Die SPD hat erstmals in ihrer 155-jährigen Parteigeschichte eine Frau zur Vorsitzenden gewählt. Favoritin Andrea Nahles gewann mit 414 von 624 gültigen Stimmen. Für ihre Gegenkandidatin, die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, stimmten 172 Delegierte. Es gab 38 Enthaltungen.
Das Ergebnis für Nahles fällt mit 66,35 Prozent geringer aus als erhofft. In Parteikreisen war als Ziel ein Ergebnis von 75 Prozent plus X genannt worden. Die Zustimmung von nur zwei Dritteln ist ein herber Dämpfer für die neue SPD-Vorsitzende. Ihre Wahl galt zwar als sicher, mit Spannung wurde aber das Abstimmungsergebnis nach den Personalquerelen der vergangenen Wochen erwartet.
Lange sicherte Nahles nach der Wahl ihre Unterstützung zu. Sie sage der neuen Vorsitzenden zu, ihren Beitrag zu leisten, sagte Lange. Sie wünsche ihr "viel Kraft und Erfolg" für das Amt.
Lange über Hartz IV: "Keine Vergangenheitsdebatte"
Vor der Abstimmung versuchten beide Kandidatinnen, die Delegierten mit ihren Reden zu überzeugen. Während Lange darauf pochte, als einzige wirkliche Erneuerung bringen zu können, setze Nahles auf eine persönliche Rede und verwies auf ihre Erfahrung. Beide Kandidatinnen hatten vor der Wahl, die für den frühen Sonntagnachmittag angesetzt war, eine halbe Stunde Zeit bekommen, um sich den Delegierten vorzustellen.
"Ich weiß, dass viele von euch denken, dass ich hier chancenlos ins Rennen gehe", sagte Lange in ihrer Rede. "Ich frage euch trotzdem: Wollen wir einen neuen Aufbruch wagen. Meinen wir es ernst? Mich zu wählen, bedeutet Mut. Die Entscheidung liegt bei euch."
Lange kritisierte anschließend auch Hartz IV. Die in der SPD sehr emotional geführte Debatte über die Agenda-Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder sei keine "Vergangenheitsdebatte", denn Hartz IV sei für Millionen Menschen Alltag, sagte sie. Die SPD habe in Kauf genommen, dass heute Menschen arm seien, obwohl sie Arbeit hätten. "Dafür möchte ich mich bei den Menschen, die es betrifft, entschuldigen."
"Mein Name ist Andrea Nahles, ich bin 47 Jahre alt." So begann Nahles im Anschluss an Lange ihre Rede und betonte, dass sie ihre Karriere nicht in die Wiege gelegt bekomme habe. Dass sie nun dort stehe, verdanke sie ihren Eltern, dem Bildungssystem, aber vor allem: der SPD. "Heute durchbrechen wir die gläserne Decke", sagte Nahles und bedankt sich bei allen Frauen, die das möglich gemacht hätten.
Die Favoritin sagte, die demokratische Grundordnung sei durch Rechtspopulisten gefährdet. "Die Rechten suchen nicht die Auseinandersetzung mit den Starken. Sie kämpfen gegen die Schwächsten", sagte Nahles mit Blick auf den Aufstieg der AfD. Es sei hochgefährlich, ihre Argumente nachzuplappern. "Diese Kräfte sind nicht das Volk, sie sind ein Angriff auf das Volk."
Nahles verlangte Antworten und Ideen für eine Sozialstaatsreform. Sie warnte jedoch vor vorschnellen Schlüssen: "Wenn wir sagen, wir schaffen Hartz IV ab oder wickeln die Agenda 2010 ab, haben wir noch keine einzige Frage beantwortet."