Hessen-SPD: Dagmar Metzger:Ein Stammplatz auf dem Scherbenhaufen

Man wollte sie wegmobben und wegloben, aber die hessische SPD-Abgeordnete Metzger bleibt unbeirrt - ihre Fraktion gewöhnt sich allmählich daran.

Christoph Hickmann

Sie ist gewandert am Montag, vom Landtag hinauf zum Jagdschloss Platte, gebaut vor bald zwei Jahrhunderten, fast vollkommen zerstört im Jahr 1945, wiederaufgebaut erst von Ende der achtziger Jahre an. Sie war nicht allein, die Kollegen Abgeordneten waren dabei, sofern sie Zeit und Lust hatten. Um Gemeinschaftssinn sollte es gehen oder Teamgeist, wie auch immer man das nennen will, und es soll recht harmonisch zugegangen sein.

Hessen-SPD: Dagmar Metzger: Dagmar Metzger im April 2008 im hessischen Landtag

Dagmar Metzger im April 2008 im hessischen Landtag

(Foto: Foto: ddp)

Oben auf der Anhöhe gab es Schnitzel und Rostbraten, Bratkartoffeln und Nudeln. Dagmar Metzger soll sich gut unterhalten haben bei diesem kleinen Wandertag der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, auch mit Menschen, die ihr sehr wahrscheinlich nicht allzu viel Gutes wünschen. Andrea Ypsilanti war auch dabei, sie ist ja die Vorsitzende dieser Fraktion. Sie soll oben recht erschöpft ausgesehen haben.

Es ist nun drei Monate her, dass die Lebenswege dieser beiden Frauen sich auf eine Weise gekreuzt haben, die ihre Partei wahlweise erstarren oder jubilieren ließ. Eigentlich war es eher ein frontaler Zusammenstoß, bei dem man sich Andrea Ypsilanti unter Volldampf auf dem Weg zur Macht vorzustellen hat, angetrieben noch von einer aufgewühlten Parteiseele.

Dann stellte sich Dagmar Metzger als Prellbock in den Weg. Wäre die Szene im Fernsehen übertragen worden, hätte es wahrscheinlich viele Wetten gegeben, auf welche Art und Weise der Prellbock pulverisiert oder auch nur beiseite geschoben würde. Er blieb aber stehen.

Dagmar Metzger steht seither nicht nur einer einzelnen Frau im Weg, sie versperrt den Weg für ein großes Projekt ihrer Partei, weil sie sich weigert, diese Frau mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin zu wählen. Sie blieb auch während jenes Gesprächs standhaft, das nun wieder so viel neuen Stoff geliefert hat, über Metzger, ihre Landesvorsitzende und die Hessen-SPD.

Am Rande einer Landtagssitzung redete kürzlich Norbert Schmitt, Landes-Generalsekretär der SPD, mit Dagmar Metzger. Er trug ihr die Überlegung vor, sie könne doch im nächsten Jahr für den Bundestag kandidieren, im Wahlkreis Odenwald. Abgesehen von ziemlich vielen Unwägbarkeiten wäre das recht praktisch gewesen.

Es geht ihr nicht so schlecht, wie es ihr gehen sollte

Auch für einen Prellbock mag es nicht sehr angenehm sein, immer im Weg zu stehen - und Ypsilanti hätte vielleicht mit der etwas komfortableren Mehrheit von zwei Stimmen im Landtag doch wieder Fahrt dorthin aufnehmen können, wo sie immer hinwollte: Georg-August-Zinn-Straße 1, 65183 Wiesbaden. In die Hessische Staatskanzlei, wo noch immer jener CDU-Ministerpräsident Koch sitzt, den sie mit den Stimmen der Linken ablösen wollte, obwohl sie das einen Wahlkampf lang und noch etwas länger ganz anders dargestellt hatte.

Das Problem des Generalsekretärs Schmitt, seiner Vorsitzenden und eines nicht unbeträchtlichen Teils ihrer Partei besteht allerdings darin, dass es Dagmar Metzger, 49, verheiratet, kinderlos, Darmstädter Stadtverordnete, Bankkauffrau, Juristin, nicht so schlecht geht, wie es ihr eigentlich gehen sollte.

Auf der nächsten Seite hat Dagmar Metzger ihren großen Auftritt.

Ein Stammplatz auf dem Scherbenhaufen

Sie ist zwar die Abweichlerin, die Spielverderberin, mit der sich selbst von denen kaum jemand öffentlich solidarisieren mochte, die ihrer Meinung waren. Manche wollten sie damals gar aus der Partei ausschließen, andere wollten sie nun in den Bundestag verfrachten. Aber Dagmar Metzger lacht auch im Bürgermeister-Pohl-Haus in Darmstadt-Wixhausen dieses laute Lachen, das man ihr nicht zutraut, kennt man nur diesen einen großen Auftritt vor drei Monaten.

Sie lacht viel, wenn es ihr gut geht

Als sie Anfang März erklärte, warum sie nicht mit der Linken zusammenarbeiten werde, saß sie stocksteif da, den Rücken durchgedrückt, die Stimme fest. Im Bürgermeister-Pohl-Haus aber schüttelt sie Hände, lacht wieder, geht vor die Tür zum Rauchen.

Sie trägt ein Top in reichlich psychedelisch wirkenden Farben zu weiß lackierten Fingernägeln und wirkt so entspannt, wie man eben entspannt wirken kann, wenn man schon am Morgen etwas in eine Fernsehkamera sagen musste, weil die Sache mit Schmitt und dem Bundestag bekannt geworden ist. Sie lacht viel, wenn es ihr gut geht, und sie hat hier Menschen, die mit ihr lachen.

Die Darmstädter SPD ist zu ihrem Unterbezirksparteitag zusammengekommen, Dagmar Metzger sitzt hinten links, zusammen mit den anderen Delegierten des Ortsvereins Eberstadt. Von der Bühne aus gesehen sitzt sie am äußersten rechten Rand. Es kommt mal wieder ganz auf die Perspektive an.

"Mit großen Bauchschmerzen"

Auch hier gibt es genügend Menschen, die ihr übelnehmen, was sie getan hat und noch tut. Am Ende aber wird sie wieder in den Vorstand gewählt. Sie weiß, dass sie hier sicher ist, was man an ihrer Rede merkt, aufgerufen als Tagesordnungspunkt 4g. Sie sagt, dass sie nicht nach Berlin wechseln werde, und erklärt, dass sich an ihrer Haltung zur Linken nichts geändert habe. Über die Arbeit im Landtag sagt sie: "Ich fühle mich wohl. Und es ist manchmal sogar so, dass es schon richtig Freude und Spaß macht."

Dann geht sie zurück auf ihren Platz, neben den hageren Mann mit dem lichten Haar. Es ist ihr Mann, Mathias Metzger, 48, Anwalt. Drinnen trägt gerade der Fraktionsvorsitzende in der Stadtverordnetenversammlung seinen Bericht vor, als Mathias Metzger im Foyer sagt: "Am Anfang war ihre Beklemmung schon einigermaßen groß. Sie ist schon mit großen Bauchschmerzen dahin gefahren."

Auf der nächsten Seite ist selbst Metzgers Körperhaltung eine andere, einen Monat nach dem großen Knall.

Ein Stammplatz auf dem Scherbenhaufen

Er spricht über Wiesbaden, über die Landtagsfraktion, in der seine Frau sitzt. Er sagt auch, dass es sich sehr verbessert habe, dass die anderen 41 SPD-Abgeordneten meist gut bis freundlich mit seiner Frau umgingen. Das berichten auch die Abgeordneten, und man kann es sogar beobachten. Im Plenarsaal des Landtags sitzt Dagmar Metzger neben einem Ypsilanti-Getreuen, und man sieht die beiden immer wieder plaudern. Man rede da zum Beispiel über Literatur, sagt sie, über Böll und Grass etwa.

Vor allem Symbolik

Nur so kann es ja funktionieren: die politische Ebene meiden und auf der persönlichen nach Gemeinsamkeiten suchen. Dauerhaft jemanden anzufeinden, mit dem man ständig zusammen ist, das schafft kaum jemand - auch wenn einige Abgeordnete Metzger noch immer meiden. Es sind aber weniger geworden.

Anfangs wurde sie nicht einmal in die sogenannte Aufwärts-Runde eingeladen, in der sich die Netzwerker und Parteirechten der Landtagsfraktion treffen. Von ihrer politischen Ausrichtung her gehört Dagmar Metzger klar dazu, es sind ihre Leute. Inzwischen ist sie auch dabei, und selbst mit Ypsilanti hat sie im Landtag schon beim Essen gesessen - auch wenn es dabei vor allem um die Symbolik gegangen sein mag.

Selbst ihre Körperhaltung ist inzwischen eine andere als noch beim Parlamentarischen Abend im Landtag, einen Monat nach dem großen Knall. Dagmar Metzger hat an diesem Abend sehr viel geraucht, wofür sie in den Innenhof gehen musste. Dort stand sie dann in einer kleinen Gruppe, und es sah aus, als bete sie ununterbrochen, dass die Gruppe sich nicht auflösen möge und sie allein dastünde, sie, die Aussätzige, kurz zuvor demonstrativ freundlich von Roland Koch begrüßt.

Ihr Mann ist Sohn einer Darmstädter Legende

Es sah aus, als rauche Dagmar Metzger immer noch mehr, um ja nicht wieder hinein zu müssen ins Plenargebäude, wo jeder ihr Gesicht kannte und sie so wenige Gesichter, weil sie bislang immer nur Kommunalpolitikerin war. Man hatte nicht den Eindruck, dass Metzger gern berühmt war. So ist das noch immer; viele Gesprächsanfragen lehnt sie ab. Sie hat sich keine Vorstellung davon gemacht, was ihre Entscheidung auch für sie selbst bedeuten könnte, mit Verachtung auf der einen und öffentlicher Lobpreisung auf der anderen Seite.

Ihr Mann Mathias Metzger, das muss man wissen, ist nicht einfach nur ein Delegierter des Ortsvereins Eberstadt. Er ist der Sohn einer Darmstädter Legende und der Enkel eines Darmstädter Mythos'. Sein Großvater Ludwig war gleich nach dem Krieg Darmstädter Oberbürgermeister, später Landesminister und SPD-Bundestagsabgeordneter. Sein Vater Günther war stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und von 1981 bis 1993 Darmstädter Oberbürgermeister.

Ob sie etwas mit dem Grünen-Fresser zu tun habe

Günther Metzger hat sechs Kinder, um ihn sowie den sogenannten Metzger-Clan ranken sich in Darmstadt Geschichten, die aufgeschrieben diverse Bücherregalmeter füllen würden. Um Oberbürgermeister zu werden, heißt es über Günther Metzger im Darmstädter Echo, "schuf er sich mit eiserner Faust seine Mehrheit in der SPD und ruhte nicht, bis auch das politische Schicksal der letzten Widersacher besiegelt war".

Bei den hessischen Grünen können sie noch immer Schauergeschichten über den von ihnen so titulierten "Grünen-Fresser" erzählen, der den Seeheimer Kreis mitbegründete, den Zusammenschluss der SPD-Rechten. Als im März die Weigerung Metzgers publik wurde, kam auch bei nicht-hessischen Grünen schnell die Frage auf, ob diese Frau Metzger etwas mit dem Grünen-Fresser zu tun habe - und wie die SPD es habe versäumen könne, sich jemanden mit diesem Hintergrund genauer anzuschauen.

Im letzten Teil erzählt Dagmar Metzger von roten Rosen und mehr als 10.000 E-Mails.

Ein Stammplatz auf dem Scherbenhaufen

Es ist der Stoff, aus dem sich Legenden stricken lassen: Dagmar Metzger, geborene Feist, sei von den Seeheimern gesteuert, Sprachrohr ihres Schwiegervaters, Teil einer gigantischen innerparteilichen Verschwörung gegen Andrea Ypsilanti sowie den Vorsitzenden Kurt Beck.

Keine so gute Idee

Und man konnte schon ins Grübeln kommen, als Metzger einen Tag nach ihrer öffentlichen Erklärung mehrere Stunden im SPD-Landesparteirat beschimpft, bearbeitet sowie aufgefordert worden war, ihr Landtagsmandat niederzulegen - und hinterher zunächst ankündigte, über ihre Entscheidung nochmals nachzudenken. Sie fuhr dann zu den Schwiegereltern, und kurz darauf stand sie wieder fest, weshalb man zumindest unterstellen darf, dass Günther Metzger die Sache mit dem Nachdenken für keine so gute Idee hielt.

Hinzu kommt, dass Metzger Namen von Menschen genannt hat, die sie in ihrer Entscheidung bestärkt hätten. Es waren die Namen etwa der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel. Dagmar Metzger aber sagt heute, dass sie erst Unterstützung bekommen habe, als sie sich bereits öffentlich erklärt hatte. Auf die Frage, wer eigentlich hinter Dagmar Metzger und ihrem Entschluss steht, sagt sie: "Ich selbst." Und lacht wieder dieses Lachen.

Repressionen des DDR-Systems

Sie sitzt nun auf einer Terrasse vor dem Darmstädter Hauptbahnhof und redet über die vergangenen drei Monate. Darüber, dass anfangs ihr Mann zum Einkaufen gehen musste, weil sie ständig angesprochen wurde; über den Mann, der ihr auf der Straße einen Strauß roter Rosen gekauft habe; über die mehr als 10.000 E-Mails. Ungefähr 90 Prozent seien positiv, sagt sie, und die Leute, die sie persönlich ansprechen, bedankten sich, dass sie ihr Versprechen gehalten habe. Über dieses Versprechen sagt Dagmar Metzger: "Ich schulde das dem Bürger."

Ihre Argumentation besteht zunächst aus der Schilderung ihres Wahlkampfes, aus all den Hausbesuchen, bei denen sie versprochen habe, nicht mit der Linken zusammenzuarbeiten. Dazu kommt eine kräftige Prise Familiengeschichte, da sie, Metzger, aufgewachsen in Berlin, die Repressionen des DDR-Systems sehr unmittelbar mitbekommen habe - ein Teil der Familie lebte im Osten der Stadt.

Die Sache mit dem Versprechen ist sehr schlüssig, auch wenn die Argumentation der Gegner lautet, eine Koalitionsfrage sei, anders als etwa Entscheidungen über Krieg und Frieden, keine Gewissensfrage. Dagmar Metzgers Begründung ist allerdings an einer entscheidenden Stelle brüchig: Sie hat eine Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen, stimmt aber im Landtag regelmäßig mit deren Fraktion.

Ein rotes Feuerzeug

Metzger sagt dazu: "Wo wir Schnittmengen mit den Linken haben, können die Linken natürlich mitstimmen." Dagegen könnte man einwenden, dass Andrea Ypsilanti sozusagen die personifizierte Schnittmenge mit der Linken ist, doch Metzger entgegnet: "Die Wahl kann ich nicht mitmachen, weil hintendran ein Preis steht" - was bedeuten soll, dass die Linke einiges dafür verlangen könnte, eine rot-grüne Regierung zu tolerieren.

Dann sagt Dagmar Metzger: "Wenn die Partei dieses Versprechen nicht so klar und so früh abgegeben hätte, hätte ich mir vorstellen können, dass ich eine andere Einstellung dazu gehabt hätte, Andrea Ypsilanti mitzuwählen."

Sie bleibt bei ihrer Haltung, und sie wird es wohl auch dann tun, sollte Andrea Ypsilanti es nochmals versuchen. Vor ihr, auf der Zigarettenschachtel, liegt ein Feuerzeug. Es ist rot und trägt die Parole, mit der Ypsilanti in den Wahlkampf gezogen ist: "Die Zeit ist reif."

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