Landtagswahl:Selten war eine Hessenwahl so entscheidend für Deutschland

Landtagswahl Hessen - Wahlplakate

Wahlplakate der Spitzenkandidaten Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident des Landes Hessen, und Thorsten Schäfer-Gümbel, Landesvorsitzender der Hessen SPD.

(Foto: picture alliance/dpa)

Auch das politische Überleben der Kanzlerin steht auf dem Spiel. Welche Szenarien für die Parteien möglich sind - eine Übersicht.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Konsequenzen einer Landtagswahl können dramatischer kaum sein. Sollte der CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier in Hessen zu viel verlieren, droht nicht nur ihm das Karriereende, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gleichzeitig könnte Hessen einen Ministerpräsidenten der Grünen erhalten - es wäre der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, in der die Volksparteien ihr Volk verlieren und die Grünen zur neuen bürgerlichen Kraft avancieren.

Bei all dem ist das historisch Wichtigste womöglich noch gar nicht angesprochen. Denn der traditionsreichen Arbeiterpartei SPD droht der nächste politische Niederschlag. Und als Folge könnte der Druck übermächtig werden, in Berlin die ungeliebte große Koalition aufzugeben.

Die Folgen wären gravierend, selbst wenn Angela Merkel als Kanzlerin davon zunächst unbehelligt bliebe. Ein Adieu der SPD aus dem Berliner Bündnis würde heißen: vielleicht eine Minderheitsregierung; vielleicht Jamaika, das aber wohl nur unter einem neuen CDU-Chef; vielleicht aber auch schlicht Neuwahlen, die bei einem Bruch der Koalition selbst der Bundespräsident kaum mehr verhindern könnte.

Und in Hessen? Könnte das Resultat ähnlich gravierend sein. Gemessen an den letzten Umfragen, könnte ausgerechnet um den Finanzplatz Frankfurt vieles möglich werden. Vielleicht eine Fortsetzung von Schwarz-Grün; vielleicht Jamaika; vielleicht auch eine Ampel unter Führung der SPD oder der Grünen. Oder gar eine grün-rot-rote Koalition; selbst diese Konstellation schien zuletzt mehrheitsfähig und damit möglich zu werden. Hier eine Analyse der Szenarien für die einzelnen Parteien.

Die CDU: vor der Zeitenwende

Für die Christdemokraten steht enorm viel auf dem Spiel. Gelingt dem amtierenden Ministerpräsidenten doch noch ein Erfolg, sollte Volker Bouffier es also schaffen, den Trend der vergangenen Wochen zu seinen Gunsten zu brechen, dann wird er nicht nur im Amt bestätigt. Er hätte zwei zusätzliche Leistungen erbracht, die für die CDU-Führung im Bund beinahe überlebenswichtig wären - und die ihm zuletzt kaum noch jemand zugetraut hätte.

Erstens wäre es ihm gelungen, trotz der wachsenden Zweifel an Angela Merkel seine Macht zu halten - und das obwohl ein erheblicher Teil selbst in den eigenen Reihen ebendieser Bundesspitze überdrüssig werden. Und er hätte zweitens den Beweis erbracht, dass entgegen aller Unkenrufe der Konservativen ein Verteidiger der Flüchtlingspolitik von Merkel beim Wähler noch punkten kann.

Um das wirklich eindrucksvoll und womöglich nachhaltig zu erreichen, müsste Bouffier mindestens 30 Prozent erreichen und eher noch deutlich drüber liegen. Dann wären die Verluste im Vergleich zu 2013 begrenzt und beherrschbar. Genau das halten die meisten Umfrageinstitute aber für unwahrscheinlich.

Zuletzt sahen die Prognosen etwas ganz anders voraus, nämlich eine historische Niederlage, bei der die CDU auf 25 Prozent oder noch weniger abrutscht. Sollte dieser Fall eintreten, könnte es zwar immer noch für Schwarz-Grün oder ein Jamaika-Dreier-Bündnis mit der FDP reichen. Aber eine um zehn bis zwölf Prozentpunkte schwächere, also fürchterlich gerupfte CDU stünde vor der Frage, ob das Tandem Bouffier-Merkel noch eine Zukunft hat.

Drei Dinge hauen dabei besonders ins Kontor: Erstens der Bundestrend, der für die CDU seit mehr als einem Jahr nach unten zeigt; die Union wird inzwischen auch im Bund bei gerade noch 25 Prozent taxiert. Zweitens ist da das vergangene halbe Jahr, das mit seinem gefühlten Chaos in Berlin immer mehr Anhänger abschreckt. Und drittens gibt es unter vielen bürgerlich-konservativen Wählern das Grundgefühl, dass Themen wie Sicherheit, Ordnung und Bildung in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurden. Ein Gefühl, das durch die Folgen der Flüchtlingskrise massiv verstärkt wurde.

Sollte es zu einem Absturz kommen, dann droht Merkel bis zum CDU-Parteitag im Dezember ein Kampf um die Macht. Dabei haben die Christdemokraten noch nie einen amtierenden Parteichef gegen dessen Willen gestürzt. Mancher Kritiker der Kanzlerin hofft deshalb darauf, dass Merkel bei einem Debakel in Hessen selbst aufhören wird. Bislang allerdings weist darauf nichts hin. Die Vehemenz, mit der sie zuletzt im Wahlkampf auftrat, belegt eher, dass sie weiter kämpfen möchte.

Die SPD: Partner auf Abruf

Für die SPD ist Hessen wie die allerletzte Hoffnung. Spätestens seit der Landtagswahl in Bayern setzt die Parteispitze alles auf einen Erfolg des hessischen Landeschefs Thorsten Schäfer-Gümbel. In Hessen sei die Ausgangslage ganz anders als in Bayern, heißt es unter vielen Sozialdemokraten. Man kann das Kampfesmut nennen - oder Selbstbetäubung.

Bislang sieht es hier für die SPD genauso schlecht aus wie anderswo: Ihr drohen auch in Hessen herbe Verluste. Es gibt aber kleine Hoffnungen, dass es nicht ganz so schlimm kommt. Und es gibt noch heimlicher die Hoffnung, dass es trotz des Negativ-Trends für eine Regierungsbeteiligung reichen könnte.

Im besten Fall hieße das, am Ende aller Auszählungen trotz großer Verluste eine Regierung anführen zu dürfen. Das könnte passieren, wenn es für eine rot-grün-rote Koalition reichen würde. In Frage kommt das freilich nur, wenn CDU und Grüne zusammen keine Mehrheit mehr haben sollten - und sich die FDP im Sinne ihrer bundespolitischen Interessen einer Jamaika-Regierung verweigern würde. Bislang sieht es danach nicht aus. Aber niemand kann sagen, wie viel FDP-Chef Christian Lindner versuchen wird, um Merkel los zu werden.

Klappt das nicht, bleibt nur noch der Versuch, es als Juniorpartner in eine große Koalition zu schaffen. Bei genauerer Betrachtung aber ist dieser Fall unwahrscheinlich. Das nämlich würde bedeuten, dass die zwei großen Wahlverlierer sich gerade noch in eine gemeinsame Regierung retten. Nichts würde absurder aussehen als ein solches Bündnis - mit allen Konsequenzen bei denen, die den etablierten Parteien ohnehin vorwerfen, Wahlergebnisse nicht ernst zu nehmen. Machtsicherung als Vorstufe zum dauerhaften Abstieg.

Bliebe für die SPD noch der schlimmste Fall: dass es für die Partei noch mehr nach unten geht. Beispielsweise mit einem Ergebnis, bei dem die SPD auch in Hessen hinter den Grünen landet. Eine Umfrage hatte das zuletzt schon angedeutet. Sollte es wirklich eintreten, wäre die Gefahr, dauerhaft gegen die Grünen zu verlieren, nicht mehr von der Hand zu weisen.

Zumal im nächsten Mai die Europawahlen anstehen, gefolgt von mehreren Wahlen in ostdeutschen Bundesländern. Nirgendwo sieht es da für die SPD gut aus, im Gegenteil. Entsprechend groß ist die Angst der Partei bei dieser Wahl.

Die Grünen: vor der Promotion

Die Welt sieht bei den Grünen genau umgekehrt aus. Sie dürfen auf den nächsten Wahlerfolg hoffen und ganz leise sogar vom nächsten grünen Ministerpräsidenten träumen. Die Leiden der SPD werden zum Glück der Grünen.

Im besten Fall nämlich - und das ist keineswegs komplett unwahrscheinlich - landen sie mit ihrem Spitzenkandidaten und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir hinter der CDU auf dem zweiten Platz - und könnten mit Sozialdemokraten und Linken eine neue grün-rot-rote Regierung bilden.

Wahrscheinlicher ist bislang, dass es trotz deutlicher Gewinne bei einem Bündnis mit der CDU bleibt, und sei es, dass dieses Bündnis auch noch die FDP braucht. Al-Wazirs Botschaften und Rhetorik sprechen sehr dafür, dass er verlässlich bleiben will und das auch an seinem Verhalten gegenüber der CDU fest macht.

Sucht man nach dem für die Grünen schmerzvollsten Ausgang, landet man bei einem superguten Wahlergebnis, mit dem es gleichwohl nicht zum Regieren reicht. Der Fall könnte eintreten, wenn die Groko eine Mehrheit hätte und Bouffier vor einem komplizierten Jamaika-Bündnis zurückschrecken würde.

Dann hieße es für die Grünen, trotz Rekordergebnissen in Bayern und Hessen an direktem politischem Einfluss verloren zu haben. Keine schöne Perspektive für eine Partei, die sich gerade besonders diszipliniert, um als Regierungspartei akzeptiert zu werden.

Die FDP: vor der großen Herausforderung

Die FDP muss die Landtagswahl nicht fürchten. Sie kann viel gewinnen und dabei kaum etwas verlieren.

So gilt es, gemessen an den letzten Umfragen, durchaus als wahrscheinlich, dass die FDP für ein Jamaika- oder Ampel-Bündnis gebraucht werden könnte. Bislang gibt es für das bisherige Bündnis aus CDU und Grünen keine Mehrheit; deshalb ist es möglich, dass die bisherigen Partner alsbald bei den Liberalen anklopfen.

Nicht ausgeschlossen ist derzeit auch eine Ampel mit Grünen und Sozialdemokraten; als wahrscheinlich kann das aber nicht gelten. Es spricht nur wenig dafür, dass die FDP mit einer gerupften SPD zusammenarbeiten könnte - es sei denn, die FDP im Bund würde sich mit Verve für diese Idee aussprechen, um der CDU eine Fortsetzung in der Regierung unmöglich zu machen.

Der schlechtest mögliche Ausgang heißt für die FDP: Fortsetzung in der Opposition. Das klingt nicht schön, wäre aber für die Liberalen auch keine Katastrophe. Im Landtag werden sie auf alle Fälle sein, und das bedeutet, dass sich nach der großen Krise im Bund 2013 ihre Stabilisierung fortsetzt.

Die AfD: mit Grenzen nach oben

Die AfD hofft, wie überall, auf große Zugewinne. Letzte Ergebnisse wie das in Bayern oder auch die jüngsten Umfragen deuten allerdings an, dass es für die Partei nicht zwangsläufig immer weiter nach oben geht.

Seit langem erklären Meinungsforscher und Wissenschaftler, dass die AfD ein Potenzial von 15 bis 20 Prozent hat, aber zumindest in westdeutschen Ländern kaum noch mehr erreichen könnte. Ob das stimmt, werden die nächsten Wahlen zeigen. Umfragen für Hessen weisen sie bei etwa 15 Prozent aus.

Und so hofft die AfD zwar auf mehr - kann sich aber auf keinen Trend wirklich verlassen. Schon nach der Wahl in Bayern gab es trotz der gut zehn Prozent im Hintergrund wachsende Zweifel daran, wie lange es noch nach oben gehen würde.

Die Linkspartei: mit einer kleinen leisen Hoffnung

Und so könnte es passieren, dass die Politiker der Linkspartei am Tag eins nach der Wahl deutlich glücklicher aussehen als ihre Konkurrenten von den Rechtspopulisten. Zwar wird die Linkspartei kein zweistelliges Ergebnis erzielen, also deutlich hinter der AfD landen. Aber anders als bei der Wahl in Bayern vor zwei Wochen, droht kein Absturz ins Niemandsland unter die Fünf-Prozent-Hürde. Im günstigsten Fall gar könnte es zum Regieren reichen, sollte es am Ende eine rechnerische Mehrheit für grün-rot-rot geben.

Dass die Linken darüber überhaupt leise nachdenken dürfen, dürfte ihnen diesen Wahlkampf durchaus versüßt haben.

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