Nationalsozialismus:Himmlers Zwangsprostituierte

Auf Befehl von SS-Führer Heinrich Himmler wurden mehr als 200 Frauen gezwungen, in Bordellen verschiedener Konzentrationslager arische Häftlinge zu "bedienen" - ein bislang wenig beachtetes Thema in der NS-Aufarbeitung.

Von Oliver Das Gupta

Heinrich Himmler war verwundert: "Im Lager Buchenwald habe ich (...) festgestellt, dass dort noch kein Lager-Bordell ist", schrieb er im März 1943 einem seiner Schergen. Das sollte sich nach dem Willen des Massenmörders bald ändern - aus Motivationsgründen, wie der Reichsführer SS meinte: Jeder KZ-Häftling, der für die Rüstung wichtig und "arisch" war, solle die Möglichkeit haben "ein- oder zweimal in der Woche das Lager-Bordell" zu besuchen.

SS-Chef  Heinrich Himmler

Er ordnete die Einrichtung von KZ-Bordellen an: SS-Chef Heinrich Himmler

(Foto: Foto: AP)

Die Handlanger Himmlers taten wie befohlen: Schon seit Mitte 1942 wurden Bordelle in Konzentrationslagern - von Mauthausen, über Auschwitz bis Sachsenhausen - eingerichtet, das letzte in Dora-Mittelbau wurde sogar erst wenige Monate vor dem Kriegsende eröffnet.

Die Zwangsprostituierten waren größtenteils deutsche Frauen und wurden aus dem Frauenlager in Ravensbrück in Brandenburg rekrutiert. Nach Angaben des NS-Experten Robert Sommer wurden mehr als 200 Frauen in zehn Konzentrationslagern zur Sex-Zwangsarbeit gezwungen.

Auf was sie sich einließen, als sie sich zu einem "Sonderkommando" gemeldet hatten, dürften die wenigsten geahnt haben. Die Bordell-Gebäude wurden als "Sonderbaracken" bezeichnet und lagen meistens am Rand der Lagerkomplexe.

Im KZ Neuengamme wurde ein solches Bordell 1944 eingerichtet. In der Gedenkstätte des Lagers im Südosten Hamburgs behandelt nun eine Sonderausstellung diesen bislang wenig beachteten Aspekt der NS-Vergangenheit. "Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern" lautet der Titel der Schau, die am Mittwoch eröffnet wurde und bis zum 18. Januar 2008 zu sehen ist. Filmische Interviews mit Zeitzeugen, Fotos, NS-Dokumente und Hörstationen bringen dem Ausstellungsbesucher diese erschütternde Thematik nahe. Zu sehen sind auch Karteikarten, die die Frauen als "Bordellfrauen" ausweisen und Antragsformulare für den Bordellbesuch.

In der Ausstellung wird auch ein von den Allierten aufgenommenes Luftfoto vom 16. April 1945 gezeigt, auf dem das Bordell in Neuengamme genau zu erkennen ist: Es befand sich hinter den Krankenrevierbaracken und war von einem hohen Zaun umgeben. Die Zwangsprostituierten durften den Bereich nicht verlassen. Bis zu zwölf Frauen "bedienten" männliche, "arische" Häftlinge, meist aus der Rüstungsproduktion - bis zu acht Mal täglich.

"Pro Häftling eine Viertelstunde"

"Frauen, die das taten, wollten durch die Zwangsprostitution ihr Leben retten", sagt die Wissenschaftlerin Christa Paul. Die 47-Jährige ist Autorin des Buches "Zwangsprostitution - Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus".

Das Gelände der "Sonderbaracke" in Neuengamme heute:

Das Gelände der "Sonderbaracke" in Neuengamme heute: Nach dem Krieg wurde das Gebäude abgerissen, nurmehr die Grundrisse des Hauses sind erkennbar

(Foto: Foto: KZ-Gedenkstätte Neuengamme / Karin Schawe)

Im Diskurs der NS-Aufarbeitung spielte das Thema bisher eine untergeordnete Rolle, ähnlich wie das Thema der von Japan im Zweiten Weltkrieg in Bordelle gezwungenen Zwangsprostituierten, damals euphemistisch "Trostfrauen" bezeichnet. "Die Betreiber von Gedenkstätten und ehemalige Häftlinge fürchteten, dass durch die Bordelle ein falsches Bild vom KZ-Alltag entstehen könnte", sagt Paul.

Sexuelle Gewalt wird erst seit 2002 explizit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anerkannt. Das Thema der KZ-Bordelle verschwand auch deshalb jahrzehntelang hinter der Grausamkeit anderer NS-Verbrechen.

Die wenigsten betroffenen Frauen konnten nach dem Krieg über ihre körperlichen und seelischen Qualen sprechen. Häufig beantragten sie nach 1945 nicht einmal Haftentschädigung. Mithäftlinge werteten ihre Verdingung in den KZ-Stuben zudem oft als freiwillige "Arbeit".

Für "eine Gebühr von Reichsmark 2"

Eine der Frauen berichtete unter der Zusicherung völliger Anonymität nach dem Krieg: Man habe ihnen gesagt, jede Frau müsste "an jedem Tag zwei Stunden - pro Häftling eine Viertelstunde - (...) über sich rüberrutschen lassen".

"Wir hatten uns unserem Schicksal gefügt", erzählte ein anderes Opfer. "Wir hatten schon so viel mitgemacht." Im Lager-Bordell in Neuengamme, das etwa zwölf mal 44 Meter gemessen hat, kontrollierte die SS selbst das, was in den "Kabinen" geschah - durch Gucklöcher: "Da waren Spione mit einer Klappe drüber, und die schob die SS dann auf. Hämisch gegrinst haben sie", erzählte eine der missbrauchten Frauen. Nach jedem Akt mussten sich die Frauen zum Häftlingsarzt begeben, der sie mit Milchsäure "ausgespült" hat, wie eine Betroffenen berichtete.

Himmlers Menschenschinder ließen ausgesuchte Häftlinge, die wichtig waren für die Rüstungsproduktion und sich durch "Fleiß, Umsichtigkeit, gute Führung und besondere Arbeitsleistung auszeichnen" als Belohnung in das Bordell - wenn sie "eine Gebühr von Reichsmark 2" entrichteten.

Von dem Betrag behielt die SS 1,50 Reichsmark ein, fünf Reichspfennig erhielt der "aufsichtsführende weibliche Häftling", die übrigen 45 Pfennige sollten an die zum Sex gezwungenen Frauen gehen. Die Frauen sollten das Geld nach der Entlassung bekommen, die man ihnen in Aussicht stellte und die freilich nie kam.

Und nach wenigen Monaten wurden die Frauen ausgetauscht. Durch neue Opfer.

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