Himalaja:Unter falschem Turban

1962 führten Indien und China einen Grenzkrieg. Nun brodelt es in der abgelegenen Berggegend erneut - Soldaten beider Länder stehen sich gegenüber.

Von Christoph Giesen, Peking

Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua ist nicht gerade für ihren Humor bekannt: Verlautbarungen, staubtrockene Berichte und Jubelkommentare, das ist gewöhnlich das Tagesprogramm. Nun gibt es ein weiteres Format: das bescheuerte Rassismus-Video.

Im Internet verbreitete Xinhua einen vermeintlich satirischen Clip, in dem in dreieinhalb Minuten die "Sünden" des Nachbarn Indien erklärt werden. Immer wieder tritt ein Mann mit Turban, Sonnenbrille und angeklebtem Bart auf, er wackelt albern mit dem Kopf und spricht mit aufgesetzt indischem Akzent Englisch. Zu sehen ist das Video ausschließlich über Twitter, Facebook und Youtube. Allesamt Netzwerke, die in der Volksrepublik gesperrt sind. Das Ziel ist klar: Man soll sich in Indien ärgern. Um die chinesisch-indischen Beziehungen steht es derzeit wirklich nicht gut.

Wie jetzt bekannt wurde, kam es am Dienstag zu einer Auseinandersetzung im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs. Indische Medien berichteten, dass chinesische und indische Soldaten mit Steinen aufeinander geworfen hätten. Schusswaffen seien nicht benutzt worden. Die Konfrontation habe sich ereignet, nachdem indische Soldaten in der Nähe des Pangong-Sees eine chinesische Patrouille abgefangen hätten, die auf von Indien gehaltenes Gebiet gelangt sei. Die Soldaten hätten bald danach angefangen, sich gegenseitig anzuschreien, dann seien Steine geflogen. China und Indien führten 1962 einen Grenzkrieg. Ein Großteil des Grenzverlaufs ist bis heute strittig. China kommentierte den Vorfall nicht direkt. Die Führung in Peking rief Indien aber dazu auf, Frieden und Stabilität an der Grenze zu wahren. Fast zeitgleich erschien das Video. Darin geht es um einen Disput einige Tausend Kilometer östlich entfernt von Kaschmir, nämlich auf dem Doklam-Plateau, hoch oben im Himalaja - der eigentliche Grund, warum Indien und China zanken. Seit Mitte Juni stehen sich hier chinesische und indische Truppen gegenüber. Die Gegend wird von China und dem Bergstaat Bhutan beansprucht. Neu-Delhi schickte Soldaten, um China vom Bau einer Straße abzuhalten. Gestritten wird um 34 Quadratkilometer zerklüftetes Land, abgelegen und dennoch für Indien von enormer Bedeutung: Ganz in der Nähe liegt ein Tal, das Zentralindien mit dem nordöstlichen Teil des Landes verbindet. Seit Chinas Einmarsch in Tibet vor beinahe 60 Jahren ist Indien die Schutzmacht des abgeschotteten Königreichs. Die Allianz war lange Zeit selbstverständlich. Doch jetzt hält sich Bhutan auffällig zurück. Zwar hat die Regierung den Straßenbau verurteilt, sich aber bislang nicht dazu geäußert, ob man Indien um Schutz gebeten habe.

Himalaja: Der Pangong-See in der indischen Region Ladahak gehört zu den Gebieten, denen sich chinesische Soldaten genähert haben sollen.

Der Pangong-See in der indischen Region Ladahak gehört zu den Gebieten, denen sich chinesische Soldaten genähert haben sollen.

(Foto: Manish Swarup/ AP)

In dem Xinhua-Video wird behauptet, dass das Gebiet eindeutig zu China gehöre und niemand dies anzweifele. Es sei in etwa so, als fahre ein "Bulldozer direkt in dein Haus, ohne dass vorher geklopft wurde. Was für ein Nachbar ist denn das?", fragt eine Moderatorin betont entrüstet. Dann rattert auch schon eine Zeichentrick-Planierraupe durchs Bild. Wenig später ist der Turban-Mann zu sehen, wie er einen anderen Schauspieler mit einer Schere bedroht. Das Bild: Indien erpresst Bhutan.

Wahr ist allerdings, dass die Bevölkerung die Stationierung der indischen Truppen durchaus kritisch sieht. Der Handel mit der Volksrepublik bringt Geld. Und seit dem Zwist ist die Grenze weitaus schwieriger zu passieren. Der Verwurf: Neu-Delhi habe seine Truppen vor allem deshalb entsandt, um eine diplomatische Annäherung zwischen Bhutan und China zu unterbinden. In der Vergangenheit hatte Peking mehrfach vorgeschlagen, per Gebietstausch die Grenzfragen zu klären.

In Indien wiederum wird der Disput in den Bergen gar mit der Auseinandersetzung im Südchinesischen Meer verglichen. Dort liegt China mit Anrainern wie Vietnam oder den Philippinen über Kreuz. Es geht um Bodenschätze und den viel befahrenen Seeweg nach Ostasien. Für Indien ist das die Passage in den Nordosten.

Diplomatische Versuche, die Krise zu entschärfen, sind bislang erfolglos geblieben. Während Indien einen Abzug der Truppen beider Länder zur Bedingung für Gespräche macht, besteht die Führung in Peking auf einem einseitigen Rückzug. Die indischen Streitkräfte sollen weichen, sonst gibt es auch keinen Dialog. Stattdessen also Steinwürfe und peinliche Videos: Der Konflikt zweier Nuklearmächte in Asien spitzt sich zu.

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