprachen. Die Türken schlossen sich den Alliierten erst im Februar 1945 an.

Es gibt in dem türkischen Spielfilm eine historisch belegte Szene, die das Ringen der beiden Nationen miteinander zeigt. Der britische Premier Winston Churchill trifft 1943 den türkischen Präsidenten Ismet Inönü in einem Zug in Adana. In einem Salonwagen redet Churchill auf den Türken ein. Der aber sagt, er verstehe den Briten leider nicht, denn er sei so schwerhörig, und hält sich die Hand ans Ohr.

Anfangs misstrauen die Deutschen in Ankara dem Agenten, der ihnen Fotografien geheimster Unterlagen der Alliierten anbietet und dafür unverschämt viel Geld verlangt. 20 000 britische Pfund für zwei Rollen Film. Aber Bazna überzeugt Ludwig Carl Moyzisch, Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin, SS-Obersturmbannführer, der in Ankara als harmloser Handelsattaché geführt wird.

Der SS-Mann sagte, Hitler werde ihm eine Villa schenken

Moyzisch ist ehrgeizig, und als Cicero Dokumente liefert, die Ort und Zeitpunkt eines Bombardements auf dem Balkan exakt benennen, sagt er dem Spion, Hitler werde ihm nach dem Krieg eine Villa schenken.

Ciceros Papiere machen in Berlin Eindruck. Bei Außenminister Joachim von Ribbentrop und bei Adolf Hitler. Der soll sie im Dezember 1943 dazu benutzt haben, eine Invasion der Alliierten für das Frühjahr 1944 vorherzusagen.

Die Invasion in der Normandie beginnt dann erst am 6. Juni 1944. Die Alliierten nennen sie "Operation Overlord", und auch diese Information gibt Cicero an die Deutschen weiter. Aber da glaubten sie ihm in Berlin schon nicht mehr. Der Agent hat so viel geliefert, dass man in Ribbentrops Amt in Berlin an eine britische Falle glaubt.

So hat es Moyzisch, Ciceros Kontaktmann in Ankara, der nie wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde, später in seinen eigenen Erinnerungen beschrieben. Der britische Secret Service behauptete wiederum nach dem Krieg, wohl zur eigenen Ehrenrettung, "natürlich war Cicero unter unserer Kontrolle". Also Doppelagent.

Liest man Baznas Erinnerungen, findet sich nichts, was das belegen würde. Der Meisterspion hortet seinen Lohn der Angst unter dem Teppich seines Dienstbotenzimmers. 300 000 britische Pfund liegen dort unter seinen Füßen. "Es gab mir ein Gefühl von höchstem Triumph, darüber hinzuschreiten, in der devoten Haltung eines treuen Dieners meines Herrn, Seiner Exzellenz des britischen Botschafters Sir Hughe Knatchbull-Hugessen."

Das ist sein Motiv: der Triumph des kleinen Mannes über ein Imperium, verkörpert durch dessen Vertreter, dem er täglich ein heißes Bad richtet.

Für das Ende der lukrativen Agentenkarriere sorgt dann eine Frau, ausgerechnet. Sie arbeitet als Sekretärin für Moyzisch, der nicht ahnt, dass sie auch eine Spionin ist. Cornelia Kapp, die Tochter eines Nazi-Gegners, arbeitet für die Briten und die Amerikaner.

Mit Cicero flirtet sie und hat ihn bald im Verdacht, der Verräter zu sein, den die Briten schon länger suchen. Bazna ist auch von dieser Frau angezogen, er hat einfach eine Schwäche für Schönheit: "Wir mochten uns, als wir uns sahen. Nur unsere Schatten waren Gegner."

Er wittert das Unheil und verlässt die britische Botschaft Ende April 1944 durch den Hinterausgang. Vorher hat er noch formell um Entlassung gebeten, er wolle zu seiner Frau und den vier Kindern in Istanbul, sagt er dem Botschafter. Die gab es tatsächlich auch.

Sir Hughe lehnt es ab, sich von seinem Kammerdiener zu verabschieden, und der Verräter ist in seiner Eitelkeit gekränkt: "Ich mochte ihn überlistet haben, aber das bedeutet nicht, dass er mich als Gegner akzeptierte."

Seinem Biografen diktierte Bazna: "Ich ging die Straße hinunter, meinen Koffer in der Hand, unbeachtet, ein Mann mit gelichtetem Haar ... Von meiner Bedeutung war ich in diesem Augenblick nicht überzeugt." So kommt er erst mal davon und schlüpft in eine neue Rolle.

Er bleibt in Ankara, mietet eine elegante Wohnung, findet eine neue Geliebte, mit der er sein Geld verschwenden kann. Versorgt großzügig auch seine Frau und die Kinder in Istanbul und sagt zu sich selbst: "Mein Gewissen ist völlig ruhig."

Aber er will noch einmal etwas Großes schaffen. Er liebt Hotels und Hotelhallen. So gründet Bazna eine Baufirma und baut in Bursa ein Hotel, zu Füßen des malerischen Uludağ-Gebirges. Wenn auf dem 2500 Meter hohen Gipfel noch Schnee liegt, blühen unten im Tal die Pfirsichbäume. Heiße Thermalquellen gibt es auch.

"In aller Welt wollen die Menschen den Krieg vergessen. Der Fremdenverkehr wird einen Aufschwung nehmen", sagt Bazna nun voraus. Das alte Çelik-Hotel in der Stadt hat es ihm angetan, das besuchte schon Atatürk. Daneben baut er sein Luxushotel, das "Çelik-Palas", es soll das exklusivste der Türkei werden, "ein Treffpunkt der großen Welt".

Erst gelingt alles, sogar die Regierung hilft. Dann entsteht bei Banken und Geschäftsleuten in Istanbul plötzlich Unruhe, hier und da werden die falschen Pfundnoten entdeckt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Bazna keine Ahnung, dass sein neues Leben ein Blütentraum ist. Es gibt einen Riesenskandal, auch weil der türkische Staat Teilhaber seines Konsortiums ist, der Hotelbau wird eingestellt.

Später baut ein anderer das Çelik Palas fertig, es ist auch heute noch ein elegantes Hotel. In der Lobby gibt es eine Galerie mit den Fotos berühmter Besucher, darunter Audrey Hepburn und der Schah von Persien. Jeder Hinweis auf Bazna fehlt.

Bazna bat Adenauer um Hilfe - aber Bonn winkte ab

Der ist nach der Entdeckung seines falschen Reichtums ein armer Mann. Er zieht in Istanbul in eine einfache Wohnung im Stadtteil Laleli. Die Häuser hier sind heute noch ähnlich schlicht wie damals. Bazna heiratet noch einmal, bekommt noch einmal vier Kinder. Er gibt Gesangsunterricht, was er verdient, geht meist an seine Gläubiger.

Als ihm nichts mehr einfällt, um seine Not zu lindern, schreibt er an den deutschen Kanzler Konrad Adenauer und bittet um Hilfe, habe er doch dem "Deutschen Reich" einst geholfen. Davon will nun niemand mehr etwas wissen, sein Gesuch wird abgelehnt. "Das Auswärtige Amt bedauert, sich nicht für Sie im Sinne Ihrer Ausführungen verwenden zu können ...".

1960 zieht er nach München, als Gastarbeiter. Eigentlich ist er dafür schon zu alt. Aber Bazna findet einen Job als Nachwächter und seinen Biografen.

Auf seinem Grabstein steht auch der Name einer Frau. Esra, davor ein Doktortitel. In seinen Erinnerungen schreibt Bazna über eine junge Verwandte namens Esra. Er habe ihr das Universitätsstudium bezahlt, das sie sich so wünschte, schreibt Bazna. Mit den Blüten.

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