100 000 Menschen konnte die italienische Küstenwache innerhalb eines Jahres im Rahmen der Mission Mare Nostrum retten. Doch Mare Nostrum stand auch im Ruf, Schlepperbanden in die Hände zu spielen. Der deutsche Innenminister vertrat diesen Standpunkt beharrlich.
Im November vergangenen Jahres wurde Mare Nostrum durch die Mission Triton ersetzt: Statt Seenotrettung steht nun Grenzsicherung im Vordergrund. Der Einsatzradius wurde überdies auf einen schmalen 30-Meilen-Streifen vor der italienischen Küste zusammengezogen. Mittlerweile sind mehr als tausend Menschen auf dem Mittelmeer gestorben. Weniger Rettung bedeutet vor allem mehr Opfer, kommentiert SZ-Autor Daniel Brössler die jüngste Flüchtlingskatastrophe mit mindestens 700 Toten. Eine Einsicht, die bei Innenminister Thomas de Maizière sehr spät eingesetzt hat, wie eine Auswahl von Zitaten zeigt:
9. Oktober 2014
"Mare Nostrum war als Nothilfe gedacht und hat sich als Brücke nach Europa erwiesen." Die aktuelle Strategie der EU sei "eine Art Beihilfe für das Vermögen von Menschenhändlern". (de Maizière auf einer Konferenz der EU-Innenminister. Am 1. November wurde die Mission durch Triton ersetzt.)
8. Januar 2015
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung verneint der Innenminister die Frage, ob er die Einstellung von Mare Nostrum bereue. "Die Schlepper haben im vergangenen Jahr rund fünf Milliarden Euro mit ihrem kriminellen Treiben verdient. Solange es Mare Nostrum gab, konnten sie die italienische Marine massiv für sich nutzen". Sie steckten die Menschen in furchtbare Boote, schickten sie von Libyen aus ins Meer. Und noch als die Boote in libyschen Hoheitsgewässern waren, riefen sie die italienische Marine an, sie möge die Menschen doch retten. Mare Nostrum war gut gemeint und aus sehr menschlichen Motiven entworfen worden. Aber es war objektiv auch Beihilfe zum Schlepperwesen."
Mitte März 2015
Die Annahme, durch die Einstellung von Mare Nostrum würden weniger Flüchtlinge die gefährliche Reise über das Meer antreten, bewahrheitet sich nicht: "Die Zahlen steigen - sowohl über das Mittelmeer wie auch die sogenannte Balkanroute", sagt Thomas de Maizière. Zuvor war Mitte Februar erneut ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa gesunken. Mehr als 300 Menschen ertranken.
Europäische Flüchtlingspolitik:Routen der Hoffnung, Wege der Verzweifelten
Viele Flüchtlinge gelangen auf dem Luftweg in die EU. Doch mehrere Hunderttausend Menschen versuchen jedes Jahr, die Grenzen auf dem Land- oder Seeweg zu überwinden - die Routen führen über die Balkanstaaten, das Mittelmeer und sogar die Kanarischen Inseln.
19. April 2015
"Jeder Tote ist einer zu viel. Jeder einzelne Fall ein schreckliches Schicksal", sagt Thomas de Maizière nachdem bekannt wird, dass vor der libyschen Küste mindestens 700 Flüchtlinge ertrunken sind, möglicherweise ist die Zahl aber noch weit höher. Wenige Tage zuvor war schon einmal ein Boot gekentert - 400 Menschen kamen ums Leben.
20. April 2015
Angesichts der jüngsten Flüchtlingskatastrophe fordern Oppositionspolitiker eine Neuauflage der Seenotrettungsmission Mare Nostrum. Der Sprecher von Thomas de Maizière erklärt, der Innenminister sehe in der Seenotrettung kein Allheilmittel. Wenn eine Neuauflage von Mare Nostrum aber Teil eines Maßnahmenpaketes wäre, "dann würde sich das Bundesinnenministerium dem nicht verschließen".
Aus der zögerlichen Aussage wird wenig später ein klares Bekenntnis: Beim Treffen der Innen- und Außenminister der EU sagt de Maizière: "Die Seenotrettung muss erheblich verbessert werden, sie muss schnell organisiert und europäisch finanziert werden."