Süddeutsche Zeitung

Zoroastrismus im Iran:Zarathustras letzte Feuer

In Iran entdeckt die Jugend die alte persische Kultur neu. Gleichzeitig verlassen immer mehr Anhänger der Religion des Zoroastrismus das Land.

Von Harald Stutte

Was ist das Besondere an einem Feuer, das seit 1548 Jahren ununterbrochen brennt? Vielleicht sind es die Gedanken, die einem durch den Kopf gehen, wenn man in eine Flamme schaut, die zu einer Zeit entzündet wurde, in der Hunnenkönig Attila im untergehenden Weströmischen Reich gewütet hat.

Hier, wo Irans größte Wüste Dascht-e Lut auf die Salzwüste Dascht-e Kawir trifft, liegt Yazd, eine der ältesten Städte Irans. Und im Āteschkadeh, dem Feuertempel an der Kashani-Straße, brennt das heilige Feuer der Zoroastrier, der Angehörigen jener altpersischen Religion, die es seit etwa 3000 Jahren gibt und deren Lehre einst Zarathustra begründete.

Es ist Abend, als Arasch Schahrzadi, der junge Hüter des Feuers, armdicke Äste von Walnussholz in den Metallkessel legt und so dafür sorgt, dass die Flammen neue Nahrung erhalten, um weitere Jahrhunderte zu brennen. Der Priester sieht ein wenig wie ein Chirurg aus, ganz in Weiß; auf dem Kopf das Topi, die weiße Kappe, und mit dem traditionellen Mundschutz, dem Panâm.

Der Eindruck, einem medizinischen Eingriff beizuwohnen, wird verstärkt, weil dieses Ritual nur durch eine Glasscheibe beobachtet werden kann, Zutritt zum Heiligen Feuer haben ausschließlich Priester.

Yazd ist heute das Zentrum des iranischen Zoroastrismus. Hier, umgeben von Wüsten, fühlten sich die Anhänger Zarathustras vor der Verfolgung durch die Muslime sicher. Das Feuer im Āteschkadeh soll seit dem Jahr 470 n. Chr. nicht erloschen sein und brannte ursprünglich in der 60 Kilometer nordwestlichen gelegenen Stadt Ardakan, bevor es vor etwa 500 Jahren nach Yazd in Sicherheit gebracht wurde. Dass es bis heute brennt, ist ein Wunder.

Einst loderten Tausende Feuer in den Tempeln der Zoroastrier - vom Mittelmeer bis nach Turkmenistan, von Baku am Kaspischen Meer bis an den Persischen Golf. Doch als die Araber 642 das letzte persische Großreich der Sassaniden besiegten, begann der langsame Tod der Religion Zarathustras, die das Land zu diesem Zeitpunkt 1600 Jahre lang geprägt hatte. Die Feuertempel wurden zerstört oder zu Moscheen umgewidmet, die Zoroastrier verschwanden, wurden zwangsislamisiert, getötet. Tausende wanderten nach Indien aus, wo sie noch heute als Parsen - Perser also - eine eigene Gemeinschaft bilden.

Doch Zarathustra ist zurück. Ausgerechnet in der Islamischen Republik feiert der mysteriöse Lehrer und Religionsgründer eine Wiedergeburt. Leise, unauffällig, verhalten zwar - doch in einem Ausmaß, welches die Mullahs an der Staatsspitze beunruhigt. Weil Faravahar, das Symbol des Zoroastrismus - ein geflügelter Mann mit Bart und Kappe, der seine Hand ausstreckt - in Iran allgegenwärtig ist.

Es wird von jungen Frauen und Männern als Kettchen um den Hals getragen, als Tattoo, es prangt auf T-Shirts, als Aufkleber an Autos, als Bild oder Steinrelief in Haushalten. Wer sich auf den Straßen der Städte Teheran, Isfahan oder Schiras bewegt, begegnet Faravahar-Symbolen. Für die iranische Jugend ist das Ausdruck ihres Stolzes auf die vorislamische Kultur, für die schiitischen Machthaber eine Provokation.

1986 lebten laut einem iranischen Zensus noch 90 000 Zoroastrier im Land, heute sind es 6000 bis 7000

Zarathustra ist wieder da, obwohl die von den Muslimen einst als Feueranbeter verächtlich gemachten Zoroastrier fast schon verschwunden waren. Lebten 1986 laut iranischem Zensus 90 000 Zoroastrier im Land, so sind es heute pessimistischen Schätzungen zufolge 6000 bis 7000. Sie leben vor allem in Yazd, in Isfahan und Teheran. Sorusch Khosravi ist einer von ihnen. Hellblauer Maßanzug, weißes Hemd, gepflegte Erscheinung: Der 41-Jährige managt in Yazd eine Fabrik für Keramikfliesen. Er ist der Spross einer alteingesessenen zoroastrischen Familie.

Wie lebt es sich als Angehöriger einer religiösen Minderheit in einem Land, das kraft seiner Verfassung 1979 zu einem Gottesstaat wurde? "Ich habe heute in Iran nichts auszustehen", sagt er, "wir können weitgehend ein normales Leben führen." Und das war nicht immer selbstverständlich. "Als mein Vater in den Sechzigerjahren in die Schule ging, warfen Nachbarn faules Obst nach ihm, er galt ihnen als unrein", erzählt Khosravi. Zwar hatte die Schah-Dynastie der Pahlavis bereits in den Zwanzigerjahren damit begonnen, die Gleichstellung der in Iran lebenden Religionen gesetzlich zu garantieren. In der islamischen Mehrheitsgesellschaft lebten die Vorurteile gegen die Zoroastrier aber fort: "Auf dem Markt durften wir beim Kauf das Obst der Gemüsehändler nicht berühren."

Gleichgestellt sind die Zoroastrier den Muslimen auch heute nicht, sie sind geduldet. Diese Duldung basiert auf dem Zugeständnis, für den Glauben nicht zu werben, nicht zu missionieren. Zoroastrier sollen möglichst unsichtbar sein. Wobei dieser auf Vernunft, Erkenntnis und Selbstbescheidung basierenden Religion Missionierungen oder ein offensives Auftreten ohnehin wesensfremd sind. Für diese Bescheidenheit werden Zoroastrier heute von ihren muslimischen Mitbürgern geachtet, sie gelten als ehrlich, freundlich, gebildet.

"Die Familien, die einst meinen Vater mit Obst bewarfen, sind heute unsere besten Freunde und haben sich längst bei uns entschuldigt", sagt Sorusch Khosravi. Dass Zoroastrier dennoch das Land in Scharen verlassen, verstärkt in den vergangenen Jahren, hat etwas mit dem Verhalten der schiitischen Geistlichkeit dieser Religion gegenüber zu tun. Vor allem damit, "dass das Leben in Iran für alle Menschen nicht einfach ist. Hinzu kommt, dass wir es leichter haben, das Land zu verlassen", sagt Khosravi, dessen Bruder vor zwölf Jahren nach Kalifornien ausgewandert ist und heute ein Spielcasino managt. Weil es in Amerika, Australien und Europa bereits größere Communitys gibt, gelten Zoroastrier als leicht integrierbar. Sie haben mit der westlichen Lebensart weniger Probleme. So droht der Religion, zu deren Kern edle Maximen wie "Gut denken, gut reden, gut handeln" gehören, das Ende ihrer dreitausendjährigen Geschichte in Iran.

Das letzte Kapitel dieses Dramas, es begann mit dem Sieg der Revolution Anfang 1979. Mit der Ausrufung der Islamischen Republik erhielt der Ungeist der Intoleranz neue Nahrung. Hochgestellte Zoroastrier in Politik, Militär und Verwaltung verloren ihre Posten. Zudem setzten Ayatollah Chomeini und ihm ergebene Eiferer in der nun herrschenden Hisbollah-Partei Irans zum Sturm auf die Symbole der alten persischen Kultur an. Junge Geistliche um den einflussreichen Ayatollah Chalchali wollten damals die antike Ruinenstadt Persepolis, Hauptstadt der persischen Großreiche, dem Erdboden gleichmachen. Im letzten Moment konnte 1979 der Konvoi aus Raupen und Baggern von meist jugendlichen Iranern aufgehalten werden.

Der Angriff auf die antike Hauptstadt von König Kyros war auch als Abrechnung mit dem Schah gedacht, der acht Jahre zuvor die Führer der Welt nach Persepolis eingeladen hatte, um sich in einem gigantischen und teuren Historienspektakel als Kontinuum der 2500 Jahre alten Geschichte persischer Großreiche feiern zu lassen. Viele sahen in dem Fest, das damals angeblich 300 Millionen Dollar kostete, einen letzten Nagel im Sarg der Pahlavi-Dynastie, die dann auch acht Jahre später endete. Dem Schah, der in New York mit dem Tod rang, weinten im damaligen Iran nur wenige nach. Doch die Mullahs mussten einsehen, dass die Iraner nicht bereit waren, die steingewordenen Symbole der alten persischer Kultur auf Befehl schiitischer Geistlicher zu opfern. Heute, fast 40 Jahre später, sind es die Iraner weniger denn je. Zarathustras Erbe ist der Nachwelt nicht nur in den antiken Faravahar-Abbildungen von Persepolis erhalten geblieben, sondern auch in iranischen Bräuchen wie dem Neujahrsfest Nouruz im März, in den Versen der persischen Dichter Hafis und Ferdosi, in der mit vielen avestischen, altpersischen Begriffen durchsetzten Sprache.

Neben den Spuren in der Sprache sind die über das Land verteilten Dachma, die etwas unheimlich anmutenden "Türme des Schweigens", die markantesten Hinterlassenschaften der Zorastrier. Weil den Gläubigen Erde, Luft, Feuer und Wasser heilig sind, dürfen diese Elemente nicht mit toten Menschen verunreinigt werden. Jahrtausendelang wurden die Körper der Verstorbenen in diese oft auf Bergen gelegenen Areale gelegt. Dort labten sich die Geier und Raben an den Verblichenen, womit die leblose Hülle nach zoroastrischem Glauben gleichzeitig ihrem letzten Dienst an der Natur nachkam. Erst Schah Reza Pahlavi II. verbot diese Praxis. "Aus hygienischen Gründen", wie es hieß.

Ein Kraftquell altpersischer Wiedergeburt ist heute das Grabmal von König Kyros dem Großen in der Nähe der alten Residenzstadt Pasargadae, 130 Kilometer nordöstlich von Schiras. Zweimal im Jahr, zum persischen Nouroz-Fest Ende März und zum Geburtstag des Übervaters Kyros am 29. Oktober, versammeln sich hier Tausende, vor allem junge Menschen. Mehrfach schon artete diese Wallfahrt zum Protest gegen die Mullahs aus. "Wir sind Arier und beten keine Araber an", skandierte die Masse im vorigen Jahr. Und spielte damit auf die antike Bezeichnung Iran als "Land der Arier" an. Oder: "Freiheit des Denkens ist mit Bart und Wolle nicht möglich."

Zoroastrische Prinzipien erscheinen vielen wie eine Art Antithese zum islamischen Dogmatismus. So hat Kyros, der sechste König des altpersischen Achämenidenreiches, im Jahr 539 v. Chr. die erste Charta der Menschenrechte verabschiedet, 2484 Jahre vor Gründung der Vereinten Nationen. Mit so beachtenswerten Sätzen wie diesem: "Ich verkünde heute, dass jeder Mensch frei ist, jede Religion auszuüben, die er möchte, und dort zu leben, wo er möchte, unter der Bedingung, dass er das Besitztum anderer nicht verletzt."

Vieles im Zoroastrismus gleicht eher einer Philosophie als einer Religion, weil es sich auf ein vernunftbasiertes ethisches Wertesystem gründet. Der Schöpfergott der Zoroastrier ist Ahura Mazda, der in sieben Phasen die geistige und die materielle Welt, bestehend aus Sonne, Himmel, Erde, Gewässern, Tieren, Pflanzen und Menschen, geschaffen haben soll. So sagt es die Avesta, die heilige Schrift. Ihr Weltbild ist von einem Kampf zwischen Gut und Böse geprägt, den Ahura Mazda und sein Widersacher Ahriman austragen. Das Böse kann nur dauerhaft besiegt werden, wenn alle Menschen immer gut sind; in dieser Dichotomie ist damit auch das ethische Wertesystem enthalten, welches Pflichten und Verbote für die Zoroastrier definiert.

In Iran wie auch in Indien haben die letzten historisch gewachsenen zoroastrischen Communities auch deshalb überlebt, weil sie gegenüber der Mehrheitsgesellschaft strikte Zurückhaltung übten. Vielleicht ist das auch die Lehre, welche die Zoroastrier aus ihrer Geschichte ziehen mussten. Denn die einzige Phase, in der ihre Religion zu einer Art Staatsreligion wurde, endete mit der Niederlage gegen die muslimischen Araber, dem Untergang des persischen Großreichs und dem langsamen Sterben dieser Religion, das sich allerdings bis heute hinzieht.

Heute betonen die Zoroastrier, wie fremd ihnen Dogma und Zwang sind. Ihre Kinder müssen mündig und vorbehaltlos mit der Religion vertraut sein, ehe sie sich zu Ahura Mazda bekennen dürfen. Es gibt keine Vorschriften, nicht einmal, was die Gebete betrifft; alles basiert auf Freiwilligkeit, Frauen und Männer sind ebenbürtig. "Warum sich auch zu einer Religion bekennen?", fragt Behzad Nikdin, der Mobed, Priester und Hüter des Feuers im Tempel von Isfahan. "Es reicht vollkommen aus, täglich gut zu denken, gut zu reden, gut zu handeln und nicht mehr zu lügen." Und um mehr geht es ja eigentlich nicht.

Irans Präsident Rohani schrieb, der 11. Zoroastrische Weltkongress sei "ein Grund des Stolzes für alle Iraner". Das klingt für viele wie Hohn

Den vielen Jugendlichen, die ihren Faravahar am Kettchen tragen, unterstellt der Priester, vom wahren Zoroastrismus und der Avesta, dem heiligen Buch, keine Ahnung haben. "Aber das ist auch in Ordnung so", sagt er beschwichtigend, "immerhin gibt es da ein Interesse für unsere alte persische Kultur." Und dabei hat er sicher im Hinterkopf, wie das wachsende Interesse an seiner Religion, das es tatsächlich bei jungen Iranern gibt, die herrschenden Mullahs beunruhigt. Dass der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche Zarathustra einst benutzt hat, um ihn dann seine Philosophie einer radikalen Werteumkehr verkünden zu lassen, findet Behzad Nikdin schmeichelhaft. "Ich habe Nietzsches Bücher gelesen und in seinem Zarathustra viele Übereinstimmungen mit unserem entdeckt", sagt er. "Auch seine Aussage, dass Gott tot sei. Denn in Wahrheit meinte er damit: Hört auf, einen Gott im Himmel zu suchen, findet ihn zunächst einmal in euch selbst", so der 57-Jährige.

Nietzsches Gott ist vielleicht tot, doch diese Religion ist es noch längst nicht. Außerhalb Irans, in den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken, in Aserbaidschan und in der autonomen Kurdenprovinz des Irak soll es Neugründungen zoroastrischer Gemeinden geben. Sogar Feuer sollen in den Tempeln wieder brennen. Vielleicht ist das der Grund, warum der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan immer wieder gegen die "Zoroastrier" von der kurdischen PKK wettert - in der Wahrnehmung seiner Landsleute gelten "Feueranbeter" als besonders verachtenswert, obwohl es die in der Türkei nie gab.

Mit einer Grußbotschaft überraschte Irans Präsident Hassan Rohani den im australischen Perth im Juni 2018 begonnenen 11. Zoroastrischen Weltkongress, den er "einen Grund des Stolzes für alle Iraner" nannte. Vielen Zoroastriern mag das wie Hohn geklungen haben, auch sein folgender Satz - angesichts der Politik, für die Iran heute weltweit steht: "Zarathustra betonte, dass wir Doppelzüngigkeit und Unreinheiten vermeiden müssen, damit unser Leben mit Güte erfüllt wird." Diese göttliche Botschaft möge sich auf der ganzen Welt verbreiten, schrieb der Präsident. Wobei ihm die Verbreitung der göttlichen Botschaft Zarathustras im eigenen Land eher Angst bereitet - weshalb sich das Regime über jeden Zoroastrier freut, der das Land verlässt.

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SZ vom 25.08.2018/odg
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