Hilfe für Haiti:"Das Rote Kreuz hat immer wieder versagt"

People look at a destroyed building in Port-au-Prince

Tausende Häuser hat das Erdbeben 2010 zerstört. Das Amerikanische Rote Kreuz wollte 700 davon wiederaufbauen.

(Foto: REUTERS)
  • Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 sammelte das Amerikanische Rote Kreuz (ARC) fast eine halbe Milliarde Dollar an Spendengeldern ein.
  • Nun steht die Hilfsorganisation in der Kritik, das Geld nicht effektiv eingesetzt zu haben. Diese Vorwürfe erheben Journalisten von Propublica und NPR.
  • Ein Entwicklungshilfe-Experte sieht das differenzierter: Viele NGOs stünden nach Katastrophen vor dem Problem, die Hilfsgelder effizient einzusetzen.

Vorwürfe gegen das Rote Kreuz

Das Amerikanische Rote Kreuz soll Spendengelder nach dem verheerenden Erdbeben 2010 in Haiti nicht effizient eingesetzt haben. Das berichten die gemeinnützige Nachrichtenseite Propublica und das öffentliche Radio in den USA, NPR: "Sie haben ihre Arbeit öffentlich gefeiert. Doch tatsächlich hat das Rote Kreuz in Haiti immer wieder versagt", heißt es in den Berichten.

Im Januar 2010 hatte in der Nähe der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince die Erde gebebt. Mehr als 300 000 Menschen kamen nach offiziellen Angaben ums Leben. Hunderttausende wurden obdachlos, Krankheiten wie Cholera konnten sich in dem armen Land leicht verbreiten. Das Amerikanische Rote Kreuz verbuchte etwa 500 Millionen US-Dollar an Spendengeldern, mehr als jede andere Organisation. Prominente wie Michelle Obama riefen damals zu Spenden auf, um dem Land zu helden, das etwa 1000 Kilometer südöstlich von Miami liegt.

Die Vorwürfe im Detail

Die Journalisten machten in ihren Berichten zwei große Probleme aus. Das Amerikanische Rote Kreuz wollte 700 Häuser bauen, konnte bislang aber lediglich sechs Häuser errichten. Offenbar hatte die Organisation die rechtlichen Schwierigkeiten unterschätzt, Land zu kaufen. Das Amerikanische Rote Kreuz wies die Vorwürfe zurück. Zwar sei die Organisation davon abgerückt, 700 Häuser zu bauen, weil es zu wenig Land gebe. "Doch wir haben Unterkünfte für mehr als 132 000 Menschen bereitgestellt", hieß es.

Außerdem, so der Vorwurf, waren viele leitende Mitarbeiter Ausländer, die keine der Landessprachen Französisch und Haitianisch/Kreol beherrschten. Das habe die Kommunikation mit den Einwohnern erheblich erschwert. "Zu Treffen mit den Bewohnern zu gehen, wenn niemand die Sprache spricht, ist wenig produktiv", kritisierte eine ehemalige Mitarbeiterin des Roten Kreuzes den Berichten zufolge.

Die Organisation war sich der Probleme offenbar durchaus bewusst. In einem internen Dokument, das Propublica und NPR veröffentlichten, machte die damalige Chefin des Haiti-Programms, Judith St. Fort, schon 2011 auf Probleme aufmerksam.

Was mit den Spendengeldern passierte

Das Rote Kreuz listet auf seiner Website auf, für welche Posten die Spendengelder verwendet wurden. Demnach gingen 66 Millionen Dollar in die Nothilfe, 173 Millionen Dollar wurden für Unterkünfte ausgegeben; 25 Millionen wurden eingesetzt, um den Ausbruch von Cholera zu verhindern oder einzudämmen. Doch nicht alle Investitionen waren erfolgreich. Ein Projekt, bei dem Straßen und Sanitäranlagen gebaut werden sollten, fiel bei den Einheimischen durch. Die Bevölkerung "lehnt das Projekt ab", heißt es in einer internen Bewertung.

Zudem sollen mehr Gelder für Verwaltung und Management verwendet worden sein. Das Amerikanische Rote Kreuz gab an, dass von jedem gespendeten Dollar 91 Cent direkt in die Projekte in Haiti flossen. Nach Recherchen von Propublica ist das falsch. Nur 60 Cent jedes Dollars seien für die Projekte verwendet worden. Mehr Geld als veranschlagt sei dagegen für andere Dinge ausgegeben worden.

Einschätzung eines Entwicklungshilfe-Experten

Die Vorwürfe der Journalisten von Propublica und NPR will Bert Hoffmann nicht uneingeschränkt teilen. Der Professor am GIGA-Institut in Hamburg hat sich intensiv mit dem Erdbeben in Haiti beschäftigt. "Mit strukturellen Problemen haben alle Organisationen zu kämpfen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Nach Katastrophen gebe es oft viel mehr Hilfsgelder in einem betroffenen Land als Kapazitäten. "Es fehlt dann oft an allem: an Transportwegen, an Lagerhallen, Landkarten, Unterkünften", sagt Hoffmann.

Auch die mangelnden Sprachkenntnisse vieler Helfer hält Hoffmann nicht zwingend für nachteilig. Grundsätzlich müsse es kein Problem sein, wenn Mitarbeiter von Hilfsorganisationen die Landessprache nicht sprechen. "Wenn jemand Erdbebenexperte ist, ist das im Zweifel wichtiger als seine Sprachkenntnisse", sagt Hoffmann. Dass die Verwaltungskosten des Roten Kreuzes möglicherweise deutlich höher waren als geplant, spreche nicht zwingend gegen die Organisation, sagt Hoffmann. "Nach einer Katastrophe steigen die Kosten enorm. Alles ist zehnmal so teuer: Flüge, Taxis, Internet oder Übersetzer. Klar, dass da auch die Kosten für das Rote Kreuz steigen."

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