Hintergrund:Das Karlsruher Urteil aus dem Jahr 2006

In einem Interview hat Verteidigungsminister Jung erklärt, er würde ein für einen Terroranschlag entführtes Flugzeug notfalls auch ohne Rechtsgrundlage abschießen lassen. Dies widerspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz . sueddeutsche.de fasst die wesentlichen Inhalte des Urteils vom 15. Februar 2006 zusammen.

Die Karlsruher Richter hatten im Februar 2006 entschieden, dass die Bundeswehr keine entführten Passagierflugzeuge abschießen dürfe, die als Waffe gegen Menschen eingesetzt werden sollen. Damit wurde eine zentrale Bestimmung des im Januar 2005 erlassenen Luftsicherungsgesetzes für nichtig erklärt.

Richter, Luftsicherung, Karlsruhe, dpa

Drei Verfassungsrichter bei der Urteilsverkündung im Februar 2006

(Foto: Foto: dpa)

Das Argument des Gerichts: Die "Abschussermächtigung" des Verteidigungsministers verstoße gegen die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes) und gegen das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1), weil unbeteiligte Menschen als bloße Objekte behandelt und getötet würden. Nach Ansicht der Richter ist es "schlechterdings unvorstellbar", auf gesetzlicher Grundlage unschuldige Menschen in hilfloser Lage vorsätzlich zu töten.

Unüberschreitbare Hürde

Verfassungsrechtler sind sich einig, dass es auch in Zukunft kein Gesetz geben kann, das es der Luftwaffe erlaubt, ein Flugzeug mit Entführten an Bord abzuschießen. Direkt nach dem Urteil sagte der Staatsrechtler Volker Epping der Süddeutschen Zeitung: "Über diese Hürde kommt kein Gesetzgeber hinweg."

Das Recht auf Leben sowie die Garantie der Menschenwürde zählen zu den Grundrechten, die wiederum nach Artikel 79 nicht antastbar sind, auch nicht durch Parlamentsmehrheiten, die ansonsten zu Verfassungsänderungen ausreichen.

Nur in einem Sonderfall dürfte die Luftwaffe ein entführtes Flugzeug abschießen: wenn sich darin ausschließlich Täter befinden. Dies wäre etwa der Fall, wenn Terroristen eine Maschine ohne Passagiere und Besatzung kapern.

Ein einzelner Pilot, der ein Flugzeug in seine Gewalt gebracht hat wie in dem Fall aus dem Januar 2003, als ein verwirrter Hobbyflieger mit einem Kleinflugzeug über der Frankfurter Innenstadt kreiste, wäre also ein legitimes Ziel. Hätte er einen Piloten entführt und zum Flug Richtung Frankfurt gezwungen, wäre er kein legitimes Ziel mehr.

Dennoch gilt: Auch für die Erlaubnis, auf eine nur von Tätern besetzte Maschine zu feuern, wäre eine Änderung des Grundgesetzes nötig.

Einsatz der Bundeswehr im Inneren

Das Urteil vom 15. Februar 2006 ist noch aus einem anderen Grund wichtig. Darin hatten die Richter die Selbstverständlichkeit betont, dass nach Artikel 35 des Grundgesetzes deutschen Soldaten kein bewaffneter Militäreinsatz im Inneren erlaubt ist. Allerdings hat das Urteil zum Luftsicherheitsgesetz nicht ausgeschlossen, dass sich der Artikel mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat entsprechend ändern ließe.

Bisher darf die Bundeswehr ausschließlich zur Not- und Katastrophenhilfe im Inland herangezogen werden - also zum Beispiel mit Pionieren bei Flutkatastrophen oder mit Wärmebildkameras tragenden Jets bei der Suche nach Vermissten in Wäldern. Auch der Einsatz von ABC-Spürtrupps oder Feldlazaretten bei einem großen Unglücksfall oder einem Terroranschlag wären erlaubt. Die bewaffnete Intervention, die Übernahme von Teilen polizeilicher Gewalt, ist hingegen untersagt.

Damals hatten die früheren FDP-Minister Burkhard Hirsch und Gerhart Baum sowie vier weitere Kläger gegen das Luftsicherheitsgesetz geklagt. Baum hatte seine Klage auch damit begründet, dass beim Abschuss eines entführten Flugzeugs dessen Trümmer Tausende Menschen töten könnten. (AZ: 1 BvR 357/05)

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