Süddeutsche Zeitung

Insektenplage 1749:Mit Soldaten und Feuer gegen Heuschrecken

Lesezeit: 2 min

Von Rudolf Neumaier

Der Horror steckt bei diesen Tieren schon im Namen. Heuschrecken. So viel Sprachschauder in einem winzigen Geschöpf! Wollte ein Pfarrer seine Gemeinde in früheren Zeiten zu einem tugendhaften Leben bekehren, dann musste er ihnen nicht mit Drachen drohen. Der reale Grashüpfer war, als Insekt gewordene Strafe Gottes, viel apokalyptischer.

Und so verbreitete die Ordentliche wöchentliche Kayserliche Reichs-Ober-Post-Amts-Zeitung im Frühjahr 1749 den kaiserlichen Auftrag ans Volk, durch dreitägige Bittgänge eine saftige Himmelsstrafe abzuwenden, damit der liebe Gott "seine alle menschliche Missethaten übertreffende Barmhertzigkeit" wieder einmal unter Beweis stellen könne.

Es war höchste Zeit für fromme Gebete - die Heuschreckenschwärme waren schon in Ungarn zugange, rasch kamen sie näher.

Dem Regensburger Bibliothekar und Historiker Bernhard Lübbers sind Aufzeichnungen eines niederbayerischen Prämonstratenser-Abtes in die Hände gefallen, der ausführlich über die Heuschreckenplage des Jahres 1749 berichtete.

Für das Bayerische Jahrbuch für Volkskunde hat Lübbers eine Studie über die "Wahrnehmungen und Bewältigungsstrategien einer frühneuzeitlichen Naturkatastrophe" verfasst. Die Quintessenz seines Aufsatzes liefert ein wunderbar konkretes Beispiel für die Geistesprozesse Mitte des 18. Jahrhunderts.

Mit Dreschflegeln und Trommeln gegen die Insekten

Die einen beteten noch gegen die Heuschrecken, die anderen gingen dem Phänomen schon naturwissenschaftlich auf den Grund. Und die Medien waren traditionell und fortschrittlich genug, beide Strategien zu vermitteln.

Der Begriff Heuschrecke steht heute für ein kapitalistisches Monster. Seit einer Rede des SPD-Politikers Franz Müntefering im Jahr 2005 handelt es sich bei Heuschrecken um Finanzinvestoren, die Arbeitsplätze vernichten.

Müntefering berief sich auf die Heuschrecken im Alten Testament, die im Zweiten Buch Moses "alles auffressen, was im Lande wächst". Dass die Heuschrecke auch in der Zeit zwischen Mose und Müntefering Unbill bescherte, haben die meisten Europäer im Zeitalter der Pestizide vergessen.

Im Jahr 1749 fühlten sich die Menschen an das biblische Ägypten erinnert. Nicht nur der kaiserliche Hof ordnete Bittgänge an, auch die Bischöfe. Gleichzeitig erinnerten sich die Menschen ihrer Tatkraft, um die Heuschrecken zu bekämpfen.

Im Hochstift Würzburg wurden 1000 Soldaten und dann auch Beamte dazu beordert, die Insekten zu töten. Im kurfürstlich-bayerischen Landau (heute Rheinland-Pfalz) gingen die Menschen mit Dreschflegeln gegen die Plage vor. Die toten Tiere erreichten hier innerhalb von drei Tagen eine Menge, die Gefäße mit einem Fassungsvermögen von zusammen 220 000 Litern füllten. Und dennoch blieben die Schwärme laut einem Augenzeugen so bedrohlich, als wenn "gar keiner wäre umgebracht worden".

Andernorts versuchte man, die Tiere durch Lärm zu vertreiben: mit Trommeln und Böllerschüssen. Als wirksam erwiesen sich schließlich nächtliche Attacken auf das ruhende Ungeziefer.

Die österreichische Regentin Maria Theresia und der bayerische Kurfürst Max III. Joseph empfahlen, es mit Stroh oder Tannenzweigen zu bedecken und dann anzuzünden.

Diese Methode setzte sich schließlich gegen das bloße Beten durch.

Der Text erschien zuerst in der Print-SZ vom 11. Dezember 2018.

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