Die in Libanon einflussreiche Hisbollah-Miliz hat Naim Kassim zu ihrem neuen Generalsekretär gewählt. Er folgt auf Hassan Nasrallah, der Ende September bei einem israelischen Luftangriff auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet wurde. Dies erklärte der Shura-Rat der Hisbollah am Dienstag.
Der heute 71-Jährige war 1991 vom damaligen Generalsekretär der Hisbollah, Abbas al-Musawi, zum Stellvertreter ernannt worden. Al-Musawi starb 1992 bei einem israelischen Hubschrauberangriff. Nachfolger an der Spitze der proiranischen Schiiten-Organisation wurde Nasrallah, unter dem Kassim Vize blieb.
Er hielt die erste Rede nach Nasrallahs Tötung
Kassim ist seit Langem einer der führenden Vertreter der Hisbollah. So gab er ausländischen Medien Interviews auch während der im vergangenen Jahr eskalierten grenzüberschreitenden Feindseligkeiten mit Israel. Kassim war auch der erste in der Hisbollah-Führung, der nach der Tötung Nasrallahs eine Fernsehansprache hielt. „Wir wissen, dass der Kampf langwierig sein kann“, sagte er damals und erklärte, dass es keine Option sei, die Waffen niederzulegen.
In seiner langen Amtszeit als Stellvertreter wirkte der sechsfache Vater vor allem nach innen: Er zog Fäden im Hintergrund der Parlamentsfraktion der Hisbollah, die nicht nur Miliz und Terrororganisation ist, sondern in Libanon auch im ganz wörtlichen Sinne „Partei Gottes“, so wie sich ihr Name übersetzten lässt. Darüber hinaus hielt er theologische Vorlesungen für das Bildungswerk der Hisbollah und reiste auch zu Konferenzen ins Ausland, wie er in seinem Lebenslauf festhält.
Am aktuellen Verlauf des Kriegs mit Israel dürfte die Ernennung aber wenig ändern. Kassim gelte als vergleichsweise schwach und dürfte an das Erbe Nasrallahs als Anführer kaum heranreichen, heißt es bei der Deutschen Presse-Agentur. Die Miliz kündigte an, die bisherigen Ziele unter dem neuen Anführer weiterzuverfolgen „bis zum Sieg“. Fachleute hatten drei Personen als möglichen Nachfolger betrachtet. Kassim galt unter diesen als der am wenigsten doktrinäre Vertreter der islamistischen Hisbollah-Ideologie. An seinem klaren Bekenntnis zu der von der Islamischen Republik Iran ausgegebenen und auch von der Hisbollah befolgten Lehre des Velayat al Faqih, also der Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten, besteht aber kein Zweifel.
Der israelische Verteidigungsminister Joav Gallant bezeichnete Kassims Ernennung zum Hisbollah-Chef als „vorübergehend“. Das werde er nicht lange Zeit bleiben, erklärt Gallant auf X. Israels Militär hat zahlreiche Kommandeure und Anführer der Hisbollah in Libanon und der Hamas im Gazastreifen gezielt getötet, seit die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 Israel vom Gazastreifen aus überfallen, knapp 1200 Israelis und Ausländer ermordet und 250 Geiseln verschleppt hatten.

