Nahost:Israel setzt Angriffe auf Beirut fort

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Bisher wurde Hassan Nasrallah nur symbolisch zu Grabe getragen. Erst nach seiner Beisetzung will die Hisbollah eine neue Führung wählen. (Foto: Ahmad Al-Rubaye/AFP)

Erstmals schlagen Bomben in der Innenstadt der libanesischen Metropole ein. Premier Benjamin Netanjahu lässt offenbar eine Bodenoffensive im Süden des Landes vorbereiten.

Von Bernd Dörries, Matthias Kolb, Beirut/München

Am frühen Montagmorgen traf es zum ersten Mal die Innenstadt von Beirut, die bisher immer als rote Linie galt, im schon Jahrzehnte dauernden Konflikt zwischen der Hisbollah in Libanon und der israelischen Armee. Aber rote Linien gelten nicht mehr, seit Tausende Hisbollah-Mitglieder mit explodierenden Pagern und Walkie-Talkies verletzt und getötet wurden, die nach Ansicht aller Experten von Israels Geheimdiensten präpariert wurden.

Und rote Linien gibt es nicht mehr, seit Israels Luftwaffe Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Freitagabend mit Dutzenden Bomben unter einem riesigen Haufen Schutt begrub. Das war in Dahieh, wie die südlichen Vororte Beiruts heißen, wo die Hisbollah besonders viele Anhänger hat. Am Montag traf es nun das Cola-Viertel nahe dem Zentrum, das so heißt, weil es hier lange eine Coca-Cola-Abfüllanlage gab. Beim Angriff starben drei Mitglieder der Volksfront zur Befreiung Palästinas. Es war ein Zeichen, dass die israelische Armee nicht nur die Hisbollah im Visier hat, sondern alle Gruppen in Libanon, die Israel vernichten wollen.

Erst nach der Beisetzung soll es eine neue Hisbollah-Führung geben

Mit der Parole, diesen Kampf gegen Israel fortzusetzen, meldete sich am Montag Naim Kassem und damit erstmals ein Mitglied des Hisbollah-Führungskreises zu Wort. Kassem ist nach Nasrallahs Tod zum Interimschef gewählt worden. Konkretes hatte er nicht zu verkünden, nicht einmal einen Termin für die Beerdigung Nasrallahs, die nach muslimischen Ritus so schnell wie möglich stattfinden muss.

Womöglich scheitert sie daran, dass seine Überreste bisher nicht gefunden wurden, oder nicht genug davon. Auch der Ort der Beerdigung ist unklar, vielleicht in Beirut, wo er geboren wurde, vielleicht in Südlibanon, woher die Familie stammt. Beide Orte sind aber unter israelischem Beschuss, weshalb auch Ramallah im palästinensischen Westjordanland infrage kommt, wo Nasrallahs Frau leben soll, oder Karbala im Irak, einer der heiligsten Orte der Schiiten. Klar ist aber: Erst nach der Beisetzung wird es eine neue Führung der Hisbollah geben, die immer noch völlig gelähmt ist.

Unterdessen sollen in Libanon dem Gesundheitsministerium zufolge etwa eine Million Flüchtlinge ihre Häuser verlassen haben, aus Angst vor den Angriffen der Israelis. Überall im Land gehen die Angriffe weiter. Früher war die Hisbollah schnell zu Hilfe, diesmal ist sie nirgends zu sehen. Unter den Anhängern wächst die Wut auf den Sponsor Iran, dessen Führer deutlich gemacht haben, dass die Hisbollah keine Hilfe erwarten könne aus Teheran.

Ein Plakat zeigt in der iranischen Hauptstadt Teheran den getöteten Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah. (Foto: Atta Kenare/AFP)

Gleiches gilt für Syrien, wo die Hisbollah-Kämpfer einst Baschar al-Assad vor dem Untergang retteten. Dieser ließ sich nun zwei Tage Zeit, um sein Beileid für den Tod Nasrallahs auszusprechen. In Beirut ließen einige Hisbollah-Anhänger ihre Wut an syrischen Flüchtlingen aus, die misshandelt wurden. Etwa 100 000 Syrer, die in Libanon Zuflucht gesucht hatten, sind offenbar wieder auf dem Weg zurück, auf der Flucht vor dem nächsten Krieg.

Israels Bodenoffensive könnte bald beginnen

Dieser könnte schon bald im Süden Libanons eskalieren, wenn Israels Armee die Grenze überschreiten und eine Bodenoffensive starten sollte. Nach dem US-Sender ABC News meldete am Montag auch das Wall Street Journal, dass israelische Eliteeinheiten zur Vorbereitung bereits kurze Einsätze jenseits der Grenze ausgeführt hätten. „Noch in dieser Woche“ könnte es so weit sein, schreibt die US-Zeitung und beruft sich auf „mit der Angelegenheit vertraute Personen“.

Sollte es so kommen, wäre die Hisbollah auf alles vorbereitet, behauptet Interimschef Kassem. Die Widerstandskräfte der Hisbollah seien „für einen Kampf am Boden gerüstet“ und außerdem verfüge die Miliz weiterhin über Raketen, die „bis zu 150 Kilometer weit auf israelisches Territorium fliegen könnten“.

Inmitten dieser angespannten Zeit setzt Israels Armee nicht nur seinen Einsatz gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen fort, sondern schlägt auch in mehr als 1700 Kilometer Entfernung zu. Am Sonntagabend bombardierte die israelische Luftwaffe mit Dutzenden Flugzeugen zum zweiten Mal den Hafen al-Hudaida in Jemen sowie einige Kraftwerke.

Eine Rauchwolke steigt am Montag nach israelischen Angriffen in der Hafenstadt al-Hudaida auf. (Foto: AP/dpa)

Man habe darauf reagiert, dass die mit Iran verbündete Huthi-Miliz nach der Tötung Nasrallahs von dort aus Raketen auf Israel abgefeuert hatte, hieß es. Bereits im Juli hatte die Luftwaffe al-Hudaida bombardiert. 

Israels Regierungskoalition wird größer

Benjamin Netanjahu, dem innenpolitisch weiter unter Druck stehenden Premierminister Israels, gelang es am Sonntagabend, seine Macht weiter abzusichern. Der Oppositionspolitiker Gideon Saar wird als Minister ohne Geschäftsbereich in die Regierung eintreten und auch einen Platz im Sicherheitskabinett erhalten. Saar gehörte bereits bis März 2024 der Einheitsregierung an, die nach dem mörderischen Überfall der Hamas am 7. Oktober gebildet worden war, und verließ diese aus Frust über Netanjahus Kriegspolitik. Nun kehre er aus Patriotismus zurück, um „die Einigkeit Israels und seiner Regierung zu stärken“.

Der politische Überlebenskünstler Netanjahu hat nun dank der vier Abgeordneten aus Saars Fraktion im Parlament eine Mehrheit von 68 der 120 Sitze. Dies erschwert es dem rechtsextremen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich, die jeden Deal mit der Hamas ablehnen, Netanjahu unter Druck zu setzen. Zudem soll es Saar anders als Verteidigungsminister Joav Gallant nicht so wichtig sein, dass das Gerichtsurteil umgesetzt wird, wonach strenggläubige Haredim-Männer künftig Wehrdienst leisten müssen. Dieses erzürnt die ultraorthodoxen Parteien, die noch Netanjahus Mehrheit sichern und ein Gesetz zur Umgehung des Richterspruchs fordern.

Als ausgemacht gilt vielen israelischen Medien, dass Netanjahu mittelfristig Saar zum Verteidigungsminister machen will, um seinen politisch unbequemen Parteifreund Gallant loszuwerden. Allerdings sei es gerade nicht vermittelbar, mitten in einem Mehrfrontenkrieg den zuständigen Minister – und ehemaligen Generalmajor – abzusetzen. Die jüngste Umfrage des TV-Senders Channel 12 dürfte Netanjahu freuen: Seine Likud-Partei ist nach den militärischen Erfolgen wieder beliebter und würde die größte Fraktion im Parlament stellen.

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