CDU und SPD müssen bei der Landtagswahl in Hessen schwere Verluste hinnehmen. Die CDU sackt laut Hochrechnung der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF von 38,3 Prozent auf 27,5 Prozent ab - womit sie aber weiter stärkste Kraft in Wiesbaden ist. Allerdings fährt sie ihr schlechtestes Ergebnis seit 1966 ein.
Die SPD stürzt demnach auf nur noch 19,9 Prozent ab, nach 30,7 Prozent im Jahr 2013. Auch das ist ein historischer Tiefstand und das schlechteste Ergebnis seit 1946 für die Sozialdemokraten im einst "roten Hessen". SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel räumte seine Niederlage ein. Es handele sich um einen "schweren und bitteren Abend" für die hessische SPD. Seine Partei habe sich konsequent auf die Themen konzentriert, die die Bürger in allen Umfragen für wichtig gehalten hätten, wie bezahlbares Wohnen, moderne Schulen oder die bessere Verbindung von Stand und Land. Die SPD habe für alle diese Themen die Kompetenzzuschreibung erhalten. Er habe es noch nie erlebt, dass eine Opposition, die die Themen in der Landespolitik setze und dafür die Kompetenz bekomme, dennoch das Rennen um Platz eins verliere.
Damit werden die Parteien der großen Koalition in Berlin deutlich abgestraft - wie schon vor zwei Wochen in Bayern. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte mit Blick auf Berlin in einer ersten Reaktion: "So kann es nicht weitergehen." Es sei ein Signal an die große Koalition in Berlin, dass die Dinge anders werden müssten. Es gebe einen dringenden Klärungsbedarf. Es werde über das Erscheinungsbild der Koalition zu reden sein und darüber, ob die Parteien die Kraft hätten, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Der Chef der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, fordert: "Mit CDU/CSU muss schnell geklärt werden, ob und welche vertrauensbildenden Maßnahmen es in der großen Koalition geben kann, die eine Wiederholung der vergangenen Monate ausschließen."
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte eine "neue Arbeitskultur" in der großen Koalition an. "Es muss Schluss sein mit der Debatte, ob wir zusammen regieren oder nicht", sagt die CDU-Politikerin. Die große Koalition sollte sich auf drei große Projekte für die nächsten Monate einigen. Auch Kanzleramtsminister Helge Braun sieht keinen Zeitpunkt für Personaldiskussionen. "Angela Merkel ist unsere Parteivorsitzende, ist die starke Stimme Deutschlands in der ganzen Welt", sagt der CDU-Politiker im ZDF. Die Menschen wollten den Streit und ewige Personaldiskussionen nicht. Es gehe jetzt darum, gute Sacharbeit zu machen.
Starke Gewinne für die Grünen, AfD im Landtag
Größter Gewinner sind die Grünen, die ihr Ergebnis von 2013 (11,1 Prozent) auf voraussichtlich 19,6 Prozent steigern können. Die schwarz-grüne Koalition erreicht demnach möglicherweise nur eine knappe Mehrheit. Rechnerisch sicher möglich wäre aber ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sieht in dem Wahlergebnis ein starkes Zeichen für den Zusammenhalt in Deutschland. Nach den Worten von Co-Chef Robert Habeck werden die Grünen "sehr verantwortungsvoll" mit dem Ergebnis in Hessen umgehen. Die Grünen seien bereit, Verantwortung zu übernehmen und man werde jetzt in vielen Sondierungsgesprächen sehen, wie sich am meisten grüne Politik umsetzen lasse, sagt Habeck im ZDF. Am Erfolg der Grünen zeige sich, dass Wahlen nicht nur am rechten Rand zu gewinnen seien.
Die rechtspopulistische AfD zieht erstmals in den hesssischen Landtag ein und erreicht 12,6 Prozent. Sie sitzt nun in allen deutschen Landtagen. AfD-Chef Jörg Meuthen äußert sich "sehr zufrieden": Das Ziel eines deutlich zweistelligen Ergebnisses sei erreicht worden, auch wenn noch ein Stück "harte Arbeit" vor der Partei liege.
FDP und Linke, die vor fünf Jahren nur jeweils knapp über die Fünf-Prozent-Hürde kamen, gewinnen hinzu und sitzen sicher im neuen Landtag von Wiesbaden. Die Liberalen kommen auf 7,4 Prozent (2013: 5,0), die Linke erzielt 6,6 Prozent. Das ist ihr bisher bestes Ergebnis in Hessen (2013: 5,2). FDP-Parteichef Christian Lindner sagte in einer ersten Stellungnahme, dass seine Partei für eine Regierungsbeteiligung offen sei, "falls sie gebraucht werde". Die sonstigen Parteien kommen zusammen auf 6,4 Prozent.
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Herzlich willkommen
in unserem Live-Blog zur Landtagswahl in Hessen. Knapp 4,4 Millionen Wähler bestimmen heute über die Zusammensetzung des Landesparlaments. Den Umfragen zufolge wird es ein knappes Rennen: Ob Volker Bouffiers schwarz-grüne Koalition eine zweite Amtszeit regieren kann, ist ungewiss. Die Wahllokale schließen um 18 Uhr. Hier finden sie alle Infos und die Reaktionen der Politiker auf das Ergebnis. Grüne im Aufwind
Nach dem großen Erfolg bei der Landtagswahl in Bayern scheinen die Grünen auch in Hessen vor großen Zugewinnen zu stehen. In den Umfragen lagen sie zuletzt um die 20 Prozent und teilweise hatte die Partei sogar die SPD überholt. Wir haben mit Daniel Cohn-Bendit über den Erfolg seiner Parteifreunde gesprochen. Er spekuliert schon, wer der erste grüne Chef im Kanzleramt werden könnte: Alle Kandidaten im Überblick
Mit Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) stehen sich in Hessen zwei altbekannte Kontrahenten gegenüber. Ein ernstzunehmender Konkurrent im Kampf um den Chefsessel in der Staatskanzlei ist diesmal auch der grüne Spitzenkandidat und derzeitige Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Aber wer sind die Kandidaten der anderen Parteien? Hier das Spitzenpersonal im Überblick:Schäfer-Gümbel und Al-Wazir bei Stimmabgabe zuversichtlich
SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel zeigte sich trotz düsterer Prognosen für seine Partei optimistisch, als er am Vormittag zusammen mit seiner Frau in Lich wählte. "Ich habe in den letzten Tagen gemerkt, dass wirklich viel in Bewegung ist". Er glaube, dass die meisten Hessen wissen, "dass es heute nicht um die große Koalition in Berlin geht, sondern dass es darum geht zu entscheiden, ob wir mehr bezahlbaren Wohnraum, modernere Schulen und Stadt und Land besser miteinander verbunden bekommen." Und darauf setze er auch. "Was anderes bleibt mir jetzt auch nicht mehr übrig", fügte er hinzu.
Sein Kontrahent von den Grünen, Tarek Al-Wazir hat die besseren Umfragewerte im Rücken, mahnte bei seiner Stimmabgabe in Offenbach aber Demut an. Wahlen würden nicht in Umfragen entschieden, sondern am Wahltag. "Dann wird man sehen, was rechnerisch geht und was in der Sache geht." Endspurt in Schwalbach
Politiker, Wahlforscher und Journalisten befassen sich seit Wochen mit dieser Wahl, sie kennen die Kandidaten, deren Programme und Schwierigkeiten. Aber diejenigen, auf die es bei einer Wahl ankommt: die 4,4 Millionen hessischen Wähler also? Sonntagfrüh um acht, Bäckerei Schäfer, Friedrich-Ebert-Straße 2 in Schwalbach am Taunus. Nancy Faeser hat sich dort vor die Tür gestellt, mit zwei Helferinnen und 160 Gläsern Marmelade.
Faeser ist Landtagsabgeordnete der SPD, und sie macht das immer so an Wahltagen, Marmelade vor der Bäckerei verteilen. Eine nette Geste und eine dezente Werbung in letzter Minute soll das sein. Viele freundliche, kurze Gespräche. Ich hab’ schon gewählt! Kann ich noch eins haben? Wir sind fünf Wähler zu Hause - und so weiter. Eine Stunde steht Faeser nun schon vor der Tür, da drückt sie einer jungen Frau ihr Glas in die Hand, die Frau sieht etwas müde aus, trägt eine graue Jogginghose. Und was antwortet sie, als Faeser auf die Wahl hinweist? „Gut, dass Sie es sagen. Ich hatt’ Nachtdienst. Ich hätt’s total vergessen.“
Bericht: Detlef Esslinger "Als ich die Prognosen hörte, wurde mir schwindlig"
Gießen, der Seniorentreff der Diakonie am Sonntagmittag. Volker Bouffier und seine Frau gehen wählen. In drei, vier, fünf Fernsehkameras sagt Bouffier , was er seit Wochen sagt: dass die Leute hoffentlich über Hessen abstimmen, und nicht über Berlin. Im Wahllokal sagt die Frau, die ihm den Stimmzettel gibt: „Gestern als ich die Prognosen hörte, wurde mir schwindlig. Aber ist ja sich kein Wunder. In der großen Koalition Kloppen sie sich ja wie die kleinen Kinder.“
Bericht: Detlef EsslingerWahlbeteiligung etwas niedriger als vor fünf Jahren
Die Landeswahlleitung in Wiesbaden spricht von 38,8 Prozent Wahlbeteiligung bis um 14 Uhr. Das hätten Abfragen in den fünf kreisfreien Städten Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Offenbach und Kassel ergeben. Bis zum Nachmittag hat sich damit eine etwas niedrigere Wahlbeteiligung als vor fünf Jahren abgezeichnet - damals fand aber parallel auch die Bundestagswahl statt. 2013 hatte der Wert zur der Uhrzeit bei 40,9 Prozent gelegen. Bei der Landtagswahl 2009 waren um 14 Uhr nur 29,7 Prozent und damit deutlich weniger als nun gezählt worden. (dpa)Nervosität in Berlin
Während in Hessen noch abgestimmt wird, steigt in Berlin die Spannung. Die Landtagswahl gilt als richtungsweisend auch für die Bundespolitik. Schwere Verluste für CDU oder SPD oder auch für beide Parteien könnten die Stabilität der Bundesregierung gefährden. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer spekulierte bereits über die Zukunft nach einem möglichen Bruch der großen Koalition im Bund. „Sollte diese Regierung jetzt auseinanderbrechen, wird es auf Neuwahlen herauslaufen“, sagte sie am Donnerstag bei einer Veranstaltung in Frankfurt. Und wurde für diese Äußerung umgehend kritisiert. „Wenn die CDU-Generalsekretärin über ein frühzeitiges Ende der 'GroKo' spekuliert, ist das ein dreistes Ablenkungsmanöver von den Grabenkämpfen in der eigenen Partei“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer der Bild am Sonntag. „Sie verbreitet maximale Unsicherheit.“
Welche Bedeutung die Hessen-Wahl für die einzelnen Parteien hat, analysiert mein Kollege Stefan Braun in diesem Text:Todesstrafe und Gleichberechtigung: Über was noch abgestimmt wird
In Hessen werden heute nicht nur Politikerinnen und Politiker in den Landtag gewählt, die Bürger entscheiden außerdem über
15 Vorschläge zur Änderung der Landesverfassung. Darunter die Abschaffung der Todesstrafe - sie steht noch immer in der Landesverfassung von 1946. Außerdem haben die Hessen die Gelegenheit, die Hürden für Volksbegehren zu senken. Worum es dabei geht, hat unsere Kollegin Susanne Höll aufgeschrieben:
Floskelbingo zur Wahl
"Da gibt es nichts schönzureden", "Ein Weiter so darf es jetzt nicht geben", "Wir müssen jetzt nach vorne blicken". Um 18 Uhr ist es wieder soweit, die Politiker müssen das Wahlergebnis im Fernsehen erläutern. Viele der Stellungnahmen werden wohl bekannt klingen.
Wir haben aus den beliebtesten Politikersätzen ein Spiel gemacht: Das Floskelbingo zur Landtagswahl. Es lässt sich alleine oder zu mehreren spielen - der Spaß ist garantiert. Lauschen Sie einfach den Kandidaten in den Wahlsendungen und klicken Sie auf die Sprüche, die Sie hören. Jeder Mitspieler braucht dazu nur ein Smartphone, ein Tablet oder einen Computer und kann sich eine Bingo Karte erstellen lassen - die Karten werden nach dem Zufallsprinzip aus einem Fundus von etwa 40 Floskeln gemischt. Wer eine Reihe oder Zeile mit Sprüchen voll hat, gewinnt das Spiel. Viel Spaß!Markus C. Schulte von Drach
Wähler nutzen die Wahl als Denkzettel
Landespolitik ist nicht Bundespolitik, heißt es häufig. Viele Wählerinnen und Wähler sehen das aber offenbar ganz anders. Einer Umfrage von Infratest dimap zufolge sehen etwa die Hälfte der Wähler in Hessen die Abstimmung als eine gute Gelegenheit, der Bundesregierung - oder mit anderen Worten: der großen Koalition in Berlin - einen Denkzettel zu verpassen. 86 Prozent finden, sie sei zu zerstritten. (Reuters)Die erste Prognose zur Hessenwahl
Die Wahllokale sind jetzt geschlossen.
Pünktlich um 18 Uhr gibt es die erste Prognose der Forschungsgruppe Wahlen:
CDU: 27 %
SPD: 20 %
Grüne: 20 %
AfD: 13%
Linke: 6,5 %
FDP: 7 %
Sonstige: 6,5 %
Wer letztlich mit wem regieren wird, ist nach diesem Ergebnis noch offen. Sicher ist aber: Die Alternative für Deutschland ist nun in allen 16 deutschen Länderparlamenten vertreten.Markus C. Schulte von Drach
Mehrheit für Regierungsbeteiligung der Grünen
In einer Umfrage von Infratest dimap geben drei Viertel aller befragten Hessen an, dass sie eine Beteiligung der Grünen an der Regierung befürworten. 2013 waren es nur 58 Prozent. Die Arbeit der schwarz-grünen Koalition, die seitdem in Wiesbaden regiert, hat demnach eine große Mehrheit der Hessen davon überzeugt, dass die Grünen in der Lage sind, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Allerdings hat das schwarz-grüne Bündnis wegen der Schwäche der Union an Stimmen verloren und muss nun um seinen Fortbestand bangen. (Reuters)Gewinne und Verluste der Parteien
Der große Gewinner der Landtagswahl in Hessen sind Grüne und AfD, die der ersten Prognose zufolge jeweils 8,9 Prozentpunkte hinzugewinnen. Am meisten verliert die CDU. Alle Gewinne und Verluste:
CDU: -11,3
SPD: -10,7
Grüne: +8,9
AfD: +8,9
FDP: +2,0
Linke: +1,3
Alle Werte stellen die Gewinne und Verluste in Prozentpunkten dar. Quelle: Forschungsgruppe Wahlen
Erste Prognose von Infratest dimap
Das Institut meldet:
CDU: 28,0 %
SPD: 20,0 %
Grüne: 19,5 %
AfD: 12,0 %
Linke: 6,5 %
FDP: 7,5 %
Sonstige: 6,5 %
Mit diesem Ergebnis hätte Schwarz-Grün eine hauchdünne Mehrheit.