Historischer Rückblick:Die Beschwörung von al-Andalus

Fast 800 Jahre herrschten Muslime über Teile der iberischen Halbinsel. Die IS-Terrormiliz leitet daraus Ansprüche ab - und droht mit der Rückeroberung Spaniens und Portugals.

Von Dunja Ramadan

Lange war die Mezquita von Córdoba eine der größten Moscheen der islamischen Welt, mittlerweile ist sie eine katholische Kirche. Die Springbrunnen und Deckenverzierungen zeigen die islamische Vergangenheit. Betritt man das Gebäude, liest man "Antigua Mezquita", also frühere Moschee, ansonsten: Catedral.

Im Alltag spielt die islamische Vergangenheit in Südspanien kaum noch eine Rolle. In Zeiten des islamistischen Terrors ist sie eher negativ besetzt. Doch immer wieder gibt es Debatten: Wem gehört dieses Weltkulturerbe? Kirche und Staat halten sich zurück, man will in Spanien keinen Glaubenskonflikt. Zahlreiche maurische Monumente wie die Alhambra in Granada gehören bis heute zu den meistbesuchten Touristenattraktionen des Landes.

Die maurische Geschichte Spaniens beginnt im Jahr 711, als Muslime unter dem Berber-General Tariq Ibn Ziyad in das Reich der Westgoten vorrückten. Bis heute ist Gibraltar nach dem muslimischen Eroberer benannt: die arabische Bezeichnung Dschabal ṬTāriq bedeutet Berg des Tariq. Von dort aus eroberten die Berberkrieger die Iberische Halbinsel fast vollständig und tauften die zwischen 711 und 1492 muslimisch beherrschten Teile Südspaniens al-Andalus. Córdoba galt als glanzvolle Hauptstadt, große Philosophen wie Ibn Rushd prägten das islamische Kulturerbe. Muslime, Juden und Christen lebten meist friedlich zusammen.

Dschihadisten sind der Auffassung, dass Spanien ihnen zusteht

Nach dem politisch-militärischen Zusammenbruch des Kalifats im 11. Jahrhundert begann der Niedergang der islamischen Herrschaft, die mit der Eroberung der Alhambra von Granada durch die katholischen Könige Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien im Jahre 1492 endete. Mit der christlichen Wiedereroberung endete auch das friedliche Zusammenleben der Konfessionen. Religiöse Intoleranz und die Vertreibung von Muslimen und Juden waren die Folge. Das Statut von Toledo von 1449 propagierte die "Reinheit des Blutes" als neue Staatsdoktrin. Das Alhambra-Edikt von 1492 zwang Juden, zum Christentum zu konvertieren.

Die Vertreibung der Muslime, die Umwandlung der Moscheen in Kirchen - diese Bilder greift der "Islamische Staat" heute wieder auf. Er sieht sich in der Pflicht, das einstige Land der "Väter und Großväter" zu befreien. Die Dschihadisten sind der Auffassung, dass ihnen Spanien zusteht. Im Januar vergangenen Jahres veröffentlichte der IS auf einer Plattform ein Video auf Spanisch: Spanien werde einen "hohen Preis" dafür zahlen, dass es Muslime aus Andalusien vertrieben habe.

Als der IS im Jahr 2015 eine Karte mit Expansionsplänen ins Internet stellte, nannte er auch einen Stichtag: Bis 2020 sollen Spanien und Portugal wieder "al-Andalus" heißen und unter IS-Herrschaft kommen. Das allerdings ist ambitioniert, die Dschihadisten büßen derzeit Gebiete ein, anstatt sie zu erobern. Das restliche Europa bleibt von den Expansionsfantasien des IS weitgehend verschont. Nur Griechenland, der Balkan und Österreich sollen als "Orobpa" unterworfen werden. Auch bis 2020.

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