Hetzjagd in Mügeln:Jagd auf das Fremde

Mügeln ist keine Hochburg des Rechtsextremismus, doch es erschreckt, wie selbstverständlich sich die Jäger aus dem Wörterbuch der Neonazis bedient haben. Die Bekämpfung dieser Fremdenfeindlichkeit sollte einem Staat viel, auch viel Geld, wert sein.

Matthias Drobinski

Das Lied vom schönen Westerwald, dessen Melodie für alkoholgeölte Männerstimmen geschrieben ist, geht zum Schluss so: "Ist das Tanzen dann vorbei/ gibt's gewöhnlich Keilerei./Und vom Bursch, den das nicht freut/sagt man, der hat keinen Schneid."

Sieht man hierin die - zugespitzte - Wiedergabe der Volkskultur, ist in Mügeln in Sachsen nichts Außergewöhnliches passiert, als Dutzende junge Deutsche acht Inder durch den Ort jagten: Da war ein Fest, es floss das Bier.

Um Mitternacht gab es Streit, und auf einmal haben alle mitgeprügelt, es war was los, die Hemmungen fielen, die Polizei musste die Jagd beenden.

Dass die Inder um Mitternacht noch im Zelt saßen und in die Auseinandersetzung gerieten, kann Zynikern auch als Zeichen gelungener Integration gelten: Wie schnell die sich angepasst haben!

Mügeln ist keine Hochburg des Rechtsextremismus (auch wenn die NPD 2004 fast zehn Prozent der Stimmen erhielt), die 5000-Einwohner-Stadt ist keine ostdeutsche Bronx, und wer auf dem Dorf groß geworden ist, kann sich vorstellen, wie nun die Stimmung ist: ist halt passiert, betrunken waren wir alle, sorry, liebe Inder, lasst uns jetzt, wo wir nüchtern sind, wieder an die Arbeit gehen (denn aus Armut entstehen solche Schlägereien nicht).

Als wäre es nicht wichtig, wer da durch die Straßen gehetzt wurde, gegen wen sich die Gewalt richtete, was an Parolen gerufen wurde, welche Gesinnung der Alkohol in der Nacht an den Tag gebracht hatte, und warum mutige Polizisten ihr Leben riskieren mussten, um Schlimmeres zu verhindern.

Doch es ist gerade dieses Alltägliche, das an der Menschenjagd von Mügeln erschreckt. Dass es als logisch erscheint, dass sich die Aggression, die Trunkenheit und die Langeweile der Festzeltbesucher über den acht Dunkelhäutigen entladen und nicht über irgendwelchen weißen Sachsen; dass einer, der wütend auf einen Inder ist, "Ausländer raus" ruft oder "Hier regiert der nationale Widerstand" - und nicht: "Du Depp".

Wer eine dunkle Hautfarbe hat, lebt in vielen Gegenden gefährlich

Wie selbstverständlich sich die jugendlichen Jäger aus dem Wörterbuch der Neonazis bedient haben! Und wie schwer sich der Bürgermeister des Ortes tut, die Dimension des Vorgangs zu benennen: Niemand trug oder zeigte ein Hakenkreuz, ausländerfeindlich sei es schon, Inder zu verprügeln, aber rechtsextremistisch?

Bürgermeister Deuse hat insofern recht, als sich in Mügeln tatsächlich nur gebündelt hat, was Alltag ist besonders in Ostdeutschland: Wer eine dunkle Hautfarbe hat oder sonstwie ausländisch aussieht, lebt in vielen Gegenden gefährlich. Er muss damit rechnen, angepöbelt und an der Disco-Tür abgewiesen zu werden, bei Behörden Primitivdeutsch zu hören und er muss, so er Sport treibt, wissen, dass bei strittigen Szenen seine Herkunft zum Thema wird.

Das alles gibt es, oft weniger offensichtlich, auch im Westen; und dass es dort andersherum türkische Jugendbanden gibt, die deutsche Jugendliche tyrannisieren, macht die Sache nicht besser.

Es folgt, wie immer nach solchen Ereignissen, der Chor der betroffenen Stimmen, der richtigen und doch hilflosen Ratschläge. Mehr Härte im Umgang mit rechten Schlägern, mehr Jugendarbeit, mehr Arbeitsplätze, Zivilgesellschaft und Zivilcourage - ja, natürlich.

Ihr schadet euch doch selbst, appelliert der SPD-Politiker Wolfgang Thierse an den Eigennutz der Ostdeutschen: Prügelt ihr die Ausländer, bleiben die Investoren weg. Das mag so sein, doch den bierbenebelten Schläger wird das kaum zur Einsicht bringen.

Fremdenfeindlichkeit gibt es, wo Menschen zusammenleben; sie ist deshalb in einer Gemeinschaft zu bekämpfen, aber nie ganz zu besiegen. In jedem Menschen wohnen Angst vor dem und Neugier auf den Fremden, und je unsicherer und schwächer er ist, je stärker er sich vom Leben geschlagen und gedemütigt fühlt, desto eher siegt die Angst über die Neugier, desto eher neigt er dazu, abzuwerten, was ihm fremd ist, den Fremden nicht gelten zu lassen, ihn am Ende sogar zu hassen.

Der Grad der Fremdenfeindlichkeit und die Verbreitung autoritären Denkens lassen sich verringern, durch Wohlstand, Erziehung, Persönlichkeitsentwicklung; und wie sehr das gelingt, sagt viel über die Stabilität einer Gesellschaft und einer Demokratie aus, sollte einem Staat also viel, auch viel Geld, wert sein.

Aus der Welt zu schaffen ist der Hass gegen Ausländer aber nicht, und gerade in Deutschland ist das eine bittere Erkenntnis - nicht, weil die Deutschen fremdenfeindlicher sind als die anderen Europäer, sondern weil in Deutschland der Hass gegen "das Andere" einmal Staatsdoktrin war.

So kann es immer wieder Jagdszenen wie in Mügeln geben, vor allem, wenn es Sommer ist, die Tage warm sind und Durst machen, die Nächte mild genug, um genügend Männer zu versammeln, die diesen Durst stillen und sich bestätigen in ihrem Hass. Immer wieder wird es dann den "Aufstand der Anständigen" brauchen, jener Mutigen aus der schweigenden Mehrheit, die erklären, dass sie Gewalt, Rassismus und Extremismus nicht akzeptieren.

Es braucht diese Empörung, trotz ihrer begrenzten Wirkung, sonst bricht der Boden der Zivilisation. Er ist dünner, als man denkt.

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